Das bringen bunte Radwege
Sie leuchten grün, rot und manchmal blau: Zunehmend setzen Kommunen auf flächig bunte Radwege. Erste Untersuchungen zeigen: Das bringt was für die Sicherheit.
Auf dem Bürgersteig und gebaut aus Pflastersteinen, die von Baumwurzeln nach und nach zur Buckelpiste aufgeworfen werden. Oder mit einem weißen Streifen von der Fahrbahn abgetrennt: So kennen wir Radwege seit vielen Jahrzehnten. Neue Konzepte der Kennzeichnung sollen die Sicherheit erhöhen. Viele Städte, darunter Berlin und München, streichen ihre Radwege bunt. Bringt das tatsächlich was? Mehr Sicherheit, mehr Verbindlichkeit, ein besseres Vorankommen?
Die landeseigene Infravelo GmbH, die in Berlin für die Neugestaltung der Fahrrad-Infrastruktur zuständig ist, sagt: „Sind die Radstreifen farblich vom motorisierten Verkehr getrennt, erhöht das die Wiedererkennung und damit die Sicherheit im Straßenverkehr“. so die Organisation. Auf den gut sichtbaren Radspuren fühlten sich die meisten Radfahrenden sicherer. Autofahrer und Lieferdienste nutzen den farblich klar von der Fahrbahn abgetrennten Streifen zudem seltener zum Parken oder Halten. Die Stadt Wien hebt hervor: Es geht darum, allen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern eindeutig zu signalisieren, dass die jeweilige Fläche für den Radverkehr vorgesehen ist.
Daraus bestehen grüne Radwege
Aktuell listet Infravelo in Berlin rund 31 Kilometer farblich hervorgehobene Radstreifen. In Nachbarländern wie Dänemark oder den Niederlanden, aber auch aus Städten wie Wien oder San Francisco, ist das Konzept lange bekannt. Derzeit wird entweder eine Schicht aus Kaltplastik oder aus Epoxidharz auf den Straßenbelag aufgebracht. Die Trocknungszeit dauert bei Epoxidharz mindestens drei Stunden bis zu drei Tagen. Plastik härtet schneller aus. Trotzdem benötigen die Arbeiter im Schnitt sechs Wochen, um einen Radweg zu markieren. Die Arbeit sei stark witterungsabhängig, der Asphalt müsse komplett trocken sein und baulich eine ausreichende Entwässerung hergestellt werden. In der Regel wird dafür die Radspur ausgefräst und dann aufgefüllt. Das Problem: Bei Regen kann vor allem Epoxidharz den darin enthaltenen eingefärbten Quarzsand nicht binden. Dann verteilt sich die Farbe durch Regen und darüberfahrende Fahrzeuge großflächig auf der Straße.
Warum grüne Radwege? Psychologie und Kontrast
Warum eigentlich Grün? Diese Farbe hat sich international durchgesetzt. Neben Lübeck und Berlin setzen darauf auch Großstädte in den USA, Wien oder das andalusische Cadiz. Die Farbe biete sowohl farbpsychologisch als auch von der Kontrastwirkung die besten Eigenschaften, schreibt der Industriedesigner Holger Quick in einer Studie zu Radwege-Farben in München. Die Farbe sei gut sichtbar, weise eine starke Abgrenzungswirkung auf und erlaube das separate Kennzeichnen von Gefahrenstellen in Rot.
Psychologisch stehe Grün für Natur, Gelassenheit und Toleranz. Rot dagegen suggeriere Abgrenzung und Gefahr, Blau im Verkehr Vertrauen und Gebote. Quick empfiehlt daher die Kennzeichnung von Radwegen in Grün und die Hervorhebung von Gefahrenstellen in Rot. Einige Städte wie Gelsenkirchen und Tübingen haben sich dennoch für blaue Radwege entschieden. Rot hervorgehobene Radwege sind deutschlandweit unverändert überall anzutreffen.
Was bringen bunte Radwege? Erfahrungen aus Wien und Berlin
Die Städte begründen ihre Erwartung an die Sicherheitswirkung farbiger Radwege vor allem mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Radfahrer sowie mit der stärkeren Kontrastwirkung auf Autofahrer. Belastbare Daten gibt es bisher nur wenige. Die Stadt Wien hat an drei Standorten untersucht, ob eine Markierung die Zahl der riskanten Situationen senken kann und damit die Sicherheit erhöht. Tatsächlich ergab sich eine deutliche Reduzierung der Verkehrskonflikte. Auf einem 40 Meter langen Abschnitt am Burgring stellte die Untersuchung fest:
- Die Zahl der Konflikte sank im Vorher-Nachher-Vergleich von 112 in 12 Stunden auf 36 und damit um 70 Prozent
- Vor der Maßnahme nutzten in 12 Stunden 448 Fußgänger den Radweg. Den markierten Radweg betraten noch 321 Fußgänger – eine Reduzierung um 37 Prozent
- Vor der farblichen Hervorhebung fuhren 94 Radfahrer nicht auf dem Radweg. Mit farbiger Markierung waren es 86. Das ist ein Rückgang um 16 Prozent.
