Wann kommt ein Tempolimit auf Autobahnen?

Die unendliche Diskussion: Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen steht regelmäßig zur Debatte. Ob es tatsächlich kommt? Hier ist der aktuelle Stand.
Constantin Bergander
Constantin Bergander
Tempolimit 130 km/h in Deutschland
Kommt ein Tempolimit oder nicht? Neue Argumente sprechen für eine gesetzlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit. Alle Entwicklungen und Fakten im Überblick (Symbolbild) [Bildquelle: picture alliance / photothek | Florian Gaertner]

Nur wenige Themen beschäftigen die deutsche Politik so dauerhaft wie ein generelles Tempolimit. Seit 1953 darf in Deutschland jeder schnell fahren, der eine geeignete Fahrerlaubnis besitzt. Nur während der ersten Ölkrise galt in Deutschland zwischen November 1973 und März 1974 eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Das sollte knappes Öl sparen.

Bisher ist das die einzige Ausnahme in fast 70 Jahren ohne generell vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit. Das könnte sich bald ändern. Denn im Mai 2022 argumentieren die Umweltminister*innen der Länder heute ähnlich wie ihre Kolleg*innen Anfang der 1970er Jahre: Ein generelles Tempolimit sei eine „schnelle, effektive Maßnahme, um viele Millionen Liter Sprit und Tonnen CO2 im Jahr einzusparen“. Mittlerweile geht es aber weniger um die bloßen Ressourcen, sondern um Unabhängigkeit von Ölimporten.

Ob sich die Forderung durchsetzen kann, bleibt unklar. Die Regierung spricht sich im Koalitionsvertrag auf Drängen der FDP gegen ein allgemeines Tempolimit aus. Der Krieg in der Ukraine und die energetische Abhängigkeit von bestimmten Ländern bringt das Thema dennoch wieder auf die Agenda. Laut der TÜV Mobility Studie 2022 unterstützen 56 Prozent der Befragten die Maßnahme. Hier sind alle Fakten und Argumente. Wir aktualisieren diesen Artikel, sobald es Neuigkeiten gibt.

Tempolimit in Deutschland: Die Fakten im Jahr 2022

  • Seit 1953 gibt es auf Autobahnen kein generelles Tempolimit (Ausnahme: Ölkrise)
  • SPD und Grüne führten ein Tempolimit in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl auf
  • Die FDP verhinderte den Eintrag eines Tempolimits in den Koalitionsvertrag
  • Umweltminister*innen der Länder fordern ein Tempolimit für die Unabhängigkeit von Ölimporten
  • ADAC-Mitglieder sind mehrheitlich für ein Tempolimit (50% dafür, 45% dagegen, Umfrage von 2021)
  • Laut einer TÜV-Studie befürworten 56 Prozent ein Tempolimit auf Autobahnen
  • Ein Tempolimit von 130 km/h könnte pro Jahr 1,5 Millionen Tonnen CO2 (1,6%) bzw. 600 Mio. Liter Kraftstoff einsparen
  • 77 Prozent aller Autofahrenden fahren auf der Autobahn langsamer als 130 km/h
  • Pro 1.000.000.000 gefahrener Autobahnkilometer sterben dort aktuell statistisch gesehen 1,5 Menschen. Autobahnen sind also sicherer als alle anderen Straßen.

TÜV Mobility Studie 2022: Tempolimit als CO2-Bremse

Die Ipsos GmbH hat im Auftrag des TÜV-Verbandes e.V. eine Studie mit 1.000 Teilnehmern im Alter von 16 bis 75 Jahren durchgeführt. Das Ergebnis: 56 Prozent aller Teilnehmer würden einem generellen Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen als Maßnahme gegen die Klimabelastung zustimmen. 40 Prozent befürworten zudem ein Höchsttempo von 30 km/h in Städten.

