Aus dem Alltag eines Lastenrad-Händlers

Auslieferungen in Villenviertel, 300 Euro für Sonderfarben und Hersteller unter Druck: Roland Schmellenkamp handelt mit Lastenrädern. Hier beschreibt er seinen Alltag und erklärt die Schattenseiten einer möglichen Förderung.

Roland Schmellenkamp
Roland Schmellenkamp
Zu sehen sind mehrere Lastenfahrräder
In Deutschland boomt der Handel mit Lastenrädern. Die Vorteile sprechen für sich: agile Mobilität, freie Abstellmöglichkeiten und frische Luft [Bildquelle: www.lichtorte.com Daniel Kubirski/Picture-Alliance]

Vor zehn Jahren war das dicke SUV vor der Kita ein Statussymbol, heute ist für das links-alternative Milieu eine Riesen-Kohlendioxid-Schleuder so cool wie eine Zigarette im Mundwinkel. Wer etwas auf sich hält und zeigen möchte, dass er oder sie „öko“ ist, fährt den Nachwuchs mit Lastenrad.

Der Boom erklärt sich aber nicht nur aus einem besseren Image für Mama und Papa: Blickkontakt mit den Kleinen, Einkäufe lassen sich mit Lastenrad auch gut erledigen und das Fahren macht Spaß: Frische Luft (allerdings auch ab und zu Regen), keine Parkplatzsuchen, Innenstadttempo bis zu zehn Kilometern Strecke mindestens so wie bei Autos. Das kenne ich als Lastenrad-Händler in Mannheim aus persönlicher Erfahrung.

Lastenrad-Förderung in Deutschland

Weniger Freude bereiten allerdings die Preise: Mit Transportbox, Kindersitzbank und Regenverdeck ist bei qualitativ hochwertigen Fahrzeugen die 6000-Euro-Marke gerissen. Bei einigen Nobelherstellern kann es mit Edel-Ausstattung wie Pinion-Getriebe, Riemenantrieb, besserem Licht und Sonderfarbe nahezu fünfstellig werden.

Doch da gibt es vielerorts ein Trostpflaster: Lastenrad-Förderung ist das Stichwort. Für Gewerbe existiert eine Bundesförderung (25 Prozent vom Kaufpreis, maximal 2500 Euro), für Privatleute gibt es in diversen Städten einen Zuschuss. Der liegt meist um die 1000 Euro, in einigen Kommunen auch bei 500. Ausreißer nach oben ist beispielsweise Düsseldorf: Gefördert werden 50 Prozent vom Kaufpreis, satte 2500 Euro sind der maximale Zuschuss. Hier findest Du einen ausführlichen Ratgeber zur Lastenrad-Förderung in Deutschland

Überblick: Lastenrad-Förderung in Deutschland (Stand 09/2021):

Ort

Förderung

Stuttgart

Bis zu 1500 Euro für Familien, alternativ 800 Euro Sofort-Förderung zzgl. 500 Euro nach drei Jahren Nutzung

Mannheim

25% oder maximal 1000 Euro Förderung zzgl. 500 Euro Nachhaltigkeitsbonus, wenn zwei Jahre lang kein KFZ angeschafft wurde

München

25% oder maximal 1000 Euro Förderung. Zwei- und dreirädrige Leichtfahrzeuge sind inkludiert

Berlin

Maximal 1000 Euro für ein Lastenrad, maximal 2000 Euro für ein E-Lastenrad

Bremen

Keine kommunale Förderung

Hamburg

33 % oder maximal 2000 Euro für Lastenräder mit E-Antrieb (ohne E-Antrieb bis 500 Euro). Bei gleichzeitiger Verschrottung eines PKW gibt es 500 Euro zusätzlich.

Frankfurt/Main

500 Euro Förderung für Lastenräder ohne, 1000 Euro Förderung für Lastenräder mit E-Antrieb.

Hannover

400 Euro Förderung für Lastenräder ohne, 800 Euro Förderung für Lastenräder mit E-Antrieb.

Dresden

500 Euro Förderung für ein Lastenrad, 1500 Euro für ein Lastenpedelec.

Die Fördermaßnahmen haben zu einer großen Nachfrage geführt. Lange Lieferzeiten von mehr als drei Monaten fast überall, bei einigen Herstellern kann seit Frühsommer fürs Jahr 2021 nicht mehr bestellt werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist die Produktion auf eine bestimmte Höchstmenge abgestimmt, das betrifft Räume und Personal. Zum anderen fehlen Teile.

