CO2-neutrales Fliegen: Moderner Ablasshandel
Wer nicht verzichten kann, kann zahlen: Die CO2-Emissionen von Flugreisen lassen sich durch Zertifikate für Klimaschutzprojekte ausgleichen. Unternehmen wie Atmosfair sehen sich aber nur als zweitbeste Lösung.
Bewegung ist schlecht für das Klima. Vor allem, wenn dafür fossile Brennstoffe verfeuert werden müssen. Wie zum Beispiel beim Autofahren, bei Bahnreisen oder – besonders schlimm – beim Fliegen. Laut Daten des Umweltbundesamts (UBA) für das Jahr 2019 entstehen bei einem Inlandsflug pro Person und Kilometer Treibhausgase, die dem Effekt von 214 Gramm CO2 entsprechen (CO2-Äquivalent). Dabei geht das UBA davon aus, dass der Flieger zu 70 Prozent belegt ist. Für einen Pkw werden 143 Gramm angenommen, wenn im statistischen Schnitt 1,5 Menschen damit unterwegs sind. Bahnreisende sind bei 55 Prozent Auslastung nur für 29 Gramm CO2 verantwortlich.
Da kann man ins Grübeln kommen. Muss der Business-Flug von Berlin nach Stuttgart wirklich sein, nur um ein Projekt mit Kollegen zu besprechen? Spätestens in der Corona-Pandemie ist Firmen und Mitarbeitern klar geworden, dass sich viele Dinge wunderbar per Videokonferenz erledigen lassen. Mit deutlich geringerem Einfluss auf den CO2-Fußabdruck.
Nicht jeder Flug lässt sich vermeiden. Er lässt sich aber ausgleichen. Diverse Anbieter ermöglichen es, sich „freizukaufen“. Gegen die Zahlung eines Geldbetrags werden die entstehenden Treibhausgasemissionen ausgeglichen, indem mit dem Geld anderswo CO2 eingespart wird.
Atmosfair ist die wohl bekannteste Organisation, die eine solche Kompensation für Privatpersonen anbietet. Andere heißen MyClimate, Primaklima, Klimamanufaktur, Klima-Kollekte oder AQ Greentec, ehemals Arktik. mobility.talk verrät, was Du über Anbieter, CO2-Preise und CO2-Zertifikate wissen solltest.
Wieviel CO2 wird beim Fliegen freigesetzt?
Um die Rechnung vom Anfang nochmal plastisch zu machen: Pro Person und Kilometer werden beim Fliegen mehr als siebenmal so viele Treibhausgase ausgestoßen wie bei einer Bahnfahrt. Damit ist der komplette Treibhauseffekt eines Fluges längst nicht beschrieben.
Weitere Faktoren spielen eine Rolle, darunter Emissionen anderer Gase, Kondensstreifen, Ozon, weitere Partikel. Diese Faktoren werden über den sogenannten RFI-Faktor abgebildet („Radiative Forcing Index“). Kurz gesagt: Ein Flug verursacht über sekundäre Effekte, vor allem in großen Flughöhen, einen deutlich höheren Klimaeffekt als die bloßen CO2-Emissionen. Die genauen Berechnungen dazu, wie groß die Menge an CO2-äquivalenten Gasen beim Fliegen tatsächlich ist, variieren. Das Thema befindet sich stetig im wissenschaftlichen Diskurs.
So errechnet die gemeinnützige Organisation Atmosfair für einen Linienflug von Frankfurt nach Palma de Mallorca und wieder zurück eine Klimawirkung, die 568 kg CO2 entspricht – pro Person. Je nach Fluglinie, Flugzeug oder Buchungsklasse kann es mehr oder weniger sein. Charter ist etwas günstiger, Business statt Economy deutlich schlechter fürs Klima. Andere Anbieter rechnen mit anderen Zahlen.
Was kostet die CO2 Kompensation von Flügen?
Wieviel man pro Flug als Kompensation zahlt, unterschiedet sich von Anbieter zu Anbieter. Nicht nur wegen der unterschiedlich berechneten Emissionen, sondern auch, weil die Preise pro Tonne CO2 variieren. Bei etwa 5 Euro geht es los, bis zu 23 Euro pro Tonne reichen die Kosten. Konkret heißt das: Ein Flug von Frankfurt nach Palma lässt sich im teuersten Fall bereits für 11 Euro ausgleichen. Zum üblichen Ticketpreis von etwa 100 Euro in der Economy-Class für Hin- und Rückflug kämen rund 10 Prozent Aufpreis. Je nach Airline oder genutztem Flugzeugmodell kann der Preis variieren.
