Dieses Showcar kommt nicht von einem Autohersteller
Webasto baut eigentlich Standheizungen. Auf der IAA 2021 präsentieren sie ein eigenes Showcar mit einer ganz besonderen Dachkonstruktion. Ein Meilenstein auf dem Weg zum autonomen Fahren?
Studien gehören zu einer Automesse wie süßer Senf zur Weißwurst. Autohersteller zeigen mit ihnen gern, wie die Zukunft aussehen könnte – oder wie sie sich die Zukunft wünschen. In der Regel steckt ein konkreter Hinweis im Showcar. So auch bei Webasto.
Der Zulieferer ist eigentlich bekannt für Standheizungen und Faltdächer. Bei der IAA 2021 in München zeigt Webasto ein Konzeptfahrzeug. Nicht, weil die Firma jetzt Autos herstellen will. Sondern um abstrakten Funktionen eine Form zu geben. Denn: Einzelne Bauteile und Softwarelösungen – darum geht es in erster Linie im Showcar – sind (abseits der winzigen Zielgruppe) langweilig. Ein konkretes Beispiel funktioniert da besser.
„Roof Sensor Module“ für autonomes Fahren
Das Design ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Wichtigstes Element des Autos: das Dach. Dort baut Webasto ein Modul ein, das die Fahrzeugassistenz mit Sensordaten versorgt. Kamera, Radar und Laserscanner erzeugen ein digitales Abbild der Umgebung und legen so die Basis für autonomes Fahren. Integrierte Reinigungsfunktionen für alle Sensoren sorgen dafür, dass sie auch bei schlechtem Wetter funktionieren.
Aktuell gibt es verschiedene Ansätze für autonomes Fahren. Elektroauto-Hersteller Tesla vertraut Kamerabildern, aus denen ein Algorithmus ein 3D-Modell errechnet. Klassische Hersteller wie Audi bauen mehrere redundante Systeme ein, ähnlich wie Webasto es vorschlägt. BMW betont, dass ein flächendeckendes mobiles Internet mit hohen Übertragungsraten (5G) Grundvoraussetzung für die nötige Vernetzung ist. Mehrere Hersteller vertrauen zudem auf das Internet der Dinge mit dem Kommunikationsstandard Car-to-X.
Webasto kündigt an, dass „Sensoren, Kameras und zugehörige Features optisch ansprechend in die Dachsysteme integriert werden“ können. Die Technik passt also mit Panorama-, Falt- oder Solardächern zusammen. Wichtiger als der Komfort-Aspekt: Aufeinander abgestimmte Sensorsysteme lassen sich einfacher in fremde Architekturen integrieren als viele individuelle Einzelteile.
Viele Zulieferer arbeiten an einem Bauteil
Zielgruppe des Schaustücks sind also keine Endkunden, sondern Hersteller. Denn: Kein Fahrzeugbauer entwickelt seine Autos komplett selbst. Viele Einzelteile werden an Zulieferer ausgelagert. In einigen Situationen bewerben die Hersteller solche Kooperationen offensiv: Sitze von Recaro oder Bremsen von Brembo stehen in einigen Aufpreislisten. Aber ein Infotainmentsystem von Continental, Scheinwerfer von Hella oder ein Getriebe von Aisin nennt das Anschauungsmaterial in der Regel nicht.
Wie weit sich das Netz aus Zulieferern im Auto spannt, zeigt das Beispiel Webasto: Die Bauteile stammen von den Lieferanten Luminar, Robosenz, Innoviz Technologies, Hesai, Bosch, dlhBowles, Röchling, Delta und National Instruments. Hier nimmt der Anbieter Interessenten die Aufgabe ab, jedes Detail bei einzelnen Firmen zu bestellen und selbstständig zu integrieren.
Solche Komplettsysteme sind besonders interessant für kleine und junge Autobauer. Sie haben nicht die Kapazitäten und finanziellen Mittel, in allen nötigen Bereichen die Kompetenzen aufzubauen. Aston Martin kauft zum Beispiel Motoren bei Mercedes ein, Lotus bestellt Einzelteile bei General Motors. Mit zunehmender Verbreitung der Elektromobilität gehen vor allen Dingen in China viele neue Firmen an den Start und bauen eigene Fahrzeuge aus zugekauften Teilen.
Traktionsbatterie und Heizung für Elektroautos
Bei Elektromotoren funktioniert das einfacher als in der Verbrenner-Welt. Abgasnormen und die damit verbundenen, aufwändigen Abgasreinigungssysteme sind teuer. Elektromotoren sind simpler konstruiert und einfacher zu beherrschen. Viele Elemente der Peripherie, zum Beispiel die Akkus, kaufen selbst große Hersteller zu.
Deshalb zeigt Webasto neben dem Sensordach mit dem Konzeptfahrzeug weitere technische Lösungen. Einerseits eine selbst entwickelte Fahrzeugbatterie, zum anderen ein Heizsystem. Das baue besonders kompakt und arbeite mit einem Wirkungsgrad von bis zu 99 Prozent. Zudem eigne es sich für Fahrzeugarchitekturen mit bis zu 800 Volt Spannung – also für alle auf dem Markt befindlichen Elektroautos. Verglichen mit Verbrennern produzieren Elektroautos wenig Abwärme. Eine effiziente Heizung trägt zur Reichweitenmaximierung bei.
In Serie wird Webastos Showcar also nicht gehen. Aber einige Details des Autos werden vermutlich in Zukunft im Straßenverkehr zu sehen sein. Spätestens dann zählt der optische Aspekt durchaus. Denn langfristig sollen autonome Autos ohne auffällige Dachaufbauten auskommen, wie sie derzeit im Prototypenstadium Usus sind.
Weiterführende Artikel
Mit dem EQS überholt Mercedes Tesla
- E-Mobilität, Technik & Co., Test
Autonomes Taxi: Waymo erweitert das Angebot
- E-Mobilität, Technik & Co.
Test Honda e 2020: Ist kleiner feiner?
- Test