Die Haltung der Umweltminister*innen der Länder zum Tempolimit

Während ihrer Konferenz in Wilhelmshaven haben sich die Umweltminister*innen der Länder für ein generelles Tempolimit ausgesprochen. „Wir müssen Klimaschutz auch durch ein Tempolimit mit voranbringen“, sagte Olaf Lies (SPD, Niedersachsen). Zwar hätten Bayern und Nordrhein-Westfalen in einer Protokollnotiz vermerkt, dass sie die Wirkung eines Tempolimits für begrenzt hielten und dieses „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ nicht mittrügen. Der Beschluss, der weitere Punkte zum Klimaschutz und zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine enthält, sei aber einstimmig auch mit den Stimmen dieser beiden Bundesländer gefasst worden.

Bisher nennen die Umweltminister*innen kein neues Höchsttempo. Lies favorisiert Tempo 130. Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) beschreibt das generelle Tempolimit auf Autobahnen als schnelle und effektive Maßnahme. Sie könne viel Kraftstoff und CO2 einsparen. Das Tempolimit helfe dem Klimaschutz und mache unabhängiger von Ölimporten.

Der Verkehrsminister zum Tempolimit

Bundesverkehrsminister Volker Wissing lehnt ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen ab. Dabei äußert er zum Teil kuriose Argumente: Im April 2022 sagte er in einem Interview mit der „Hamburger Morgenpost“, dass für ein vorübergehendes Tempolimit nicht genügend Schilder auf Lager seien. Im Mai 2022 wies er bei einer Konferenz der G7-Minister darauf hin, dass Social-Media-Posts für einen enormen Energieverbrauch sorgen würden.

Die Position der Autoclubs zum Tempolimit in Deutschland

Der ADAC stellte sich viele Jahre lang gegen ein Tempolimit. Anfang 2020 änderte sich dies: „Die Diskussion um die Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen wird emotional geführt und polarisiert bei den Mitgliedern“, sagte damals ADAC-Vizepräsident Gerhard Hillebrand. „Deshalb legt sich der ADAC in der Frage aktuell nicht fest.“

Der Club bleibt seitdem bei einer neutralen Position. Statt sich festzulegen, lässt er seine Mitglieder für sich sprechen: 50 Prozent geben an, ein Tempolimit zu befürworten. 45 Prozent sind dagegen. Der ACE geht mit dem Thema deutlicher um: Seit 2019 spricht sich der Autoclub für ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf deutschen Autobahnen aus. Mit Blick auf den Ölverbrauch schlägt der Auto Club Europa ein befristetes Tempolimit von 100 km/h vor.

Tatsächlich gefahrene Tempi auf deutschen Autobahnen

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat im Jahr 2021 Echtzeitdaten von Autobahnabschnitten ohne Tempolimit ausgewertet. Nach eigenen Angaben wurden 1,2 Milliarden Fahrten auf 1.762 Fahrstreifen erfasst. Aus diesen Daten geht hervor, dass 77 Prozent aller Autos auf freigegebenen Abschnitten langsamer als 130 km/h fahren. 12 Prozent fahren im Geschwindigkeitsbereich zwischen 130 und 140 km/h. Nur 2 Prozent würden schneller fahren als 160 km/h.

Zahlen und Fakten: Verletzte und Tote auf der Autobahn

Im Jahr 2021 erfasste das statistische Bundesamt 2.310.662 Unfälle in Deutschland. Bei diesen Unfällen verletzten sich 321.935 Personen. 2.564 Menschen starben. Absolut betrachtet ist das eine erschreckend hohe Zahl. Die gute Nachricht: 2021 setzte sich der Abwärtstrend der Vorjahre (2020: 2.720 Tote; 2019: 3.046 Tote; 2018: 3.275 Tote) fort. Das sinkende Verkehrsaufkommen aufgrund der Corona-Pandemie ist in dieser Entwicklung nicht berücksichtigt.