Zudem rechnen die Anbieter mit unterschiedlichen Zahlen (siehe oben). Bei manchen variiert die Kompensationssumme je nach unterstütztem Projekt, Atmosfair bietet für die meisten Inlandsflüge gar keine direkte Kompensation an und empfiehlt eine Bahnverbindung. Die CO2-Wirkung wird trotzdem angegeben, so dass man sich an anderer Stelle auf der Webseite über die Option „Menge CO2 kompensieren“ eine Ausgleichssumme errechnen lassen kann.
In der folgenden Übersicht haben wir beispielhaft einige Flüge bei verschiedenen Anbietern durchgerechnet. Die Angaben gelten jeweils für Linienflüge, hin und zurück in der Economy-Class, soweit der Anbieter eine so genaue Angabe zulässt.
Flugstrecke | Anbieter | CO2 Emission (pro Person) | Kosten |
Berlin à München | Atmosfair | 247 kg | 6 Euro |
MyClimate | 285 kg | 6-8 Euro | |
PrimaKlima | 170 kg | 2,55 Euro | |
Klima-Kollekte | 170 kg | 4,25 Euro |
Flugstrecke | Anbieter | CO2 Emission (pro Person) | Kosten |
Frankfurt à Palma de Mallorca | Atmosfair | 454 kg | 11 Euro |
| MyClimate | 494 kg | 11-14 Euro |
| PrimaKlima | 510 kg | 7,65 Euro |
| Klima-Kollekte | 510 kg | 12,75 Euro |
Flugstrecke | Anbieter | CO2 Emission (pro Person) | Kosten |
München à St. Petersburg | Atmosfair | 738 kg | 17 Euro |
| MyClimate | 641 kg | 14-18 Euro |
| PrimaKlima | 720 kg | 10,08 Euro |
| Klima-Kollekte | 720 kg | 18 Euro |
Flugstrecke | Anbieter | CO2 Emission (pro Person) | Kosten |
Frankfurt à San Francisco | Atmosfair | 4.518 kg | 104 Euro |
| MyClimate | 3.000 kg | 66-84 Euro |
| PrimaKlima | 4.060 kg | 60,90 Euro |
| Klima-Kollekte | 4.060 kg | 101,50 Euro |
Flugstrecke | Anbieter | CO2 Emission (pro Person) | Kosten |
Singapur à New York | Atmosfair | 9.570 kg | 221 Euro |
| MyClimate | 5.400 kg | 118-150 Euro |
| PrimaKlima | 7.690 kg | 115,35 Euro |
| Klima-Kollekte | 7.690 kg | 192,25 Euro |
Wie funktioniert die Kompensation?
Preise und CO2-Emissionen mögen sich unterscheiden, doch alle Anbieter arbeiten nach dem gleichen Prinzip. Damit die gezahlten Euro dem Klima zugutekommen, werden sie in Klimaschutzprojekte investiert. Das können Aufforstungsprogramme sein, Projekte, die den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben oder Modernisierungsmaßnahmen, die die Nutzung fossiler Brennstoffe verringern. Die Investitionen erfolgen über den Kauf von CO2-Zertifikaten (s.u.), mit denen den unterstützten Projekten bescheinigt wird, dass sie zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen.
Die Anbieter legen hier unterschiedliche Schwerpunkte und unterstützen verschiedene Projekte. Manche haben eigene Projekte gegründet. Meist dient der Klimaschutz zugleich der Entwicklungshilfe, da die Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern durchgeführt werden müssen, um bestimmte CO2-Zertifikate zu erhalten. Es gibt allerdings vereinzelt Projekte, die nicht in Entwicklungsländern liegen. So lässt sich bei Primaklima beispielsweise in die Aufforstung des deutschen Waldes investieren, das Schweizer MyClimate renaturiert Schweizer Moore.
Wie finde ich den richtigen Anbieter?
Für welchen Anbieter man sich entscheidet, sollte man nicht vom Preis abhängig machen. Wichtiger ist, was die Anbieter konkret für das Klima tun. Darüber geben die genannten Zertifikate Auskunft, mit denen den konkreten Projekten die CO2-Einsparung bescheinigt wird. Außerdem sollte man genau wissen, wieviel Geld über welche Wege wohin fließt. Stichwort: Transparenz.
Deshalb ist es wichtig, dass die Anbieter genaue Auskunft darüber geben, wie sie die Mittel einsetzen und welche Projekte sie unterstützen. Üblicherweise finden sich direkt auf der Webseite die wichtigsten Infos zu konkreten Projekten und zur Verwendung der Mittel. Jahresberichte listen detailliert auf, wieviel Geld wofür ausgegeben wurde und welche Verwaltungskosten anfallen. Außerdem sollte dort ersichtlich sein, welche Standards die entsprechenden Zertifikate erfüllen (s.u.).
