In der Schweiz reist Ware bald unter der Erde
Die Schweizer Transport-Logistik geht in den Untergrund: Cargo Sous Terrain ist ein Hyperloop für den Warenverkehr, nur viel langsamer. Schon 2031 soll er starten.
Sagen wir es so: Wer will eigentlich wirklich mit bis zu 1000 km/h durch eine unterirdische Röhre geschossen werden? Oder in einer Blechbüchse durch ein eiskaltes Vakuum fliegen, das wir Weltraum nennen? Visionäre wie Elon Musk eventuell, oder der Milliardär Richard Branson, der sich selbst schon als Raumfahrer betätigt hat, ganz sicherlich. Ihre Konzepte wie der HyperloopX oder der Virgin Hyperloop sehen genau sowas vor: Mit 1000 km/h von San Francisco nach Los Angeles. Unterirdisch, in einer Röhre. Was klingt wie Science Fiction, dürfte es auf absehbare Zeit auch bleiben. Der Normalbürger von heute steigt jedoch ebenfalls in die U-Bahn, wenn er schnell durch die Stadt will. Überspitzt gesagt: Oben fahren die Güter, unter der Erde die Menschen.
In der Schweiz könnte sich das bald umdrehen. Dort hat sich der Nationalrat mit einer den Hyperloop-Ideen recht ähnlichen Science Fiction beschäftigt. Das Projekt hat gute Chancen, bald umgesetzt zu werden. Schon in 10 Jahren soll es losgehen. „Cargo Sous Terrain“ (CST) heißt es sprechend. Statt Menschen werden also „Waren unter der Erde“ transportiert. Statt mit bis zu 1000 km/h geht es nur mit 30 km/h voran. Das Schweizer Parlament hat einer entsprechenden Gesetzesvorlage zugestimmt, Ende des Jahres soll das Gesetz über den unterirdischen Gütertransport (UGüTG) in Kraft treten. Damit wäre die rechtliche Grundlage für die Umsetzung geschaffen. CST-Verwaltungsratspräsident Peter Sutterlüti zeigt sich in einer Mitteilung begeistert:
„Diesen Meilenstein für unsere Aktionäre und Mitarbeitenden haben wir nur dank der aktiven Unterstützung von Bundesrat, Verwaltung und nun auch der Politik erreicht.“
Peter Sutterlüti, CST-Verwaltungsratspräsident
So funktioniert CST
Die Renderings, die CST von der kleinen Untergrund-Bahn zeigt, sehen futuristisch genug aus, die Beschreibung des Vorhabens klingt allerdings deutlich trockener: „Gesamtlogistiksystem für den flexiblen Transport kleinteiliger Güter“, nennt CST das Ganze. Über Tunnel werden verschiedene Logistikzentren, sogenannte Hubs, miteinander verbunden. Oberirdisch erfolgt die Verteilung der Waren, die über Lkw, Schiffe, Frachtflugzeuge oder Güterzüge angeliefert werden, auf kleinere Transportfahrzeuge. Die gelangen per Lift in den Tunnel, wo sie sich autonom mit 30 km/h zur Feinverteilung zu weiteren Hubs bewegen.
Bereits im Tunnel erfolgt eine Bündelung der Waren für die Verteilzentren in den belieferten Städten. Die Wagen können zu Konvois zusammengeschlossen werden, sich wieder ausklinken und weitgehend frei auf drei bis vier Spuren navigieren. Spezielle Aufbauten für besondere Waren seien ebenso möglich wie der Transport auf genormten Paletten oder in Kühlwagen, so CST. An einer Paket-Hängebahn sollen zudem kleinere Güter mit 60 km/h durch den Tunnel transportiert werden. Neben dem Warentransport denkt CST auch an die Entsorgung von Abfall und Recycling-Gütern.
Das bringt CST
Die Vorteile von CST liegen auf der Hand: Durch den unterirdischen Transport wird das oberirdische Straßen- und Schienennetz entlastet. Weniger Lkw bedeuten weniger Verkehr und weniger Verkehrslärm. Statt sich mit anderen Verkehrsteilnehmern auf den Straßen zu drängeln, reisen Waren in einem separaten, geschlossenen System – das verbessert die Planbarkeit und Pünktlichkeit. Da Fahrzeuge und Verteillogistik elektrisch mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden sollen, sollen auch die CO2-Emissionen sinken. Wobei CST ebenso in Konkurrenz zur Bahn treten könnte, womit die Entlastung des Verkehrsraums kein Selbstgänger mehr ist.
Und für den Transport auf der „letzten Meile“ bieten die Tunnel zunächst ebenfalls keine Entlastung, da die Hubs weiterhin in der Peripherie liegen. CST plant jedoch, die Verteilung zentral zu übernehmen. So liefert nicht mehr jeder Logistikdienstleister seine eigenen Waren separat aus, sondern CST übernimmt die Verteilung für alle. Dafür sollen umweltfreundliche und in Zukunft auch autonome Transportfahrzeuge eingesetzt werden. Die bessere Steuerung und Koordination soll den Lieferverkehr in den Städten insgesamt reduzieren. CST spricht von einer Entlastung um bis zu 30 Prozent beim Lieferverkehr – in den „smarten Städten der Zukunft.“
Baubeginn 2026
Und es klingt ja auch nach Zukunft. Fast nach Science Fiction, doch mit dem Bau der ersten Strecke will CST schon 2026 beginnen, bis dahin sollen das Logistik-Konzept und die Hubs ausgebaut werden. Ab 2031 soll das 70 Kilometer lange Teilstück zwischen Zürich und Härkingen-Niederbipp den Betrieb aufnehmen, 10 Hubs für die Feinverteilung sind unterwegs entlang der Strecke geplant.
Bis 2045 entsteht nach den Planungen ein 500 Kilometer langes Netz, das praktisch alle wichtigen Ballungsräume der Schweiz erschließt: Von St. Gallen im Osten über Winterthur, Zürich, Bern und Lausanne bis nach Genf im Westen der Schweiz. Basel, Luzern und Thun werden über abzweigende Arme ebenfalls angeschlossen. Die Kosten für den ersten Abschnitt beziffert CST mit etwa 3 Milliarden Schweizer Franken (ca. 2,8 Milliarden Euro).
Davon, dass CST einen Beitrag zur Dekarbonisierung des Lieferverkehrs leisten kann, sind die Grünen im Nationalrat indes nicht gänzlich überzeugt, wie die NZZ berichtet. Die Parteien SVP und FDP melden zudem Zweifel daran an, dass das futuristische Tunnelsystem wirtschaftlich betrieben werden könne. Scheitert das Projekt, müsste die komplette Infrastruktur zurückgebaut werden. Die Finanzierung soll komplett ohne öffentliche Mittel durch die Cargo Sous Terrain AG erfolgen. Daran beteiligt sind diverse große Unternehmen aus Transport und Logistik, Einzelhandel, Banken, IT- und Telekommunikation. Darunter ist übrigens Richard Bransons Virgin Hyperloop. Da schließt sich also der Kreis.
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