Auf Autobahnen verletzten sich im Jahr 2021 bei Unfällen 16.341 Personen, 319 Menschen starben. Hochgerechnet sind das 6,3 Prozent aller Unfälle mit Personenschäden und 12,4 Prozent aller Unfälle mit Todesfolge. Der ADAC ordnet diese Werte ein: Pro Milliarde gefahrener Fahrzeugkilometer sterben auf Autobahnen 1,5 Menschen. Auf Bundesstraßen sind es gut dreimal so viele (4,7 Prozent).

Der Club folgert, dass ein generelles Tempolimit nicht das Sicherheitsniveau erhöhen würde, weder im internationalen noch im nationalen Vergleich. Länder mit Tempolimits auf Autobahnen (z.B. Frankreich, Belgien, USA) und begrenzte Autobahnbereiche in Deutschland weisen kein höheres Sicherheitsniveau auf.

In einer Pressemeldung aus dem Jahr 2020 schreibt das Statistische Bundesamt, eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“ sei für 46 Prozent aller Verkehrstoten auf Autobahnen mitverantwortlich. Dies gelte allerdings gleichermaßen für Abschnitte mit und ohne Tempolimit.

So würde sich ein generelles Tempolimit auf den CO2-Ausstoß auswirken

Aus einer Untersuchung des Umweltbundesamtes aus dem April 2022 geht hervor, dass ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen den CO2-Ausstoß pro Jahr um 1,5 Millionen Tonnen reduzieren könnte. Hochgerechnet auf den CO2-Ausstoß aller Pkw und leichten Nutzfahrzeuge wäre das eine CO2-Reduktion von 12,4 Prozent.

Was bedeutet das genau? Um die gleiche Menge CO2 einzusparen, müssten rund 8,3 Millionen Kompakt-Pkw mit Benzinmotor ein Jahr lang stillstehen – oder gegen Elektroautos ausgetauscht werden, die ausschließlich mit CO2-neutralem Strom geladen werden. Nicht eingerechnet ist in beiden Fällen die Möglichkeit, dass Autofahrende auf andere Verkehrsmittel umsteigen.

Sinkt die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h, würden laut Umweltbundesamt 2,0 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Ein generelles Tempolimit von 100 km/h könnte den CO2-Ausstoß um 4,3 Millionen Tonnen mindern.

Der internationale Vergleich: Tempolimits auf der ganzen Welt

Im Internet verbreiten sich Infografiken und Memes, die Länder ohne generelles Tempolimit auflisten. Stets dabei: Deutschland, Afghanistan und Nordkorea, außerdem oft Somalia, Libanon und Haiti. Aber stimmt das?

Nein: Deutschland ist das einzige Land, in dem keine vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen gilt. Laut Recherchen des Fachmagazins „Auto Motor und Sport“ dürfen Fahrzeuge in Afghanistan generell maximal 90 km/h fahren. Nordkoreanische Verkehrsregeln sind für Ausländer nicht einsichtig. Die Straßen seien dort allerdings nicht für schnelles Fahren geeignet.

Einzig auf der Isle of Man vor der Küste Großbritanniens gilt kein generelles Tempolimit. Es wurde im Jahr 1904 aufgehoben, um Touristen mit Motorsportveranstaltungen anzulocken. Das funktioniert noch heute: Die Tourist Trophy ist eines der beliebtesten (und gefährlichsten) Motorradrennen der Welt. Allerdings eignen sich die Straßen auf der Isle of Man nicht für dauerhaft schnelle Fahrten.

International gibt es die höchsten Tempolimits in den Vereinigten Arabischen Emiraten (160 km/h auf zwei Teilstücken eines Highways), Polen (140 km/h) und der US-Bundesstaat Texas (85 mph bzw. 137 km/h auf einem Highwayabschnitt).

Constantin Redakteur mobility.talk

Fazit: Kommt ein Tempolimit?

Aktuell sieht es nicht nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen aus, jedenfalls nicht nach einem dauerhaften. Die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit wäre ein starkes Symbol. Die FDP würde ihre prestigeträchtigste Errungenschaft des Koalitionsvertrages aufgeben. Bis es so weit kommt, müsste der Druck deutlich wachsen.

Constantin | @MobilityTalk

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