Akku, wechsele Dich: Der Nio ET7 im Test
Viele seiner Fähigkeiten teilt sich der Nio ET7 mit den meisten anderen Elektroautos. Er fährt spontan und flink, komfortabel, außerdem angenehm leise und mit spürbarem Übergewicht – so weit, so normal. Ein Detail unterscheidet die chinesische 5,10-Meter-Elektro-Limousine aber von allen anderen Modellen auf dem Markt: Sie verfügt über einen schnell wechselbaren Akku. Perspektivisch können Nio-Fahrende ihren Energiespeicher während der Langstreckenfahrt einfach gegen eine geladene Batterie tauschen, wenn er leer ist. Das dauert ungefähr so lange wie 50 Liter Diesel tanken.
Pro
Das gefällt uns am Nio ET7
- Schneller Akkutausch
- Intelligenter Assistent
- Stromverbrauch
- Fahrleistungen
- Platzverhältnisse
Kontra
Das gefällt uns weniger am Nio ET7
- Lenkung
- Materialanmutung
- Bedienung
- Vorerst nur Miete
Und es funktioniert voll automatisch: Das Auto fährt selbstständig (mit allen Passagieren an Bord) in die Wechselstation hinein, wird dort ausgerichtet und mit der neuen Batterie versorgt. Die Abrechnung erfolgt bargeldlos.
Es ist eine gute, aber keine neue Idee, die Nio umsetzt. Das israelische Startup Better Place bemühte sich zwischen 2007 und 2013 gemeinsam mit Renault um eine ähnliche Funktion, scheiterte aber an Umsetzung und Abrechnung. Tesla kündigte 2013 ebenfalls einen Akkuwechsel für das Model S an. Insidern zufolge fehlte dem Autobauer damals aber das Geld für den Serienanlauf. Steigende Ladeleistungen ließen das Projekt schließlich sterben.
Nio ET7 mit Wechselakku: Marktstart 2023
Nio startet nun einen eigenen Versuch. Die Mittel zum erhofften Erfolg: Eine Fahrzeugflotte, die durchgehend das gleiche Akkupaket nutzt, beginnend mit dem ET7. Und genügend finanzielle Ausdauer, um Europa mit Wechselstationen zu pflastern. Die Suche nach Standorten verläuft gut, sagt der Hersteller. Die Anbieter von Ladesäulen sehen diese Stationen nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Sie wollen kooperieren.
Bis Ende 2023 soll es in Europa 120 der sogenannten „Power Swap Stations“ geben. Aktuell entsteht die dritte europäische Station in Berlin. In China existieren bereits mehr als 900 dieser Stationen. Alle lagern geladene Akkus. Fährt ein Auto hinein, löst eine Mechanik automatisch alle Schrauben des Akkus, senkt die leere Batterie ab und befestigen eine volle. Einziger Nachteil zum Tankvorgang: Während des Wechsels ist das Auto stromlos. Onboard-Unterhaltung gibt es in diesem Zeitraum also nicht. Aber es gibt ja noch das Handy. Oder Mitfahrende.
Es ist ein toller, sinnvoller Trick, den Nio während der ersten Fahrt in der großen Elektro-Limousine ET7 vorführt. Denn hohe Ladeleistungen (Nio ET7: mäßige 130 kW) wären bald nicht mehr nötig, um schnell neue Energie zu übermitteln. Außerdem könnten Bestandsfahrzeuge neue Akkus mit größeren Kapazitäten erhalten. Zunächst bietet Nio 75 oder 100 kWh im ET7 an. Bald folgt eine Batterie mit 150 kWh, sagt der Hersteller. Die lässt sich in allen Autos nachrüsten.
Viel Leistung, mäßige Fahreigenschaften im Nio ET7
Um am Markt zu bestehen, muss der ET7 aber mehr können. Nio rüstet das Auto deshalb serienmäßig mit allem aus, was die Konkurrenz vormacht. Dazu gehören ein komfortables Luftfahrwerk und eine Motorleistung von 580 kW (653 PS). Im schnellsten Modus flitzt die große Limousine mit ihren zwei Elektromotoren in beeindruckenden 3,8 Sekunden auf Tempo 100 – noch ein toller Trick, aber ein alter, der langsam langweilig wird.
