Move21: Hamburg testet smarte Mikro-Hubs in Altona
Im Rahmen eines EU-Projekts testen Hamburg Göteborg und Oslo neue Mikro-Hubs für Logistik und Menschen. Das Beispiel soll europaweit Schule machen.
Wer einmal tagsüber durch eine Stadt fährt, erkennt schnell: Das Problem im Stadtverkehr sind nicht nur zu viele Autos, sondern auch zu viele Pakete und sonstige Lieferungen. Innerstädtische Logistik belastet die Städte und das Klima. Die Corona-Pandemie hat viele negative Effekte noch einmal verschärft und den Druck erhöht: Leere U-Bahnen und volle Paketverteilzentren, deutlich mehr Nachfrage nach Lebensmittel-Lieferdiensten.
Im Rahmen des mit acht Milliarden Euro finanzierten EU-Projekts Move21 sollen nun neue Lösungsansätze aufgebaut und erforscht werden. Daneben dient das Projekt dazu, neue Geschäftsmodelle und konkrete Beiträge zur Emissionsminderung zu entwickeln. Das Ziel ist ambitioniert: Städte sollen in die Lage versetzt werden, ihre CO2-Emissionen aus Transport und Logistik bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Und sie sollen besser vorbereitet sein auf Eruptionen wie die Corona-Pandemie.
Hamburg startet ersten Test
Ein Baustein des Projekts nimmt nun erste Konturen an. Als „lebende Labore“ bauen die Städte Hamburg, Oslo und Göteborg sogenannte „Mikro-Hubs“ auf. Hamburg erprobt das Konzept zuerst im rund 275.000 Einwohner starken Stadtteil Hamburg-Altona. Der Mikro-Hub stellt dabei eine „kleine, stadtteilbezogene Logistikeinheit“ dar. Einmal täglich liefert ein größeres Fahrzeug Pakete dorthin. Die Weiterverteilung an die Endkund*innen erfolgt zu Fuß, mit dem Lastenrad oder einem E-Kleinfahrzeug.
Kann ein solcher Hub eine valide Alternative sein zu Lieferwagen, die von Haustür zu Haustür fahren? Die Briefverteilung in Städten ist schließlich seit langem ähnlich organisiert. Eine Studie zur Last-Mile-Logistik stellt jedenfalls positive Effekte der Mikro-Hubs in Aussicht. Demnach reichen 100 bis 150 Mikro-Hubs aus, um 40 Prozent der Lieferungen auf der letzten Meile von Lastenräder bewältigen zu lassen. KEP-spezifische Lastenräder wie das Ono-Bike verfügen dabei über eine beachtliche Kapazität. Und kommen, anders als herkömmliche Lieferwagen, ohne Probleme in schmalen Wohnstraßen und sogar in Fußgängerzonen zurecht.
Mikro-Hub Altona: Mehr als eine Paketstation
Doch der Mikro-Hub soll mehr sein als eine Paketstation für Auslieferer. Ziel sei nicht nur die „Entwicklung von zentralen und anbieteroffenen Logistikorten für die emissionsarme Feinverteilung auf der letzten Meile“, sagt Meike Niedbal von der DB Smart Cities. Es gehe auch darum, „attraktive Zusatzservices für Hamburgs Bürger:innen“ anzubieten.
Das könnten Mobilitätsangebote wie Leihfahrräder, E-Bikes, Carsharing oder E-Scooter sein. Über eine Netzwerklösung könnten geliehene Fahrzeuge auch an anderen Hubs wieder abgestellt werden. Hamburg wünscht sich, so einen „Treffpunkt für die Einwohner*Innen des Quartiers“ zu etablieren.
Das Hamburger Projekt wird von der EU mit rund 855.000 Euro gefördert. An der Umsetzung sind unter anderem die Hamburger Senatskanzlei, die Behörde für Wirtschaft und Innovation, die HafenCity Universität und die DB Station&Service AG beteiligt.
