So funktioniert die Geschwindigkeitsmessung der Zukunft
Herkömmliche Blitzer richten bisweilen mehr Schaden als Nutzen an. Ein Pilotprojekt in Niedersachsen zeigt nun eine Alternative auf. Im Ausland wird die Section Control bereits seit Jahren genutzt.
Bei klassischen Geschwindigkeitskontrollen wird das Tempo eines Fahrzeugs an einem bestimmten Messpunkt erfasst. Viele Autofahrer*innen kennen die Standorte der Blitzer, andere informiert eine App über den nächsten Blitzer. Die Folge: Kurz vor dem Messinstrument bremsen sie stark ab, um nicht geblitzt zu werden. Danach beschleunigen sie wieder auf ihre ursprüngliche Geschwindigkeit. Das ist in doppelter Hinsicht kontraproduktiv.
Erstens wird so keine nachhaltige Reduzierung des Tempos erreicht. Und zweitens steigen durch das Beschleunigen nach dem Messgerät die Unfallgefahr sowie die CO2-Emissionen – gleichmäßiges Fahren ist deutlich sicherer und umweltfreundlicher. Deshalb hat die Firma Jenoptik aus Niedersachsen nun die Geschwindigkeitsmessung der Zukunft auf den Weg gebracht. Die Section Control könnte für eine Revolution bei der hiesigen Geschwindigkeitsmessung sorgen.
Was ist die Section Control?
Im Unterschied zu klassischen Messverfahren, erfasst die Abschnittskontrolle (Englisch: Section Control) die gefahrene Geschwindigkeit nicht an einem einzigen Messpunkt, sondern über einen Strecken-Abschnitt hinweg. Die Abschnitte sind dabei in der Regel zwischen zwei und fünf Kilometer lang. Im Falle des niedersächsischen Pilotprojekts sind es 2,2 Kilometer.
Das System erfasst über Laserscanner und Kameras Fahrzeugtyp, Kennzeichen und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs am Anfang des zu kontrollierende Abschnitts. Auch beim Verlassen des Abschnitts wird das Fahrzeug registriert. Aus diesen Daten errechnet ein Computer die gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit. Liegt sie über dem erlaubten Tempolimit, droht eine Sanktion.
Verwaltungsgericht verbietet zunächst den Betrieb
Weil nicht nur die Raser, sondern alle Verkehrsteilnehmer verdachtsunabhängig erfasst werden, gibt es in Deutschland große Datenschutzbedenken gegenüber der Technik. Zwischenzeitlich wurde das Projekt vom Verwaltungsgericht gestoppt. Inzwischen erlauben Gerichtsurteile den Einsatz. Jenoptik versichert, die Daten würden nach der Erfassung sofort anonymisiert und verschlüsselt. Zu keinem Zeitpunkt der Messung seien Rückschlüsse auf personenbezogene Daten möglich. Weil die Kameras die Fahrzeuge beim ersten Messpunkt in nur geringer Auflösung von hinten filmen, sei auch keine Identifizierung der Fahrzeuginsassen möglich.
Erst am zweiten Kontrollpunkt, wenn klar ist, dass das Fahrzeug zu schnell unterwegs war, wird ein hochauflösendes Frontbild geschossen, auf dem zu erkennen ist, wer am Steuer sitzt. Liegt kein Tempo-Verstoß vor, werden die Daten automatisch nach Verlassen des Abschnitts gelöscht. Aufgrund der Anpassungen des niedersächsischen Polizeigesetzes ist diese Messmethode bislang nur in diesem Bundesland erlaubt. Eine Ausweitung sei jedoch geplant.
Vorteile der Section-Control
Jenoptik selbst sagt, die Section Control „harmonisiere den Verkehrsfluss“, weil sich die Autofahrer über einen längeren Streckenabschnitt an die vorgegebene Geschwindigkeitsbeschränkung halten müssten. Befürworter prognostizieren außerdem weniger abrupte Bremsmanöver. Ortskundige Fahrer könnten die Blitzer nicht einfach austricksen. Außerdem seien die Messungen fairer, weil Sanktionen erst bei längerem Übertreten des Tempolimits drohen.
Die Pilotphase des Projekts lief in Niedersachsen von Dezember 2018 bis Ende 2020 auf einem Abschnitt der Bundesstraße 6 zwischen Gleidingen und Laatzen. Eine Auswertung des Projekts zeigt positive Effekte auf das Fahrverhalten der Autofahrer. Während die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Tempo-100-Strecke zuvor bei 105 km/h lag, sank sie nach Einführung der Abschnittskontrolle auf 95 Kilometer pro Stunde. Zudem stieg der Anteil von Fahrern, die sich an die zulässige Höchstgeschwindigkeiten hielten, um 40 Prozent. Niedersachsen prüft bereits den Einsatz auf weiteren Strecken. Die Section Control auf der einstige Teststrecke zwischen Gleidingen und Laatzen ist inzwischen in den Regelbetrieb übergegangen. Aus wirtschaftlicher Sicht mach das Sinn, denn die Installationskosten sind mit 200.000 Euro in etwa dreimal so hoch wie die einer herkömmlichen Radarfalle.
Section Control in anderen Ländern
In Österreich ist die Abschnittskontrolle bereits seit fast 20 Jahren im Einsatz. Sie kommt dort unter auf einem Tunnelabschnitt der Donauautobahn in Wien zum Einsatz. Seit der Installation halbierte sich die Zahl der tödlich Verunglückten Fahrer. Positive Erfahrungen machten auch die Niederlande mit dem System. Nach Inbetriebnahme auf einer Autobahn sank die Zahl der Verkehrsunfälle um 47 Prozent. In der Schweiz, Italien, Polen und Großbritannien ist die Abschnittskontrolle ebenfalls seit Jahren etabliert
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