Die Ampelschaltung wird schlau

Weniger Autos, mehr Fahrräder, Fußgänger und ÖPNV: Wie smarte Ampelschaltungen helfen können, Innenstädte lebenswerter zu machen und den Schadstoff-Ausstoß zu reduzieren.

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Heiko Dilk

Zu sehen ist eine Ampel
Das Berliner Mobilitätsgesetz fordert die Bevorzugung von Fußgängern im Straßenverkehr. Auch bei der Ampelschaltung [Bildquelle: picture alliance | Robert Schlesinger]

Auch, wenn es für manchen Verkehrsteilnehmer im Dauer-Stau nicht sofort ersichtlich ist: Städte und Kommunen geben sich große Mühe, Ampelschaltungen zu optimieren. Das Ziel: Der Verkehr soll möglichst ungehindert fließen. Doch Ampelsteuerung ist ein ziemlich kompliziertes Unterfangen. 

Die entscheidende Frage lautet: Welcher Verkehr soll fließen? „Was dem einen an Grünzeit zugeschlagen wird, fehlt dem anderen an anderer Stelle, verbunden mit individuell höheren Wartezeiten“, erläutert Robert Oertel vom Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) den klassischen Zielkonflikt an einer Kreuzung.

Dabei geht es nicht nur um Autos, die in verschiedene Richtungen unterwegs sind. Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer und oftmals auch der öffentliche Personen-Nahverkehr (ÖPNV) konkurrieren um den gleichen Verkehrsraum. Damit konkurrieren sie auch um die Ampelphase.

Ampelschaltung: Wettbewerb um die Grüne Welle

„Bei der Planung einer Kreuzungssteuerung wird ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen den einzelnen Zufahrten und Verkehrsteilnehmergruppen angestrebt“, sagt Oertel. Er forscht am DLR unter anderem als Projektleiter an der intelligenten Ampel. Das VITAL genannte Projekt ( „Verkehrsabhängige intelligente Steuerung von Lichtsignalanlagen“) soll helfen, den Verkehrsfluss zu verbessern, indem Ampeln Daten mit Verkehrsteilnehmern austauschen, und zwar über sogenannte „Vehicle-to-X“-Kommunikation (V2X) oder „Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation“ (V2I). „Der Vorteil hierbei ist, dass herannahender Verkehr bereits frühzeitig erkannt und Verkehrsteilnehmer mit Hinweisen zur optimalen Annäherung versorgt werden können“, so Oertel.

Oberflächlich betrachtet spricht viel dafür, Autofahrer zu bevorzugen. Vor allem in der Rush-Hour, wenn die Straßen kaum in der Lage sind, das Verkehrsaufkommen zu verkraften. Denn Stop-and-Go verursacht deutlich mehr Schadstoffe als gleichmäßige Fahrt. CO2-Ausstoß, Stickoxid- und Feinstaubbelastung steigen an. Freie Fahrt für freie Autofahrer also? Keineswegs. Verkehrsplaner denken langfristig und bevorzugen deshalb oftmals Radfahrer, Fußgänger und den ÖPNV.

Zu sehen ist eine Ampel
Ampelsteuerung ist kompliziert, intelligente Ampeln können helfen, den Schadstoffausstoß zu verringern, indem sie den Verkehrsfluss verbessern. Zugleich können bestimmte Verkehrsgruppen bevorzugt werden [Quelle: DLR]

Berliner Mobilitätsgesetz: Vorrang für ÖPNV und Fußgänger

In Berlin sind sie sogar dazu verpflichtet. Dort gilt seit 2018 das Mobilitätsgesetz. Übergeordnetes Ziel ist eine Entwicklung zu umweltschonender Mobilität und einer Erhöhung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Im Einzelnen heißt das unter anderem, dass dem ÖPNV und Fußgänger Vorrang „bei der Straßenraumaufteilung sowie bei der Schaltung von Lichtzeichenanlagen“ eingeräumt wird. Sie sollen mehr Platz und im Zweifel zulasten von Autos und Motorrädern öfter Grün haben. Für den Fahrradverkehr gilt das auf „besonders wichtigen Verbindungen“, dem sogenannten „Vorrangnetz“.

„Das Ziel ist, weniger motorisierten Individualverkehr in der Stadt zu haben, indem man andere Angebote attraktiver macht“, erläutert der Sprecher der Berliner Verkehrsverwaltung Jan Thomsen die Stoßrichtung des Mobilitätsgesetzes.

Die Ampelschaltungen werden diesem Ziel bislang offenbar nur mittelmäßig gerecht. Deshalb will die Verkehrsverwaltung die 2135 Ampeln der Stadt wieder selbst betreiben. Seit 2006 war die Privatfirma Alliander Stadtlicht zuständig, jetzt soll es ein landeseigenes Unternehmen machen. „Es geht vor allem darum, dass man Zielvorgaben deutlich schneller um- und durchsetzen kann, als bei einem Auftragnehmer“, erläutert Thomsen den Schritt. Kurze Entscheidungswege sollen die Umsetzung der Anforderungen des Mobilitätsgesetzes vereinfachen und beschleunigen.

