Wann kommt die Verkehrswende beim Pendeln?
Die Politik hat Pendelnde stets im Blick: mit der Pendlerpauschale. Ein Irrweg, sagt die Agora Verkehrswende. Und fordert eine Verkehrswende auf dem Weg zur Arbeit.
Millionen Deutsche fahren mit dem Auto zur Arbeit – und pendeln dabei im Schnitt immer weitere Strecken. Auch, weil die Politik das über Dienstwagenprivileg und Entfernungspauschale seit Jahrzehnten fördert. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Thinktanks Agora Verkehrswende. Das schadet nicht nur dem Klima und droht, die Infrastruktur zu überlasten. Es treibt die Menschen aktuell auch in eine „Ölpreisfalle“, so die Studienmacher. Die Kosten für Sprit lassen die Kosten für die notwendige Mobilität steigen, ohne dass der Einzelne sich davor schützen kann.
Wie sollte die Politik, sollten Bund und Kommunen vorgehen, um hier nicht nur zu helfen, sondern auch mittel- und langfristig die Klimabilanz des Pendelns zu verbessern? Das war das Thema der Studie „Wende im Pendelverkehr“. „Pendlerinnen und Pendler brauchen von der Politik nicht immer neue finanzielle Entlastungen, sondern einen Plan, wie sie zukünftig klimafreundlich zur Arbeit kommen können“, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. 22,4 Prozent der klimarelevanten Emissionen des Personenverkehrs entfallen demnach auf das Berufspendeln, und die lassen sich mit 95 Prozent fast vollständig dem Pkw-Verkehr anlasten. Beim Pendeln liege der Autoanteil erheblich höher als in anderen Verkehrsbereichen, nämlich bei 74 Prozent der zurückgelegten Kilometer.
Privilegien des Autos abbauen
Um dem beizukommen, setzen die Forschenden auf den Abbau „überholte Privilegien des Autoverkehrs“: Gute Verbindungen bei Bus, Bahn und Fahrrad allein könnten den Autoanteil kaum reduzieren. Instrumente wie Parkraummanagement, Tempolimits und Vorfahrtsregelungen stünden den Kommunen zur Verfügung, um „die Nutzungskosten und Reisezeiten der Verkehrsmittel anzugleichen“. Auch Gebühren bei der Benutzung besonders belasteter Straßen seien ein mögliches Instrument, ebenso eine bundesweite Pkw-Maut. „Nur wenn die Pendelnden für die tatsächlichen Kosten für Autobesitz und Autonutzung aufkommen müssen, wird ein Umstieg auf alternative Verkehrsmittel in Erwägung gezogen“, so Hochfeld.
Als zentralen Hebel sieht die Studie einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Wo er schon vorhanden ist, braucht es eine höhere Taktung. Daneben gehe es darum, leistungsfähige Nahverkehrs-Achsen zu ergänzen – zum Beispiel durch Quartiersbusse und Fuß- und Radverkehrsangebote, um auch die erste und letzte Meile von Strecken unabhängig vom Auto zurücklegen zu können: „Wenn diese Tür-zu-Tür-Mobilität nicht gewährleistet werden kann, wird im schlechtesten Fall die komplette Pendelstrecke mit dem Auto zurückgelegt und die leistungsfähige ÖPNV-Verbindung entfaltet nicht ihre vollständige Wirkung.“
Hauptproblem nach Ansicht der Agora-Expert*innen: In vielen Fällen endet der Gestaltungsspielraum der Kommunen an der Stadtgrenze. Die Ströme des Pendelverkehrs seien regional jedoch ungleich verteilt. Notwendig seien daher sowohl eine integrierte Planung der Verkehrsträger, Mobilitätsanbieter oder Bauunternehmen als auch regionale Netzwerke entlang der großen Pendelströme.
Empfohlene Maßnahmen der Bundespolitik
Den Anstoß könne jedoch vor allem die Bundespolitik leisten: Wichtige Hebel seien hier die Planung und Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur, etwa im Bundesverkehrswegeplan, Steuern, Abgaben und Subventionen im Straßenverkehr wie Entfernungspauschale, Kfz-Steuer, Diesel- und Dienstwagenprivileg und die Einbindung der Unternehmen – etwa beim Recht auf Homeoffice. Die Ampel-Koalition hatte im Februar im ersten Entlastungspaket angesichts gestiegener Energiepreise beschlossen, die Pendlerpauschale anzuheben. Zugleich hatte sie jedoch vereinbart, in dieser Legislaturperiode eine Neuordnung der Pendlerpauschale anstreben zu wollen, unter Berücksichtigung „ökologisch-sozialer Belange“. Die Bundesregierung solle diese Neuordnung als Einstieg in eine umfassende Reform des Pendelverkehrs nutzen, so Christian Hochfeld.
In der Studie nennt die Agora Verkehrswende verschiedene Maßnahmen, die auf Bundes- und kommunaler Ebene wirken könnten. Einige Forderungen:
- Verkehrsrecht: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, Parkverbot als Normalfall
- Bundesweite Pkw-Maut
- Recht auf Homeoffice, Verantwortlichkeit von Unternehmen für Mobilität ihrer Angestellten
- Kfz-Steuer: Deutliche Stärkung der CO2-Komponente
- Klares Signal für Verbrenner-Ausstieg
- Interdisziplinäre Forschung zum Pendelverkehr
Pendel-Wende nicht ohne Gesamtstrategie
Dem Bund obliegt also im Wesentlichen, die Daumenschrauben beim Thema Pkw-Nutzung anzuziehen. Kommunen hingegen sollten sich, so die Studie, um den Aufbau von alternativen Strukturen kümmern: Bus und Bahn, Feinerschließungssysteme, Tarifsysteme, Radverkehrsförderung, sowie den Abbau von Autoprivilegien vor Ort. Auch die Siedlungsstrategie sieht die Agora als wichtigen Aspekt, etwa über die Entwicklung von Nahverkehrsachsen. Wichtig sei hierbei, alle Akteure in eine integrierte und an Pendelbewegungen orientierte Gesamtstrategie einzubinden.
„Die Wende im Pendelverkehr gehört weit nach oben auf die politische Agenda – bei der Bundesregierung genauso wie in den Kommunen und Regionen“, so die Agora Verkehrswende. Sie sei ein wichtiger Hebel auf dem Weg zur Klimaneutralität und ein adäquates Instrument zum Umgang mit steigenden Energiekosten.
Die Studie der Agora Verkehrswende „Wende im Pendelverkehr“ kann hier heruntergeladen werden
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