Recycling, die grüne Zukunft des Fahrzeugbaus

Die IAA 2021 sieht sich selbst ganz im Zeichen ökologischer Nachhaltigkeit. Fahrzeuge, bei denen dieser Ansatz konsequent umgesetzt ist, sind allerdings selten. Aber es gibt sie.

Zu sehen ist der BMW i Vision Circular
Der BMW i Vision Circular soll 2040 marktreif sein [Bildquelle: Frank Hoermann / SVEN SIMON/picture alliance]

Jeder kennt es, wenn in der Küche der Mülleimer – vor allem der für den Plastik- und Verpackungsmüll – mal wieder voll ist. Wir werfen zu viel weg – im Großen wie im Kleinen. Im Jahr 2019 fielen in Deutschland nach Angaben des Umwelt-Bundesamtes 6,28 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Mehr als die Hälfte davon, knapp 53 Prozent, wird zur Energieerzeugung verbrannt, rund 46 Prozent demnach verwertet. Allerdings exportiert Deutschland nach Angaben des Naturschutzbunds „Nabu“ davon jährlich etwa eine Million Tonnen. Größter Abnehmer der Plastikabfälle ist derzeit Malaysia, nachdem China den Müll nicht mehr haben will.

Daraus erwächst ein großes ökologisches Problem, denn die Ressourcen müssen primär gewonnen werden – im Fall von Kunststoff zumeist aus fossilem Mineralöl. Und sie müssen entsorgt werden. Dieser Ressourcenvergeudung könnten verstärkte Ansätze der Kreislaufwirtschaft entgegenwirken. Auf der IAA Mobility 2021 in München, bei der Nachhaltigkeits-Themen angeblich im Fokus stehen sollen, finden sich nur wenige Ansätze zum Thema Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung. Dabei ist die Fahrzeugproduktion, unabhängig von der Art des Fahrzeugs, ein grundsätzlich ressourcenintensiver Prozess.

„ZUV“: Fahrrad aus Plastikabfall gedruckt

Wie es gehen könnte, zeigt das Wiener Design-Unternehmen Eoos Next mit dem „ZUV“. Dabei handelt es sich um ein elektrisches Dreirad, dessen selbsttragendes Chassis zu 100 Prozent aus Plastikabfällen entsteht – und zwar im 3D-Drucker. Daraus resultiert die rillenförmige Struktur des Fahrzeugs, das zwei Sitzplätze und eine Transportbox bietet. Um ein Lastenrad-Pedelec im eigentlichen Sinne handelt es sich nicht, das Fahrzeug besitzt keine Pedale und wird rein elektrisch angetrieben. So reduzieren die Designer den Anteil nötiger Metallkomponenten – im wesentlichen Räder, Antrieb und Lenkstange. Für den Druck kommt ein Industrieroboter zum Einsatz, prinzipiell kommt diese Methode mit minimaler Fertigungskomplexität aus – verglichen mit der industriellen Fahrradproduktion. Der 1,90 Meter lange Prototyp wiegt rund 100 Kilo und kann etwa 200 Kilo zuladen. Das Chassis entsteht dabei nicht nur aus Plastikmüll. Es kann problemlos wieder gehäckselt und der Kunststoff wiederverwendet werden.

„Die Nutzung von Plastikmüll als selbsttragendes Chassis ist ein wichtiger Schritt in Richtung Nullemission. Jedes unser Fahrzeuge wird CO2-neutral produziert, sobald der 3D-Drucker mit erneuerbaren Energien betrieben wird“, sagt Dr. Harald Gründl, der Gründer von Eoos Next: „Heute wird fast jeder Fahrradrahmen in Asien produziert. Unser Entwurf kann überall auf der Welt lokal hergestellt werden. Das ist unser Ziel.“

Zu sehen ist ein Lastenfahrrad aus einem 3D-Drucker
Dieses Lastenrad stammt aus dem 3D-Drucker [Bildquelle: Jonas Seidel/TeamOn GmbH]

VW: Innenraum aus Getränkeflaschen

Das primäre Problem der Wiederverwendung von Haushaltskunststoffen ist die Sortenreinheit des Recyclats. Anders gesagt: Sobald Kunststoff verunreinigt oder mit anderen Materialien verpresst ist, lässt er sich in der Regel nicht mehr ökonomisch wiederverwerten. Das betrifft im Haushalt häufig Lebensmittelverpackungen, die mit Lebensmittelresten verunreinigt sind. Im Fahrzeugbau betrifft dieses Problem etwa Kunstleder oder Kunststoffteile, die aus mehreren Schichten unterschiedlicher Materialien bestehen. 

Was derzeit schon möglich ist, zeigt VW bei seinen elektrischen ID-Modellen. Dort bestehen Dachhimmel, Stoffe, Teppiche, Sitze, Türverkleidungen und Dekorflächen teilweise aus wiederverwendeten Materialien, etwa aus PET, das nach seinem ersten Leben als Trinkflasche zurückgegeben wurde. Auch Polypropylen eignet sich laut VW gut zur Wiederverwendung, wenn es sortenrein verarbeitet wird. Ziel laut VW: Fahrzeugbauteile aus Kunststoff nicht nur einmalig aus Recyclat herstellen, sondern Türen, Konsolen und Blenden von vornherein so anlegen, dass sie nach einem Fahrzeugleben problemlos und wirtschaftlich wiederverwendet werden können.