Die sanfte Federung gehört im Segment zum guten Ton und funktioniert im Nio in den meisten Situationen gut. Das Auto roll geschmeidig ab und fühlt sich bei hohem Tempo wohl. Dabei erreicht es aber nicht ganz das unumstößliche Sicherheitsgefühlt der großen Limousinen aus Süddeutschland. Das liegt allerdings weniger an der Aufhängung (Fünflenkerachse vorn, Mehrlenkerachse hinten) und mehr an der gefühllosen und beliebigen Lenkabstimmung.
Die angebotenen Fahrprogramme beeinflussen das Lenkgefühl. Aber sie legen nur mehr oder weniger Gewicht ins Volant. In allen Programmen bleibt die Lenkung in der Mittellage zu nervös und bei zunehmendem Einschlag zu zaghaft. Die lineare Auslegung sorgt dafür, dass sich das Auto träge und unwillig anfühlt und nicht recht ums Eck mag. Dazu kommt ein großer, vom Hersteller noch nicht bezifferter Wendekreis. Eine variable Lenkübersetzung könnte das Gefühl verbessern, aber die ist nicht im Angebot. Eine Hinterachslenkung fehlt ebenfalls.
Der Nio ET7 fährt sparsam
Dynamisch mag sich der Nio trotz seiner Kraft, des niedrigen Schwerpunkts und straffen Dämpfern im Sport-Modus nicht anfühlen. Auch, weil 2,4 Tonnen Leergewicht die Reifen ordentlich strapazieren. Dafür bringt er eine andere, wichtigere Qualität mit: Er bewegt sich effizient. Während der ersten Fahrt unterbietet er seinen angegebenen Normverbrauch (19 bis 21,8 kWh pro 100 Kilometer) locker: Der Bordcomputer ermittelt einen Durchschnittswert von 17 bis 18 kWh. Seinen Bestwert von etwa 11 kWh erreicht er in der Stadt. Auf der Autobahn pendelt er sich bei rund 20 kWh ein.
Mit 100 kWh Akkukapazität ergibt das eine mögliche Langstreckenreichweite von fast 500 Kilometern – allerdings bei idealen Bedingungen. Nio gibt einen Normwert von 505 bis 580 Kilometer an. Mit dem großen Akku startet der ET7 etwas später. Zunächst kommt er mit einer kleineren 75-kWh-Batterie, genug für 385 bis 445 Kilometer laut Norm.
Akkugröße und Farbgebung sind die einzigen Optionen im Nio. Alles andere gibt es serienmäßig. Dazu gehören Heizung, Lüftung und Massagefunktion auf den vier äußeren Sitzen, eine tolle Audioanlage, die übliche Assistenz samt teilautonomer Fahrfunktionen, zwei Tonnen Anhängelast, Head-up-Display, Sitzbezüge aus Kunstleder und eine virtuelle Assistenz.
Nio nennt den digitalen Helfer Nomi. Niedlich: Emojis vermenschlichen die künstliche Intelligenz. Sie blicken in Richtung der sprechenden Person, drücken Zustände wie Nachdenken aus und tanzen zur Musik. Ein Dialog mit dem Auto fühlt sich deshalb weniger seltsam und mitunter richtig unterhaltsam an. Die wichtigsten Funktionen kann Nomi bereits. Langfristig sollen weitere folgen. Wichtig für den Datenschutz: Nomi lässt sich soweit deaktivieren, dass keine Informationen gespeichert oder übermittelt werden.
Ein Auto für China in Europa
Dass Nio in Europa noch am Anfang steht, lässt sich der Hersteller kaum anmerken. Das Design der Autos entsteht in München und nutzt Technologie als Stilmittel: Kamera- und Lidartechnik trägt das Auto betont offen zur Schau. Die Luftfederung kauft Nio bei Continental ein. Und so manches Detail erinnert an das, was die Konkurrenz ähnlich macht: Die Türgriffe fahren wie beim Mercedes EQE aus der Karosserie, das Infotainmentsystem sieht dem von Tesla verdächtig ähnlich.