Natürlich ergibt es Sinn, sich seinen Kompensationspartner danach auszusuchen, welche Projekte besonders sympathisch sind. Möchte ich den Ausbau der Solarenergie fördern oder lieber eine Initiative zur Umweltbildung? Liegt mir der Umbau zu sanftem Tourismus am Herzen oder die Aufforstung von Wäldern? Gerade der Wald sorgt für Kontroversen. Während Primaklima sich ausschließlich der Aufforstung und Erhaltung der Wälder verschrieben hat, fördert Atmosfair überhaupt keine derartigen Projekte, weil das Unternehmen Waldprojekte nicht für den richtigen Ansatz für die CO2-Kompensation hält.
Was genau sind CO2-Zertifikate?
Es gibt unterschiedliche Zertifikate für den CO2-Handel, die von verschiedenen Organisationen ausgegeben werden. Mit ihnen wird bewertet und dokumentiert, wieviel CO2 ein bestimmtes Projekt einspart und ob Transparenz-Richtlinien eingehalten werden.
Einer der bekanntesten Standards ist der „Clean Development Mechanism“ (CDM). Er wurde im 2005 in Kraft getretenen Kyoto-Protokoll beschlossen. Das Abkommen regelt erstmals verbindlich, wie viele Treibhausgase die beteiligten Staaten ausstoßen dürfen. CDM-Projekte müssen in Entwicklungsländern durchgeführt werden, die keine Verpflichtung zur CO2-Reduktion haben. Für die mit diesen Projekten eingesparten Emissionen werden Zertifikate ausgestellt. Industriestaaten erhalten sie entweder, indem sie sich an den Projekten beteiligen oder indem sie die Zertifikate ankaufen.
Ein weiterer bekannter Standard zur Bewertung von Klimaschutzprojekten ist der Gold Standard der Schweizer Gold Standard Stiftung, der in Teilen andere Kriterien anlegt. Ebenfalls weit verbreitet ist der „Verified Carbon Standard“ (VCS) der US-amerikanischen NGO Verra, die zudem noch den „Climate, Community & Biodervisity“-Standard aufgelegt hat.
Welchen Standard sollte man für die eigene Kompensation anlegen?
Die Bewertung der CO2-Zertifikate ist hochkomplex, da neben CO2-Einsparungen weitere Kriterien eine Rolle spielen. Zudem gibt es verschiedene Zertifikate von diversen Organisationen, die zum Teil unterschiedliche Kriterien anlegen oder unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Den umfangreichsten Katalog deckt der CDM ab, doch auch er hat Schwachstellen. So verlangt er beispielsweise keine Förderung einer nachhaltigen Entwicklung nach bestimmten Kriterien, die in der Agenda 2030 beschlossen wurden (Sustainable Developement Goals). Der Gold Standard hingegen berücksichtigt diese Ziele, weist jedoch an anderen Stellen Schwachpunkte auf. Zudem gibt es den Gold Standard CER und den Gold Standard VER. Letzterer greift für freiwillige Projekte und legt weniger strenge Maßstäbe an als der CER.
Und was ist nun der „Gold-Standard“ der verschiedenen Standards? Atmosfair hat eine sehr umfangreiche Bewertung der drei wichtigsten vorgenommen. Demnach schneidet der CDM als alleiniger Standard am besten ab, der VCS am schlechtesten. Gold Standard und VCS schwächeln demnach vor allem bei der Transparenz. Allerdings lassen sich CDM und Gold Standard kombinieren, so dass die Schwächen sich ausgleichen. Andere Organisationen zur CO2-Kompensation empfehlen ebenfalls die Kombination mehrerer Standards.
Was sagt die Stiftung Warentest?
Die Stiftung Warentest teilt diese Sichtweise. Bereits 2018 wurden in einer Ausgabe von Finanztest sechs Anbieter geprüft und bewertet. Drei davon schneiden sehr gut ab. Sie heißen Atmosfair, Klimakollekte und Primaklima. Bei allen dreien bewerten die Tester die Qualität der Kompensation mit „sehr gut“, wie auch Organisation und Leitung – womit sichergestellt sein soll, dass Gelder beispielsweise nicht veruntreut werden. Die Klima-Kollekte bekommt im Kapitel „Transparenz“ nur ein „gut“, bei Primaklima fällt die Bewertung der Qualität der Kompensation im Vergleich am schlechtesten aus.