Lastenrad-Hersteller leiden unter Lieferengpässen

Beispielsweise ist es aktuell schwierig, Tretlager zu bekommen – ein 20-Euro-Teil, ohne das kein Fahrrad fahren kann. Mir ist ein Hersteller bekannt, der kürzlich 160 Räder auf Halde produziert hat, aber sie sechs Wochen nicht ausliefern konnte. Grund: Das Display fehlte. Die sind Made in China und steckten irgendwo in einem Container zwischen Europa und Übersee. Dieser Hersteller konnte kürzlich ein Modell zwei Monate nicht produzieren, weil Rahmen aus Taiwan fehlten. Andere Hersteller setzen auf eine eigene Rahmenfertigung – zum Beispiel Muli und Velo Lab. Oder sie lassen in der Nähe fertigen. Mir ist auch eine Firma bekannt, die bei den Motoren neuerdings „Made in Germany“ einbaut. Mit dem Ziel der Unabhängigkeit von einem nicht immer zuverlässigen Zulieferer. Es erleichtert Absprachen, wenn es mal klemmt. Und es schafft gute Jobs auch beim Zulieferer.

Ein anderer Hersteller bietet den Kunden eine individuelle Ausstattung an, nach dem Prinzip: build-to-order. Folge: Vorratsbestände können nicht angelegt werden. Kürzlich erzählte mir der Geschäftsführer, dass er Teile bei einem Fahrradladen in Holland kaufen musste. In Deutschland gab es sie weder im Großhandel noch in Fahrradgeschäften. Einerseits zahlte er dabei saftige Preise, andererseits bedeutet das einen enormen logistischen Aufwand. Die Suche nach den Teilen kostet Zeit.

Zu sehen ist ein Mann auf einem Lastenfahrrad
Lastenräder können vor allem in urbanen Regionen eine Alternative zum Auto sein [Bildquelle: picture alliance/dpa | Daniel Karmann]

Wer arm ist, kauft kein Lastenrad für 7000 Euro

Nun wollen die Grünen bei der Förderung nicht nur eine Schippe drauflegen, sondern gleich eine Lawine lostreten: 1000 Euro Zuschuss soll es bundesweit für den Kauf eines neuen Lastenrades geben. Die Zahl von einer Million Käufern steht im Raum. Das würde insgesamt eine Milliarde Euro Staatsausgaben bedeuten. Ist das wirklich realistisch? Zum Vergleich: Der Zweirad-Industrieverband zählt seit 2018 die Lastenrad-Verkäufe in Deutschland, damals waren es 40.000 Fahrzeuge. Daraus wurden im Jahr 2019 54.400 Exemplare, im vergangenen Jahr sprang der Wert auf 78.000 – und bereits jetzt steht fest, dass 2021 eine neue Bestmarke aufgestellt wird.

Wem nutzt der Boom? Auf jeden Fall der Umwelt: Käufer vom Lastenrädern sind bei mir zu mehr als 90 Prozent Eltern, die auf den Erst- oder Zweitwagen verzichten oder zumindest das Auto nicht mehr im Kurzstreckenverkehr nutzen wollen. Oft betragen die täglich zurückgelegten Strecken von der Kita zum Einkaufen und zurück zehn Kilometer. Das macht im Jahr 2000 Kilometer plus Freizeitfahrten, also mindestens 3000 Kilometer weniger Autoverkehr auf Kurzstrecken. Das rechnet sich für die „Umsteiger“: Bei 20 bis 50 Cent Kosten pro Auto-Kilometer beträgt die Ersparnis bei 3000 Kilometern pro Jahr 600 bis 1500 Euro. So kann sich ein Lastenrad nach wenigen Jahren rentieren.

