Tesla: Vom Moneyburner zum Branchenprimus?
Bei Tesla gibt es derzeit nur gute Nachrichten: Auslieferungsbestmarken, Börsenrekorde, Großbestellungen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein Muster, das Tesla von allen Wettbewerbern unterscheidet.
So geht cool: Elon Musk hatte einen Gast-Auftritt im Blockbuster „Iron Man“. Allein schon das unterscheidet Tesla von vielen anderen Autoherstellern. Und das auch: Tesla hat keine Geldsorgen. Die Marktkapitalisierung des Unternehmens beträgt nun erstmals mehr als eine Billion Dollar, das Unternehmen beflügelt seit vielen Jahren die Fantasie der Aktionäre – und hat dabei stets mehr Fantasie verkauft als Autos. Auch, wenn Tesla inzwischen mehr Autos bauen und verkaufen kann als etwa Opel.
Richtig ist: Tesla ist aktuell der größte Elektroauto-Hersteller der Welt. Nach Angaben von „EV Volumes“ erreichte die Marke im ersten Halbjahr 2021 einen globalen Marktanteil von 14,5 Prozent. Auf Platz 2 folgt die Volkswagen-Gruppe mit 12,5 Prozent. Auch auf Modellebene liegt Tesla mit dem Model 3 vorn, mit rund 215.000 Verkäufen im Jahresrückblick. Auf den Plätzen folgen der chinesische Wuling Hongguang (125.000), Teslas Model Y (100.000) und der Nissan Leaf mit 86.000 Einheiten.
Model 3 stärker als Golf?
Große Überraschung jedoch: Im September 2021 führt Teslas Model 3 in Europa nach Daten von Jato Dynamics erstmals die Neuzulassungs-Hitliste an, vor Renault Clio, Dacia Sandero und VW Golf. Im Vergleich dazu schrumpfte der europäische Gesamtmarkt im September um 23 Prozent, wie Zahlen des Branchenverbandes ACEA zeigen. Hauptauslöser ist die Chip-Krise.
Dabei handelt es sich um eine Momentaufnahme. Insgesamt wächst der europäische Pkw-Markt 2021. Besonders aber: Teslas Zulassungszahlen in Europa weisen regelmäßig große Sprünge auf. Da die Fahrzeuge bisher noch aus den USA bzw. China nach Europa kommen, entstehen immer wieder „Zulassungsspitzen“. In der Branche hört man oft hinter der vorgehaltenen Hand, dass Tesla Auslieferungen zurückhalte, um sie kumuliert freigeben zu können. Meist im letzten Monat eines Quartals. Da könnte etwas dran sein: Im Jahr 2021 lagen Teslas Auslieferungen im letzten Monat eines Quartals regelmäßig höher als in den zwei Monaten zuvor. Das zeigen die Zulassungszahlen für Deutschland exemplarisch:
Tesla Model 3 Neuzulassungen, Deutschland 2021
Monat | Anzahl |
Januar 2021 | 422 |
Februar 2021 | 1900 |
März 2021 | 3700 |
April 2021 | 482 |
Mai 2021 | 2744 |
Juni 2021 | 4460 |
Juli 2021 | 489 |
August 201 | 2950 |
September 2021 | 6828 |
Es hat also wenig mit einer unvorhersehbaren Ausweitung der Produktion des Model 3 zu tun, wenn es in einem Monat den Golf überholt – aber viel mit den Schwierigkeiten bei den Branchenriesen wie Volkswagen (-28% im September), Stellantis (-30%) oder Daimler (-43%). Sie alle können derzeit die Produktion nicht in geplantem Umfang aufrechterhalten. So plant das VW-Werk Wolfsburg 2021 nur noch mit halb so vielen fertiggestellten Fahrzeugen wie vorgesehen. Opel hat die Produktion im Werk in Eisenach bis Jahresende komplett eingestellt. Das liegt nicht an mangelnder Nachfrage, sondern an fehlenden Teilen: Insgesamt werden 2021 weltweit voraussichtlich 11 Millionen Autos weniger gebaut als bestellt, sagt Albert Waas, Partner der Unternehmensberatung Boston Consulting, der „Welt am Sonntag“.
