Peachtree City: Amerikas heimliche Elektro-Hauptstadt

In Peachtree City, Georgia, fährt man nicht Auto, sondern Golfkart. Fast jeder Haushalt besitzt mindestens eines. Ein Vorbild für andere Städte? Nicht zwangsläufig, sagt die Bürgermeisterin.

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Björn Tolksdorf
Eröffnung einer Shopping Mall in Peachtree City: Viele Neugierige kommen mit dem Golfkart [Bildquelle: Tony Bernard via Flickr, license https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Die US-amerikanische Stadt Peachtree City dürfte außerhalb der Vereinigten Staaten kein großer Begriff sein, auch wenn sie in dem Film „Spider Man: Homecoming“ eine Rolle spielte. Die Kleinstadt liegt ungefähr 50 Kilometer südlich der Metropolregion Atlanta im Bundesstaat Georgia. Bekannter als für ihren Kino-Auftritt ist sie in den USA für ihr Verkehrskonzept: Ein Großteil des innerstädtischen Verkehrs spielt sich mit (zumeist elektrischen) Golfkarts ab. Das hebt Peachtree City von der großen Mehrheit US-amerikanischer Städte ab, deren Einwohner*innen ohne Auto nicht einmal Brötchen holen würden.

„Learn how much better life can be at 15 mph (24 km/h) on a golf cart“, lautet der Slogan, mit dem Peachtree City um Besucher*innen wirbt. Rund 10.000 der 13.000 Haushalte besitzen mindestens ein Golfkart, insgesamt etwa 11.000 Karts sind bei der Stadt registriert. Für diese Fahrzeuge existiert ein eigenes Wegenetz, das auch Fahrrädern, Skateboards und Fußgänger*innen zur Verfügung steht. 140 Kilometer, 29 Brücken und 29 Tunnel umfasst das Netz. Die meisten Unternehmen, Supermärkte und Schulen verfügen über spezielle Parkplätze für Golfkarts. Selbst die Polizei patroulliert mit Golfkarts in dem weitläufigen Wegenetz.

Peachtree City entstand als Feriensiedlung

Wie es dazu kam? Peachtree City entsteht in den 1950er Jahren am Reißbrett, wie viele amerikanische Vororte. Und zwar als Ferienhaussiedlung am 1957 aufgestauten Lake Peachtree. Mit Golfplätzen, Tennisplätzen und Fußballfeldern für wohlhabende Gäste aus Atlanta. Die entdecken schnell, dass ihre Golfkarts die praktischste Verbindung zwischen Ferienhaus, Golfplatz und Einkaufszentrum darstellen, lassen ihre Golfkarts jedoch häufig einfach auf den Straßen stehen. Das stört den Stadtgründer Joel Cowan, und es bringt ihn auf die Idee, ein eigenes Wegenetz für Golfkarts anzulegen.

1959 steht das Netz im Gerüst, und Peachtree City entwickelt sich zu einer vollwertigen Stadt. 1965 öffnen Polizei und Feuerwehr, 1972 folgt eine eigene Postleitzahl. Die vielen Golfkarts bedeuten, dass innerstädtisch kaum Autoverkehr entsteht: Erst 1979 errichtet die Stadt ihre erste Ampelanlage.

Heute beherbergt Peachtree City rund 38.000 Einwohner. Die Fläche der Stadt entspricht ungefähr der der Gemeinde Taunusstein in Hessen, die Einwohnerdichte mit 587 Menschen auf einen Quadratkilometer ungefähr der von Nordrhein-Westfalen. Zum Vergleich: Das Ruhrgebiet kommt auf rund 3.000 Einwohner pro Quadratkilometer.

Keine reine Schlafstadt

Wer Peachtree City für einen reinen Seniorenruhesitz oder eine Schlafstadt im Umland von Atlanta hält, liegt falsch. In fast der Hälfte der Haushalte leben Kinder unter 18 Jahren, nur 8 Prozent der Bevölkerung sind 65 Jahre oder älter. Mehrere große Unternehmen, darunter der Automobilzulieferer Panasonic Automotive und der Speichermedienhersteller TDK, produzieren vor Ort.

Peachtree City in Georgia zählt zum Ballungsraum Atlanta, weist aber inzwischen auch eine eigene starke Wirtschaft auf [Bildquelle: Tony Bernard via Flickr, license https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Etwa 16.000 Menschen pendeln jeden Tag ein. Amerikaner*innen mögen die Stadt: Das „Money Magazine“ listet Peachtree City regelmäßig unter die 50 lebenswertesten Gemeinden der USA – dank seiner parkartigen Anlage, die eine „Urlaubsatmosphäre mit den Vorteilen eines Suburbs“ verbinde. Zu diesen Vorteilen zählen einigermaßen bezahlbare Immobilien, die es hier noch gibt.

