Test: Langstrecke im Tesla Model 3 Long Range

Ein Mittelklasse-Auto in der Mittelklasse-Disziplin: Wir testen das Tesla Model 3 Long Range auf der Langstrecke. Und ärgern uns über eine Vorzeigefunktion.

Constantin Bergander

Constantin Bergander

Zu sehen ist das Tesla Model 3 von außen
Der Modellname als Testkriterium: Das Tesla Model 3 Long Range soll weite Strecken schaffen. Wir stellen es auf die Probe [Quelle: TeamOn GmbH]

Eines muss man Tesla lassen: Das Thema Elektroauto geht der Hersteller vollständig an. Während deutsche Hersteller noch mit der Bundesregierung diskutieren, wer die Ladeinfrastruktur bezahlt, funktioniert Teslas Netz bereits. Der erste Supercharger in Deutschland eröffnete schon im Jahr 2013 an der Autobahn A8. Mittlerweile existieren bundesweit fast 100 Stationen, 53 weitere sind in Planung.

Die sind nötig, denn Tesla-Modelle konkurrieren nicht nur mit anderen Elektroautos. Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen sie mit klassischen Verbrennern mithalten. Auch dort, wo sich Diesel besonders wohlfühlen: auf der Langstrecke. Laut Norm schafft ein Tesla Model 3 Long Range zum Testzeitpunkt zwar bis zu 560 Kilometer Strecke mit einer Akkuladung. Aber nicht alles davon kommt in der Praxis an. Wie viel Strecke auf der Strecke bleibt, zeigt unsere Testfahrt von Frankfurt am Main nach Berlin.

Langstreckentest: im Tesla Model 3 von Frankfurt nach Berlin

Die Bedingungen sind günstig: Wir starten bei einer Außentemperatur von 10° Celsius und mit einem Ladestand von 99 Prozent (Kapazität: 75 kWh). Theoretisch genügt die angegebene Reichweite, Start und Ziel trennen 530 Kilometer. Praktisch ahnt das Model 3 bereits, dass wir nicht mit 90 km/h im Lkw-Windschatten nach Berlin rollen, sondern mit Richtgeschwindigkeit.

Der Bordcomputer schätzt richtigerweise eine geringere Reichweite und berechnet, dass wir einen Supercharger kurz vor Leipzig mit einer Restkapazität von fünf Prozent erreichen werden. Die echte, praktische Reichweite liegt in diesem Rechenbeispiel also bei 346 Kilometern. An der Säule sollen wir eine halbe Stunde lang nachladen und danach in einem Rutsch am Ziel ankommen. Wichtig dabei: eine ruhige, gleichmäßige Fahrweise. Steigungen und Gefälle berechnet der Computer mit ein. Ein Diagramm zeigt sogar an, dass in den Tunneln bei Jena der Verbrauch sinken wird. Dort geht es bergab.

Zur Sicherheit blendet der Bordcomputer die Empfehlung ein, maximal Tempo 130 zu fahren. Wir halten uns daran und fahren möglichst vorausschauend, unser Versuch soll nicht an der Person hinter dem Lenkrad scheitern. Auf die Tesla-Software allein wollen wir uns allerdings ebenfalls nicht verlassen.

Schwachstelle: „Autopilot“

Eines von Teslas wichtigsten Verkaufsargumenten ist der sogenannte „Autopilot“. Schon der Name suggeriert künstliche Cleverness. Die Tesla-Homepage verspricht für die „nahe Zukunft“ „automatisches Fahren innerorts“ und schon jetzt teilautonome Fähigkeiten. Zwei Züge am Automatik-Wählhebel starten den Assistenten. Er soll auf der Langstrecke viel Arbeit übernehmen.

Davon spüren wir während der Testfahrt noch nichts. Der Funktionsumfang entspricht dem eines Abstandstempomaten und einer nervösen Spurmittenführung. Automatische Spurwechsel sind zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, manuelle beenden das System. Die Informationen von Verkehrszeichen kann das Model 3 nicht umsetzen. Zudem will es ständig Lenkbewegungen spüren. Andere Hersteller bieten zu diesem Zeitpunkt bereits kapazitive Lenkräder an, denen die physische Anwesenheit einer Hand genügt.

Mittlerweile hat das System mit Updates dazugelernt. Wir misstrauen ihm nach unserem Test, denn das Auto meldet ständig verschmutzte Sensoren und eingeschränkte Sicht. Solche Banalitäten dürfen wichtige Fahrzeugfunktionen nicht aus dem Konzept werfen. Teslas Strategie, die Umgebung mit Kameras und Parksensoren zu überwachen, geht nicht auf. Der Autopilot bleibt für den Rest der Fahrt deaktiviert.

Zu sehen ist die Front des Tesla Model 3
Das Tesla Model 3 Long Range AWD leistet maximal 440 PS. AWD steht für den Allradantrieb [Bildquelle: © TeamON GmbH]

Die Ladestrategie zählt

Während der Fahrt korrigiert unser Model 3 seine ursprüngliche Schätzung und empfiehlt ein gedrosseltes Tempo: Die Anzeige bittet um höchstens 125 km/h, dann um 120 km/h und schließlich um 115 km/h. Wir ignorieren diese Meldungen – in einem Verbrenner würden wir sie schließlich auch nicht beachten, sondern früher tanken. Wir wollen uns nicht an das Auto anpassen, das Auto soll sich uns fügen.