So können smarte Ampeln allen Verkehrsteilnehmern helfen

Für die Berliner Verkehrsverwaltung ist es also weniger ein technisches als ein strukturelles und organisatorisches Problem, dem Mobilitätsgesetz bei der Ampelsteuerung gerecht zu werden. Doch Technik könnte bei der Umsetzung helfen. Zum Beispiel wie es bei VITAL vom DLR erprobt wird. Ein Vorgängerprojekt lief bereits zwischen 2014 und 2016, seit 2018 läuft das Nachfolgeprojekt VITAL.NET. Testfelder gibt es in Hamburg, Braunschweig, Halle, Nohra, Augsburg und in Hefei, in China.

Damit die VITAL-Ampeln „entscheiden“ können, welcher Richtung und welcher Verkehrsgruppe sie den Vorrang einräumen, brauchen sie einen Überblick darüber, wie viele Verkehrsteilnehmende sich der Kreuzung nähern und wo sie sich befinden. „Diese Informationen lassen sich aus Positionen und Zeitstempeln ableiten“, so Oertel vom DLR. Aktuell funktioniert das so ähnlich schon bei manchen Ampelschaltungen, deren Phasen beispielsweise über Kontaktschwellen in der Fahrbahn ausgelöst werden. „Bei der Funkkommunikation sind diese Daten zukünftig unmittelbar verfügbar“, sagt Oertel.

Zu sehen ist eine Ampelkreuzung
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) rüstet Ampeln im Rahmen des Projekts VITAL mit intelligenter Mobilfunk- und Steuerungstechnik aus. So soll der Verkehrsfluss verbessert werden [Quelle: DLR]

Der Ampel-Algorithmus hilft allen – oder nur manchen

Mit diesen Daten könnte VITAL laut Oertel allen Verkehrsteilnehmern helfen. Der motorisierte Individualverkehr würde besser fließen und die Umwelt etwas weniger belasten. Zugleich könnten ÖPNV, Radfahrern und Fußgängern Vorrang eingeräumt werden.

„Heutigen Ampelsteuerungen fehlt eine gewisse Vorausschau. Sie reagieren nur auf den Verkehr und bewerten nicht, welche Folgen eine Schaltentscheidung hat“, sagt Oertel. Das gelte für den Radverkehr genauso wie für öffentliche Verkehrsmittel, Fußgänger und Autos. Der Vorteil von VITAL liege darin, dass im Hintergrund „eine Verkehrsflusssimulation und ein Optimierungsalgorithmus“ laufen. „So können beispielsweise Wartezeiten oder Schadstoffemissionen über alle Verkehrsteilnehmenden hinweg minimiert werden“, erläutert der Ingenieur.

Doch auch den konkreten Zielsetzungen eines Mobilitätsgesetzes, wie es in Berlin gilt, könnten intelligente Ampelschaltungen gerecht werden. Oertel: „Auch die gezielte Bevorrechtigung von bestimmten Verkehrsteilnehmergruppen ist möglich. VITAL ist da flexibel, je nach Erfordernis und was an einer Kreuzung im Mittelpunkt stehen soll.“

Noch fehlt oft die Technik für die smarte Ampelschaltung

Aktuell sind nur wenige Ampeln technisch gut genug ausgerüstet, um wirklich als „smart“ gelten zu können. Die Kreuzung braucht im Idealfall eine Mobilfunkeinheit („Road Side Unit“) und eine Recheneinheit, die den Algorithmus für die intelligente Ampelsteuerung ausführen kann. Die aktuellen Steuergeräte der meisten Ampeln seien dafür nicht leistungsfähig genug, sagt Oertel. „Diese Recheneinheit wird dann in die bestehende Ampelsteuerung integriert.“ Ersatzweise greifen VITAL-Ampeln derzeit noch auf klassische ortsfeste Sensoren zu. So lässt sich zumindest punktuell der Verkehrsstrom erfassen.

Bis der Verkehr wirklich intelligent geregelt werden kann und die Bewegung der Verkehrsteilnehmer bei Ampelschaltungen umfassend berücksichtigt werden kann, wird es also noch etwas dauern. Städte, Ampelhersteller, Autobauer und Forschungseinrichtungen arbeiten jedoch verstärkt am Aufbau von Testfeldern. „Ich denke, wenn die Erprobung in den Testfeldern für die Städte erfolgreich verläuft, dann werden sukzessive immer mehr Ampeln ‚smart‘ aus- und umrüstet werden“, meint Oertel. Zumal dereinst auch automatisierte Shuttles und Autos durch die Städte rollen sollen. Das wird durch smarte Ampeln, die ihre Infos direkt an die autonomen Fahrzeuge übermitteln und durch Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation natürlich deutlich leichter.

Fazit:

An einer Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs in Städten führt kein Weg vorbei. Die Erfahrung zeigt jedoch: Viele Autofahrer sitzen lieber im Stau als in der U-Bahn. Und Stau schadet allen. Eine intelligente Verkehrssteuerung hingegen kann allen Verkehrsteilnehmern helfen. Für die urbane Mobilität der Zukunft sind smarte Ampeln und V2I-Kommunikation unabdingbar.

 

Heiko | @MobilityTalk

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