In der weitläufigen Parkstadt hat sich das Golfkart als Hauptträger des Kurzstreckenverkehrs etabliert. Jedes neue Bauprojekt muss an das bestehende Golfkart-Wegenetz angeschlossen werden. Sonst gibt es keine Baugenehmigung, sagt die Bürgermeisterin Vanessa Fleisch. Man will Autos und Golfkarts möglichst voneinander trennen. Die meisten Wege entstehen parallel zum Straßennetz. Nur wo sie fehlen, dürfen die Karts auf der Straße fahren.

Auch beim örtlichen Supermarkt geht nichts ohne eigene Golfkart-Parkplätze [Bildquelle: Tony Bernard via Flickr, license https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Golfkarts: Teurer als Fahrräder, günstiger als Autos

Einige Golfkart-Wege mussten bereits verbreitert werden, um dem hohen Verkehrsaufkommen standzuhalten. Etwa vor Schulbeginn oder in der abendlichen „Rush Hour“. Schüler*innen dürfen mit dem Golfkart sogar alleine zur Schule fahren, mit Führerschein oder einer sogenannten „learner’s permit“. Diese Bescheinigung lässt sich mit wenigen Fahrstunden bereits vor dem Führerscheinalter von 16 Jahren erwerben. Für Autos halten die Schulen, anders als viele andere Schulen in den USA, nur wenig Stellplätze bereit.

Im Vergleich zum Auto sind die kleinen Elektromobile recht bezahlbar, im Vergleich zum Fahrrad aber teuer: Ein neues Golfkart kostet in den USA im Schnitt 8.000 Dollar, Einsteigermodelle gibt es ab rund 2.500 Dollar. Schüler*innen müssen in Peachtree City mit einem Limiter fahren, einige manipulieren ihr Fahrzeug jedoch und erreichen mehr als die maximal zulässigen 20 mph (32 km/h).

Billig ist so ein separates Wegenetz nicht. Peachtree City finanziert es aus Steuern und Gebühren, Ende 2021 beziffert die Stadt die jährlichen Unterhaltskosten auf 3,2 Millionen Dollar. Einwohner*innen zahlen lediglich 45 Dollar für eine dreijährige Zulassung pro Golfkart. Wer jedoch nicht in Peachtree City wohnt und zum Beispiel keine Vermögenssteuer für ein Grundstück bezahlt, zahlt 250 Dollar für die Registrierung. Laut der Stadt ist das das Äquivalent dessen, was Haushalte jährlich über ihre Steuern zum Erhalt des Golfkart-Netzes beitragen.

Parkplatz der Mcintosh High School: Viele Jugendliche fahren selbst mit dem Golfkart zur Schule - in den USA eher ungewöhnlich

Ist Peachtree City ein Vorbild?

Das über Jahrzehnte gewachsene Verkehrsnetz von Peachtree City ist ein Unikat mit einem großen Vorzug, den viele Siedlungen in den USA nicht genießen: Es bietet den Menschen eine leistungsfähige Nahverkehrs-Alternative zum Auto, mit hohem Spaßfaktor und kleinerem ökologischem Fußabdruck. Ohne ihnen das individuelle Verkehrsmittel ab- oder das Radfahren angewöhnen zu müssen. Vor dem Hintergrund der vielen komplett vom Auto abhängigen Suburb-Landschaften in den USA eine verlockende Vorstellung.

Taugt Peachtree City als Vorbild? Diese Frage stellen sich viele Bürgermeister, die die Stadt besuchen, sagt Vanessa Fleisch. „Viele sagen, das könnte bei uns auch funktionieren. Aber sie haben ältere, anders gewachsene Städte. Und können es dann nicht umsetzen.“ Ein Golfkart-Netzwerk lässt sich nicht nach und nach aufbauen, glaubt sie. Wer kauft extra ein Golfkart, wenn es zunächst nur wenige Wege dafür gibt? Zumal: Die meisten Haushalte besitzen zusätzlich ein Auto. Die Platzprobleme eng bebauter Innenstädte kennt die grüne Gartenstadt nicht.

Was sich von Peachtree City lernen lässt: Die Trennung des „leichten“ Verkehrs vom Autoverkehr schafft eine attraktivere Alternative zum Auto als der Versuch, „Allzweck-Straßen“ zu bauen. Das wissen wir auch in Europa. Etwa aus der niederländischen Fahrrad-Verkehrsplanung.

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