Hier ist Tesla weniger stark betroffen als andere Hersteller. Das liegt nach Ansicht des Automobil-Experten Stefan Bratzel auch daran, dass andere Hersteller im Angesicht der Corona-Krise bereits georderte Chips abbestellt hätten – im Gegensatz zu Tesla. Vor allem sei Tesla jedoch in der Lage, Halbleiter selbst umzuprogrammieren. Beim Thema Software attestiert Bratzel dem US-Konzern einen Vorsprung vor der Konkurrenz. Dennoch: Auch beim US-Elektroauto-Hersteller hakt es, wie Finanzchef Zach Kirkhorn bei der Präsentation der Quartalszahlen im Oktober 2021 einräumt. Auch Tesla leidet unter massiven Lieferprobleme infolge von Chip- und Fracht-Engpässen.
Rekordgewinn für Tesla in Q3 2021
Bei der gleichen Gelegenheit verkündet Kirkhorn einen Rekordgewinn: 1,6 Milliarden Dollar (1,4 Mrd. Euro) verdiente Tesla im dritten Quartal 2021. Das sind beeindruckende Zahlen, zumal angesichts der großen Investitionen. Dabei stammen nur noch knapp 300 Millionen US-Dollar aus dem Handel mit Emissionszertifikaten. Hier sinkt bei anderen Herstellern, die mittlerweile ebenfalls Elektroautos produzieren, Stück für Stück der Bedarf.
Tesla bleibt kreativ darin, Finanzierungsquellen zu erschließen. So hat Tesla im Februar 2021 rund 1,5 Milliarden Dollar in Bitcoins investiert, die nach einigem Auf und Ab aktuell rund 2,5 Milliarden Dollar wert sind. Die Investitionen in das Batteriezellwerk in Grünheide lässt sich Tesla mit voraussichtlich rund 1,13 Milliarden Euro aus dem zweiten Europäischen Batteriezellenprogramm (IPCEI) subventionieren, das ist ein Drittel des aktuellen Gesamtvolumens des Förderprogramms. Und: Tesla öffnet sein Supercharger-Netzwerk für Autos anderer Hersteller. Das hilft gleich doppelt: Tesla kann sich die Aufrüstung der Ladepunkte auf den CCS-Standard vom Staat fördern lassen und danach am Stromverkauf verdienen.
Ebenfalls frisches Geld bringt Tesla die Bestellung von 100.000 Fahrzeugen durch den eben noch insolventen Autovermieter Hertz. Gegenwert: 4,2 Milliarden Dollar. Hertz bezahle Endkundenpreise, betont Elon Musk auf Twitter. Gedacht sind die Tesla-Modelle vor allem für die USA, eventuell finden einige auch den Weg in europäische Hertz-Flotten. Die neuen Hertz-Eigentümer wollen sich mit der größten Elektroauto-Mietwagenflotte sowie einem eigenen Ladenetz und Zugang zu Teslas Supercharger-Netz von der Konkurrenz abheben.
Tesla hat einen Vorsprung
Keine Frage: Tesla hat in vielen Jahren viel Geld verbrannt. Damit hat sich das Unternehmen jedoch einen Vorsprung finanziert. Kann Tesla in diesem Jahr rund 850.000 Autos produzieren, so ist realistisch, dass es 2022 doppelt so viele sein könnten. Zumindest wenn die Zulieferstaus aufgelöst sind und die neuen Fabriken in Texas und in Brandenburg die Produktion aufnehmen. Um die Nachfrage muss sich Tesla bisher offenbar keine Sorgen machen: Die Autos sind begehrt und beliebt, auch wegen des Supercharger-Zugangs. Und: die Erlöse aus dem Autogeschäft werden stabiler.
Tesla verfügt derzeit über die höchsten Produktionskapazitäten für Elektroautos aller Hersteller. Auch das ist eine Momentaufnahme: Volkswagen könnte, Lieferengpässe unberücksichtigt, mit seinen vier MEB-Werken noch in diesem Jahr gleichziehen – und plant mit Emden, Hannover und Chattanooga bereits die nächsten Standorte. Es bleibt also spannend an der Spitze. Auch, wenn VW am Aktienmarkt mit einem Börsenwert von derzeit 130 Mrd. EUR im Vergleich zu Tesla (910 Mrd. Euro) ein kleines Licht ist.
Fazit:
In Teslas Marktkapitalisierung steckt viel Phantasie. Aber sie verschafft Tesla die Bewegungsfreiheit, ehrgeizige Pläne umzusetzen. Das und die langjährige Felderfahrung verschaffen dem US-Hersteller einen Vorsprung vor dem Wettbewerb – der allerdings in kurzer Zeit stark aufgeholt hat. Was nichts daran ändert, dass nicht Herbert Diess in „Iron Man“ war.
Björn | @MobilityTalk
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