Subventioniert wird allerdings in der Regel nur die wohlhabende Mittelschicht. Wer jeden Euro umdrehen muss, kauft sich kein Fahrrad für 7000 Euro, auch wenn es 1000 Euro von Papa Staat gibt. Da muss ein gebrauchter Kinderanhänger reichen. Das bedeutet: Einen Zuschuss bekommen die, die sowieso relativ wohlhabend sind. Viele meiner Käufer geben locker mal 50 Euro für einen noch besseren Scheinwerfer aus, oder 300 Euro für eine Sonderfarbe. Wenn ich Räder ausliefere, stehe ich oft vor einer Villa und fast immer in einer „besseren“ Wohngegend.

Kunde storniert Lastenrad-Bestellung nach neun Monaten

Für die Lastenrad-Industrie sind die Zuschüsse zudem ein zweischneidiges Schwert. Mir würde die zusätzliche Nachfrage kaum mehr Umsatz oder gar Gewinn bringen, dafür aber viel zusätzliche Arbeit wegen weiterer Anfragen. Bereits jetzt bin ich froh, wenn ich von den Herstellern genug Räder erhalte. Außerdem würde mir die bundesweite Förderung in Höhe von 1000 Euro für Privatleute sicher Ärger einbringen, weil Kunden noch länger auf ihr Lastenrad warten müssen. Bei mehr als vier Monaten Wartezeit schwindet das Verständnis für die Lieferschwierigkeiten auch beim geduldigsten Käufer. 

Bei mir hat vor wenigen Tagen ein Kunde nach neun (!) Monaten Wartezeit eine Bestellung storniert – ich habe alles hier, um sein Rad fertigzustellen, nur die Batterie fehlt. Leider kann ich das Rad auch nicht schnell verkaufen, wenn die Batterie eintrifft. Es wurde individuell für den Kunden zusammengestellt. Also muss sich jemand melden, der genau diese Ausstattung haben möchte. So lange steht bei mir „totes Kapital“ im Laden. Die für diesen Kunden in Telefonate, Beratung, Recherche und Kostenvoranschläge investierte Zeit ist auch futsch. 

Frau auf einem Lastenrad mit Kind, fahrend
Lastenrad-Fahrerin in München: Die meisten Fahrräder kaufen Eltern [Bildquelle: picture alliance / SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON]

Lastenrad-Förderung könnte zum Bumerang werden

Diese Lieferschwierigkeiten betreffen fast alle Bereiche und können eine regelrechte Kettenreaktion auslösen. Wer die Nachfrage sowieso nicht bedienen kann, erhöht einfach die Preise. Sagen wir um 15 Prozent, oder gleich um 1000 Euro. Die Förderung wäre dann nur ein durchlaufender Posten, der lediglich dem Hersteller hilft.

Es droht eine Parallele zur Solarenergie, die vor einigen Jahren in einer ähnlichen Situation war. Eine großzügige Förderung führte zu großer Nachfrage bei relativ hohen Preisen. Die heimische Produktion wurde ausgeweitet. Als die Förderung dann auslief, stürzte die Nachfrage ab. Gleichzeitig drängte Konkurrenz aus Asien mit wesentlich günstigeren Produkten in den Markt. Konsequenz: Die heimischen Firmen gingen pleite, weil sie die getätigten Investitionen für die größere Produktion nicht tilgen konnten.

Bei den Lastenrädern sieht es im Moment noch anders aus. Konkurrenz aus Billiglohnländern gibt es bisher im hochpreisigen Sektor kaum. Allerdings haben einige europäische Herstelle angefangen, ihre Fertigungen in diese Länder zu verlegen. 

Zum Autor:

Der Journalist Roland Schmellenkamp (54) ist seit zwei Jahren Lastenrad-Händler in Mannheim. Außerdem betreibt er einen Anbieter für umweltschonende Logistik, ebenfalls mit Lastenrädern.

Zu sehen ist Roland Schmellenkamp

Fazit:

Ob mit oder ohne Bundesförderung für Privatleute: Der Bestand an Lastenrädern wird wachsen – und wer sie fährt, weiterhin ab und zu im Regen nass werden. Auch die dicken SUV werden für bestimmte Leute ein Statussymbol bleiben, aber statt mit Verbrenner als Elektrovariante zur Kita fahren.

Roland Schmellenkamp 

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