An den übrigen Standorten weichen die Ergebnisse ab, die farbige Hervorhebung des Radwegs brachte jedoch überall einen Rückgang potenziell gefährlicher Situationen und Verhaltensweisen. Die Stadt Wien attestiert der Maßnahme daher eine „gute Wirksamkeit“.
Die Stadt Berlin führt zu ihren bunten Radwegen eine Begleituntersuchung durch, die noch bis 2023 andauert. Im Frühjahr 2021 hat die deutsche Hauptstadt erste Ergebnisse vorgelegt und darin insgesamt 14 Strecken untersucht. Demnach ging das Blockieren von Radwegen durch parkende oder haltende Autos um knapp 40 Prozent zurück, die Zahl der Radfahrer, die auf Gehwegen fahren, sank auf den untersuchten Abschnitten von 13 auf 7 Prozent. In einer Befragung gaben 73 Prozent der Radfahrer an, sich auf den neuen Radwegen sicher oder sehr sicher zu fühlen. 77 Prozent finden die Einfärbung gut oder sehr gut.
Farbe wirkt – bauliche Trennung ist besser. Oder?
Dabei unterscheidet die Berliner Untersuchung zwischen eingefärbten sowie baulich von der Fahrbahn getrennten Radwegen und lediglich farblich hervorgehobenen oder baulich abgetrennten Radwegen. Die Trennung erfolgt etwa durch Baken, Poller oder Pflanzkübel. Allerdings liegen hier noch keine konsolidierten Ergebnisse vor. Die Forscher beobachteten vor allem, wenig überraschend, dass auf baulich getrennten Fahrradstreifen kaum noch parkende oder haltende Kraftfahrzeuge den Radweg blockieren. Dennoch stellt die Untersuchung „keine relevante Änderung“ bei der mittleren Geschwindigkeit mit dem Fahrrad fest.
Auch der Überholabstand, den überholende Pkw halten, habe sich mit im Schnitt 1,8 Metern nicht geändert. Allerdings sei die Zahl der kritischen Konflikte binnen acht Stunden von sieben auf vier gesunken. Insgesamt scheint die Sicherheitswirkung der farblichen Abgrenzung durch bauliche Trennung nicht erheblich zu steigen. Allerdings sinkt die Zahl der Konflikte noch einmal spürbar, weil die Radspur seltener blockiert wird. Für konkretere Aussagen verweist die zuständige Senatsstelle auf den Abschlussbericht, der für 2023 erwartet wird.
Kreuzungen sind Unfallschwerpunkt
Bestätigen sich die Zwischenergebnisse, ist das eine wichtige Erkenntnis. Baulich abgegrenzte Radwege sind umstritten, auch wenn sie laut einer ADAC-Umfrage das beste subjektive Sicherheitsgefühl schaffen. Denn gleichzeitig bilden sie Barrieren, die auch von Einsatzfahrzeugen oft nicht überwunden werden können. Dann steht der Rettungswagen im Stau, wenn nur eine Pkw-Fahrspur verbleibt. Oder die Feuerwehr kann nicht mehr nah genug zum Löschen an ein Wohnhaus heranfahren. Die bauliche Trennung der Fahrbahn vom Radweg ist also nicht an allen Stellen ohne weiteres möglich, eine genaue Prüfung Pflicht.
Hinzu kommt: Etwa zwei Drittel aller Unfälle mit Radfahrer-Beteiligung ereignen sich an Kreuzungen. Dort lässt sich eine bauliche Trennung vom Autoverkehr ohnehin oft nicht bewerkstelligen. Wo sie nicht möglich ist, zeigt eine farbliche Trennung ein deutliches Sicherheitsplus, sowohl objektiv als auch subjektiv. Letzteres ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich mehr Menschen den Stadtverkehr mit dem Fahrrad zutrauen – und damit umweltfreundlicher und gesünder ans Ziel kommen.
Weiterführende Artikel
Update: Keine Neuauflage der Wallbox-Förderung geplant
- E-Mobilität, Technik & Co.
Diese Wasserstoff-Tankstelle ist die erste ihrer Art
- E-Mobilität, Technik & Co.