Warum die schnellste Ladesäule der Welt kein Tempo bringt
Die Terra 360 von ABB soll die derzeit schnellste Ladesäule der Welt sein. Ihre 360 kW Ladeleistung kann aber noch kein Auto ausnutzen. Und es gibt weitere Hürden.
Fallstricke gibt es bei der Elektromobilität viele. Eines davon ist das Ladetempo. Elektroautos lassen sich beim Laden viel mehr Zeit als Verbrenner beim Tanken. Halbstündige Pausen auf der Langstrecke sind eher Regel als Ausnahme. Wer diesen Kompromiss eingeht, macht das ganz bewusst. Und nimmt damit längere Reisezeiten in Kauf.
Künftig sollen Ladepausen kürzer werden. Ein wichtiges Mittel dafür ist eine höhere Ladeleistung. Wenn in der gleichen Zeit mehr Strom im Akku des Elektroautos ankommt, kann die Fahrt früher weitergehen. Ungefähr so, als ob der Tankwart den Spritdurchsatz an der Zapfsäule erhöht. Die stärksten (und damit schnellsten) Ladesäulen kommen künftig aus der Schweiz: Mit der Terra 360 will der Technologiekonzern ABB Elektroautos mit einer Leistung von 360 kW laden. Im Idealfall lädt die Säule also 100 Kilometer Reichweite (18 kWh) in drei Minuten nach. ABB rechnet vor, dass ein großer Akku nach 15 Minuten geladen wäre.
Theoretische Werte, die in der Praxis (noch) nicht ankommen
Was nach einer Sensation klingt, hilft noch nur in der Theorie. Das hat mehrere Gründe. Der Einfachste: Aktuell lädt kein Auto so schnell, wie es die Terra 360 zulässt. Der Audi RS E-Tron GT erreicht im Test von mobility.talk nur kurzzeitig einen Höchstwert von etwa 270 kW. Der ADAC stellt bei einer Analyse des Schwestermodells Porsche Taycan ähnliche Werte fest. Mehr Ladeleistung hält kein anderes Serienauto aus. Das Können der Ladesäule ist sehr zukunftsorientiert. Davon profitieren erst zukünftige E-Auto-Modelle.
Hinzu kommt, dass die Akkus von Elektroautos derart hohe Ladeströme nur über einen kurzen Zeitraum vertragen. Audi und Porsche drosseln die Stromstärke auf etwa 200 kW, wenn der Akku einen Ladestand von ungefähr einem Viertel erreicht hat. Bei halbvollem Akku sinkt der Wert weiter, bei etwa 80 Prozent noch einmal. Bedeutet: 100 Kilometer Reichweite nach drei Minuten sind mittelfristig realistisch. Doch ein voller Akku nach 15 Minuten bleibt aktuell ein Phantasiewert.
Außerdem schmälert ein dritter Faktor die Erfolgsaussichten von ABB. An europäischen Autobahnen stehen bereits Ladesäulen mit einer Maximalleistung von 350 kW. Sie laden (auf dem Papier) in drei Minuten 17,5 kWh nach. In einer perfekten Welt, in der Akkus dauerhaft mit voller Kraft laden und die hohen Ströme verarbeiten können, lädt die Terra eine Strommenge von 90 kWh also etwa 20 Sekunden schneller als die schnellsten bisher verfügbaren Ladesäulen. Dafür fährt niemand an eine andere Ladesäule.
Langfristig kommen noch stärkere Ladesäulen
Dennoch setzt ABB ein wichtiges Zeichen. Denn die Entwicklung neuer, optimierter Ladesäulen zeigt, dass der Ausbau der Infrastruktur vorangeht. Bisher sind Ladesäulen dieser Leistungsklasse nur homöopathisch verteilt. Wird das Netz dichter, verbessert sich die Langstreckentauglichkeit von elektrischen Fahrzeugen, die hohe Ladeströme vertragen. Solche Autos wird es künftig mehr geben: Neben Porsche und Audi setzen bereits Kia und Hyundai Fahrzeugarchitekturen ein, die mit einer Spannung von 800 Volt arbeiten. Die ist derzeit Grundvoraussetzung für kurze Ladezeiten. Weitere Hersteller werden nachziehen.
Bis zu vier Elektroautos können gleichzeitig an der Terra 360 laden. Die Ladestecker sind tief angesetzt und mit einer Seilautomatik versehen. Damit soll die Ladesäule auch für Rollstuhlfahrer bequem nutzbar sein. Lange wird die Säule ihren Titel als schnellste Säule der Welt allerdings nicht behalten. Ladepunkte mit einer Leistung von 500 kW sind bereits konkret angekündigt. Um ihre Leistung ausnutzen zu können, müssen Hersteller noch neue Elektroauto-Architekturen konstruieren. Denn solche Ladesäulen arbeiten mit einer Spannung von 1.000 Volt. Passende Autos sind noch nicht auf dem Markt.
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