Bürger*innen sollen sich beteiligen
In das Projekt sollen Bürger*Innen ihre Bedürfnisse und Wünsche einbringen und so die Mobilitäts-Lösungen mitgestalten. Erste Umfragen dazu haben in Hamburg bereits stattgefunden. Darüber hinaus will die Hansestadt auch den Personenverkehr noch stärker in den Blick nehmen sowie den stationären Einzelhandel in die Hubs einbeziehen. Und: Es soll nicht bei Altona als Versuchsfeld bleiben, weitere Stadtteile werden folgen.
Am Projekt sind neben den Kommunen auch Systemanbieter wie DB Smart City, Parkering Göteborg und Volvo Technology beteiligt, für die wissenschaftliche Begleitung sorgen Hochschulen. In Hamburg ist das die Universität Hafencity. Dort ist Projektleiterin Gesa Ziemer überzeugt, dass Fragen zu zukunftstauglichen Lösungen im Bereich der Mobilität und Logistik „nur im Austausch zwischen Expert:innen und der Öffentlichkeit beantwortet werden können“. Schließlich müssen Unternehmen mit diesen Lösungen Geld verdienen und Menschen sie annehmen.
„Replikatoren“ im Süden
Das EU-Projekt arbeitet mehrstufig. Zunächst werden Lösungen in Hamburg, Göteborg und Oslo entwickelt. Was funktioniert, übernehmen danach sogenannte „Replikatoren-Städte“ weiter südlich. Hier fiel die Wahl auf die bayerische Hauptstadt München sowie die italienischen Metropolen Bologna und Rom. Weitere Fördergelder fließen in sogenannte „Cascade Cities“, die vor allem von den Erfahrungen der sechs Modellstädte profitieren sollen – etwa über Austauschprogramme. Darunter befinden sich die spanischen Städte Murcia und Bilbao, ebenso Toulouse in Frankreich und in Osteuropa die griechische Stadt Thessaloniki sowie die bulgarische Hauptstadt Sofia.
Smarte Vernetzung als Schlüssel
Kritisch gefragt: Ist der Ansatz so neu? Paketverteilzentren kennen wir längst, ebenso Lastenräder und Sharing-Dienste. Move21 sieht seine Innovationskraft vor allem in der smarten Vernetzung solcher Bausteine. Mobilität, Frachtverkehr und Logistik seien zu lange separat betrachtet worden. Politik, Infrastruktur, Fahrzeuge und Energie stünden vielerorts nebeneinander. Ein Ansatz, der sie gemeinsam denkt, fehle vielerorts noch. Nur so lasse sich jedoch die Effizienz erreichen, die nötig sei, um die städtischen Verkehrsströme nachhaltig umzugestalten. Dafür will das Projekt Politik, Technologie, Infrastruktur und umweltfreundliche Fahrzeuge zusammenführen. Die Federführung obliegt dabei der Stadt Oslo, die bereits viel Erfahrung mit nachhaltigen Verkehrslösungen und dem Aufbau einer leicht zugänglichen Ladestruktur für Elektrofahrzeuge besitzt. Oslo selbst will vor allem die geplante innerstädtische Nullemissionszone Filipstad im Rahmen des Projekts weiterentwickeln.
Fazit:
Man wünscht sich, es würde schneller gehen. Keiner der Ansätze, die move21 fördert, ist neu oder überraschend. Aber notwendig sind sie alle, denn die Nachfrage nach Mobilität von Personen und Gütern wird wachsen und nicht sinken – und wenn das eigene Auto oder die Lkw-Flotte in naher Zukunft keine Option mehr sein sollen, brauchen die Städte und ihre Menschen tragfähige Alternativen. Die wichtigste Zutat sind dabei aber nicht die Ideen, sondern Mut anstelle von behördlicher Bräsigkeit. Ob Hamburg-Altona uns das vorleben kann?
Björn | @MobilityTalk
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