Zu sehen ist das Cockpit des VW ID.Life
VW verbaut im Innenraum seines ID.4 teilweise recycelte PET-Flaschen [Bildquelle: picture alliance / YONHAPNEWS AGENCY | Yonhap]

BMW i Vision Circluar: 100 % Recycling

Davon ist die Autobranche, wie auch andere Branchen, noch ein großes Stück entfernt. Wie weit, deutet BMW auf der IAA 2021 an: Mit dem „i Vision Circular“ zeigt der Münchner Autohersteller eine auf die Kreislaufwirtschaft optimierte Fahrzeugstudie – laut BMW ein Ausblick „auf das Jahr 2040“. Dabei konzentriert sich BMW nicht nur auf Kunststoff, sondern setzt auch wiederaufbereitete Metalle wie Stahl und Aluminium ein. Laut BMW sind diese sogenannten „Sekundärmaterialien“ deutlich umweltgünstiger in der Herstellung als herkömmliche Metalle. Derzeit verwendet BMW nach eigenen Angaben rund 30 Prozent Recyclingmaterial in seinen Autos und glaubt, dass wiederverwendete Metalle diesen Anteil auf 50 Prozent steigern könnten.

In der futuristisch gezeichneten Studie kommen laut BMW 100 Prozent wiederverwertete „bzw. 100 % recyclingfähige“ Werkstoffe zum Einsatz. Dabei handelt es sich nicht nur um wiederverwendete Sekundär-Rohstoffe, sondern auch um Biomaterialien, die vereinfacht gesagt am Ende der Nutzung kompostiert werden können. Etwa um Kautschuk, Holz und ähnliche Materialien. Auch die Batterie des Elektroautos besteht laut BMW komplett aus wiederverwendeten Zutaten. Die Sortenreinheit der Materialien und die Konstruktion im Blick auf leichte Trennbarkeit der Bauteile sind dabei auch für BMW wichtige Voraussetzungen der Kreislaufwirtschaft. So verzichtet die Studie auf Zierelemente wie Chrom und Lack, die die Wiederverwertung von damit beschichteten Wertstoffen erschweren würden. Stattdessen setzen die Bayern beispielsweise auf eloxiertes Aluminium. Mit digitalen Benutzeroberflächen will BMW außerdem Teile sparen – etwa Knöpfe, Tasten oder Druckfedern.

Rohstoffpreise machen Recycling wirtschaftlich

Was das Wiener E-Bike aus Plastikmüll mit größtmöglicher Einfachheit versucht und VW mit dem Stand des aktuell nach Ansicht der Wolfsburger Möglichen ins ungleich komplexere Automobil zu übersetzen sucht, treibt BMW also auf die Spitze und bezieht nicht nur Rohstoffe, sondern auch Lieferketten, Konstruktion und Produktion in die Entwicklung seiner Studie ein. Ein wegweisendes Auto, das heute so wohl niemand wirtschaftlich bauen könnte. Aber: Viele der angewendeten Ansätze und Konzepte lassen sich durchaus einzeln denken. Karosserie und Chassis lassen sich schon heute so konstruieren, dass ihre Komponenten sortenrein getrennt werden können. Kunststoffeinbauten müssen nicht aus Verbundstoffen bestehen oder mit Lederoberflächen verklebt werden.

Allerdings: In der Regel interessieren Wirtschaftsunternehmen sich zuerst fürs Geschäft und erst danach fürs Gewissen. Nachhaltigkeit, die sich lohnt, hat daher bessere Chancen auf Umsetzung. Nach Ansicht von BMW steigt der wirtschaftliche Druck in der Lieferkette und macht damit auch radikale Recycling-Ansätze zunehmend interessant: „Die aktuelle Entwicklung von Rohstoffpreisen zeigt, mit welchen Auswirkungen eine Industrie rechnen muss, die von begrenzten Ressourcen abhängig ist“, sagt BMW-Chef Oliver Zipse bei der Vorstellung des Showcars.

„Für Unternehmen gibt es zahlreiche Gründe, das Prinzip der Kreislaufwirtschaft in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren“, sagt Hendrik Fink, der Leiter der Abteilung Sustainability Services bei den Wirtschaftsprüfern von PwC Deutschland: „Fortschritte in Richtung Circular Economy werden allerdings erst dann möglich, wenn Unternehmen bereit sind, ihre Geschäftsmodelle umfassend zu hinterfragen und Kreislaufwirtschaft als Teil einer ganzheitlichen Strategie zu berücksichtigen.“

Zu sehen ist Björn Tolksdorf

Fazit:

Es ist gut, dass sich die Fahrzeugindustrie vermehrt für Rohstoffkreisläufe interessiert – wenn auch zum Teil aus Eigennutz. Damit lassen sich nicht nur die CO2-Emissionen, sondern auch die Umweltverschmutzung ihrer Produktion reduzieren. Die im Raum stehenden Zeithorizonte und die bisher kaum geschlossenen Wiederverwertungskreisläufe der Branche zeigen aber erhöhten Nachholbedarf auf – auch politisch und regulatorisch. Bisher konzentriert sich die Politik hier auf direkte Emissionen und zeigt wenig Interesse am Fußabdruck der „Hardware“.

Björn Tolksdorf | @MobilityTalk

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