Trotzdem ist der Autobauer noch nicht ganz in Europa angekommen. Nominell passt der Nio ET7 mit 5,10 Metern Länge zwar (gerade so) neben Audi A6, BMW 5er und Mercedes E-Klasse sowie EQE in die beliebte Business-Klasse. Er konzentriert sich aber stark auf die Beinfreiheit im Fond und ein hübsches Aussehen. Dabei vernachlässigt er die Qualität: An vielen Stellen fühlt sich der Kunststoff billig an. Besonders an der Mittelkonsole, denn die scheppert beim Zuklappen.
Außerdem fehlt dem Auto ein großer Laderaum. Genaue Ziffern nennt Nio nicht. Aber der ET7 lädt ungefähr so viel Gepäck ein wie ein VW Golf, also etwa 400 Liter. Damit erreicht er nicht einmal das überschaubare Klassensoll von rund 500 Litern. Mit einem Tesla Model S (793 Liter) sollte man ihn in diesem Punkt nicht vergleichen. Mehr Laderaum soll es erst langfristig im SUV ES7 geben.
Nio ET7: Listenpreis und Mietmodell
Der ET7 wird also eine Art Leuchtturm für Nio. Er zeigt mit Größe, Komfort, guten Ideen und vielen digitalen Lösungen die Richtung an. Modern soll er sein. Und zwar ab der ersten Sekunde: Nio bietet ihn ausschließlich zur Miete an. Die Limousine mit kleinem Akku kostet samt Service, Hol- und Bringdienst und Winterrädern 1.199 Euro pro Monat bei einer Mietdauer von drei Jahren. Nio will Laufzeiten zwischen einem Monat und fünf Jahren anbieten.
Der Hersteller verspricht, er wolle beim Vertriebsmodell auf die Wünsche der Kunden reagieren. Wenn es genügend Interessenten für den Kauf geben sollte, werde man das Modell überdenken, sagt Nio. In der Liste der förderfähigen Elektroautos steht der ET7 mit einem Nettopreis von 58.739,50 Euro. Mit Steuer würde der Wagen also 69.900 Euro kosten.
Ein großes SUV (EL7) und eine Mittelklasse-Limousine (ET5) hat Nio bereits vorgestellt. Beide nutzen das gleiche Akkupaket wie der ET7. Wenn Nio lange genug durchhält und die versprochenen Akkuwechselstationen installiert, dann könnte die Marke Teslas Reifenspuren folgen. Das wäre der wichtigste Trick. Allerdings muss sich Nio einen anderen Anspruch gefallen lassen. Denn der Hersteller ist kein Pionier, der vor lauter Eifer (mehr oder weniger) verzeihbare Fehler macht. Sondern ein Follower, der in einen breiten Markt eindringen möchte.
Technische Daten – Nio ET7
Modell | Nio ET7 |
Reichweite (WLTP) | 505 – 580 km |
Ladedauer DC | 40 Minuten (10-80 Prozent) |
Ladeleistung DC | 130 kW |
Ladedauer AC | ca. 10 Stunden |
Ladeleistung AC | 11 kW |
Kofferraum | k. A. |
Länge | 5.101 mm |
Breite | 1.987 mm |
Höhe | 1.509 mm |
Radstand | 3.060 mm |
Gewicht | 2.379 kg |
Akkukapazität | 100 kWh (brutto) |
0-100 km/h | 3,8 s |
Geschwindigkeit | 200 km/h |
Leistung | 480 kW (653 PS) |
Drehmoment | 850 Nm |
Antrieb | Elektrisch, Front und Heck (jeweils ein Motor) |
Verbrauch (Norm) | 19,0 – 21,8 kWh/100 km |
Basispreis | 69.900 Euro (Basispreis laut Bafa, in Deutschland vorerst nur mit Mietmodell |
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