MyClimate bekommt von den Testern noch ein „gut“, die nicht gemeinnützigen Organisationen Klimamanufaktur und Arktik (mittlerweile AQ Greentec) schneiden nur mit „ausreichend“ ab. Stiftung Finanztest sieht vor allem Defizite bei der Transparenz („mangelhaft“), bewertet jedoch auch die Qualität der Kompensation nur mit „ausreichend“.
Allerdings ist noch viel Bewegung im Sektor. Insofern kann es lohnen, sich als Verbraucher stärker mit dem Thema und den verschiedenen Anbietern zu befassen. Die unterstützten Projekte wechseln zum Teil, genau wie die Standards, nach denen die unterstützten Projekte bewertet werden.
Kann ich guten Gewissens fliegen, wenn ich kompensiere?
Hier finden alle seriösen Anbieter von CO2-Kompensationen eine klare Antwort: Nein. Sich „freizukaufen“ ist allenfalls die zweitbeste Option. Atmosfair schreibt beispielsweise: „Aus Klimaschutzgründen sollte CO2-Vermeidung wo immer möglich Priorität vor anderen Maßnahmen haben.“ Also: Wenn sich ein Flug nicht vermeiden lässt, bietet sich hilfsweise die Kompensation durch den Kauf von CO2-Zertifikaten an.
Wie steht es um die Kompensation durch die Fluggesellschaften?
Einige Fluggesellschaften bieten selbst eine Kompensation von Treibhausgasemissionen an oder übernehmen sie gleich ganz. Easyjet etwa kündigte bereits 2019 an, Flüge auszugleichen. Allerdings nur, soweit es die „treibstoffverursachten CO2-Emissionen“ betrifft. Ein guter Ansatz, allerdings gehen Experten davon aus, dass lediglich ein Drittel der Klimawirkung des Fliegens auf den Kohlenstoff entfällt, der beim Verbrennen des Treibstoffs anfällt.
Bei der Lufthansa hingegen funktioniert die Kompensation wie bei den anderen Anbietern. Tatsächlich arbeitet die Fluggesellschaft für ihr „Compensaid“-Programm sogar mit MyClimate zusammen. Die Besonderheit dabei ist, dass das Programm einen Fokus auf nachhaltiges Flugbenzin legt (Sustainable Aviation Fuel, SAF). Je nachdem, wie groß der Kompensationsanteil sein soll, der auf SAF entfällt, verspricht die Lufthansa eine sofortige Reduktion des CO2-Ausstoßes um bis zu 80 Prozent durch die Einspeisung von SAF.
Langfristige Kompensation hingegen läuft wie gehabt über die von MyClimate unterstützten Projekte. Allerdings setzt auch die Lufthansa nur die direkten CO2-Emissionen aus Treibstoff an. Ein Flug von München nach Berlin etwa wird mit 67 kg CO2 angesetzt und kann schon für 1,34 Euro ausgeglichen werden.
Kann man nur Flüge ausgleichen?
Fliegen mag ganz vorne liegen bei der Debatte um CO2-Kompensation. Doch CO2 und andere Klimagase werden bei vielen Tätigkeiten ausgestoßen, teils direkt, teils mittelbar. Beim Auto- oder Bahnfahren, beim Heizen, bei der Warenproduktion, ganz allgemein bei jeglichem Konsum. Aus all dem setzt sich der CO2-Fußabdruck zusammen. Der lag in Deutschland 2019 pro Person bei rund 8,5 Tonnen. Das ist etwas weniger als doppelt so viel wie im weltweiten Durchschnitt. Ein US-Bürger kommt auf etwa 15,5 Tonnen pro Jahr, für Bewohner der Subsahara-Region weist die „Emissions Database for Global Atmospheric Research“ (EDGAR) 2018 nur rund 800 Kilo aus.
Wer will, kann sich online auf vielen Seiten seinen ganz persönlichen CO2-Fußabdruck berechnen – und entsprechend kompensieren. Und das ist gar nicht mal so teuer. Eine Tonne CO2 lässt sich bei Atmosfair schon für 23 Euro ausgleichen. Wer als Durchschnittsdeutscher seine Emissionen von 9,2 Tonnen Klimagasen jährlich ausgleichen will, ist mit gut 200 Euro dabei.
Fazit:
Klar, Klimaschutz kostet Geld. Doch wie die Rechnung zum Mallorca-Flug zeigt: Für viele Menschen ist eine CO2-Kompensation bezahlbar. Man sollte dabei nur eins nicht vergessen: Vermeiden geht vor Ausgleichen.
Heiko | @MobilityTalk
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