Tut es aber nicht. Eigentlich besitzt das Model 3 die Fähigkeit, seine Ladestrategie dynamisch anzupassen. Unser Testauto meldet schlicht, dass wir es nicht mehr zur Ladesäule bei Leipzig schaffen. Na toll! Wir suchen manuell eine frühere Möglichkeit und fahren nach 295 Kilometern an unseren ersten Ladepunkt. Restreichweite: 41 Kilometer – der Computer hat sich also nicht massiv verschätzt.

Worauf beim Laden zu achten ist, verrät uns ein freundlicher Tesla-Fahrer: Die Säule am Steuerhaus sei die schnellste, sagt er. Wenn das Auto zu langsam lädt, hilft in der Regel ein zweiter Versuch am Nachbarkabel. Abgesehen davon gelte am Supercharger die gleiche Etikette wie auf der Herrentoilette: Zwischen zwei ladenden Teslas bleibt ein leerer Platz – nicht für die Privatsphäre, sondern für besseres Ladetempo. Erfahrungswerte eines Profis.

Wir steuern eine weitere Erfahrung bei: Es lohnt sich, mit einem zusätzlichen Stopp zu planen. Denn das Model 3 lädt zwar schnell, im Test mit bis zu 200 kW, aber nicht besonders ausdauernd. Die Ladeleistung nimmt mit zunehmenden Ladestand verhältnismäßig schnell ab. Mehr als zwei Drittel Ladestand lohnen sich nicht – wir stoppen den Ladevorgang nach 22 Minuten und planen einen zweiten Stopp bei Beelitz ein.

Während des Ladens fällt uns auf, dass es im Auto ungemütlich wird. Es kribbelt in Füßen und Waden. Offenbar spürt das nicht jeder, aber einige Tesla-Besitzer berichten von diesem Phänomen. Unsere Pausen verbringen wir deshalb lieber neben dem Auto. Im Winter könnte das unangenehm werden. Für Interessenten gilt: Neben einer Probefahrt ist eine Probeladung Pflicht.

Zu sehen ist das Lenkrad und das Infotainment-Display des Tesla Model 3
Der Bildschirm im Inneren des Tesla Model 3 Long Range misst 15 Zoll in der Diagonale. Alle Funktionen können über diesen gesteuert werden [Bildquelle: © TeamON GmbH]

Teurer und langsamer als ein Diesel

Unsere Zwei-Stopp-Strategie geht auf. Wir erreichen das Ziel in Berlin nach 5:20 Stunden und 540 gefahrenen Kilometern – die Ladesäulen liegen zum Teil nicht direkt an der Autobahn und erfordern kleine Umwege. Für die Ladevorgänge während der Fahrt bezahlen wir etwa 40 Euro. Eine Ladekarte benötigen wir dafür nicht, die Supercharger rechnen automatisch über eine mit dem Auto verknüpfte Kreditkarte ab – vorbildlich!

Allerdings: Wir starten mit vollem Akku und kommen mit geringer Restreichweite an. Aufladen am heimischen Netz kommt also noch hinzu und kostet etwa 20 Euro. Macht insgesamt 60 Euro für die gesamte Fahrt. Für das gleiche Geld gibt es derzeit 40 Liter Diesel. Aus finanzieller Sicht hätten wir also mit einem Durchschnittsverbrauch von 7,6 Litern nach Berlin brettern können. Bei einer solchen Fahrweise wären wir deutlich schneller gewesen.

Noch ein paar Worte zum Fahrverhalten: Tesla schlampt beim Handwerk der Automobilbauer, also bei der Abstimmung. Das Model 3 kippelt im Test unbequem über die Querachse, bremst schlecht und bietet auf der Rückbank nicht genug Platz. Das kann jeder Konkurrent besser. Seine beeindruckende Beschleunigung macht kurzfristig viel Freude, aber nicht lange glücklich. Bei einem Basispreis von rund 50.000 Euro (Long Range) erwarten wir in einem Auto mehr Sorgfalt bei den Grundtugenden. Für die regelmäßige Reise eignet sich ein moderner Diesel besser als unser Tesla Model 3 im Test auf der Langstrecke. Er käme mit dem gleichen Geld deutlich schneller oder in der gleichen Zeit viel günstiger an. Aber das kann den Verdienst von Tesla um die langstreckentaugliche E-Mobilität nicht schmälern.

Fazit:

Wir fahren problemlos und entspannt mit dem Elektroauto von Frankfurt am Main nach Berlin. Das liegt vor allem daran, dass der Hersteller die Zwischenladung in seinem Konzept von vornherein mitgedacht hat. Der Tesla harmoniert also im Alltag gelegentlichen Langstrecken und funktioniert damit als Erstwagen. Der Test beweist, dass der Tesla alltagstauglich ist – wenn man mit ein paar Schrullen leben kann.

Constantin Bergander | @MobilityTalk

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