Telefahrer: Per Fernsteuerung durch die Stadt

Fast wie autonomes Fahren: Telefahrer könnten künftig Shuttle-Services und Logistik-Unternehmen entlasten. Vay und Fernride machen es vor.

Redaktion
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Ein Telefahrer des Mobilitätsanbieters Vay steuert ein Auto per Fernsteuerung. Die Fahrzeuge werden so, ohne Fahrer im Auto, punktgenau zum Kunden gefahren und bereitgestellt, und nach der Fahrt wieder per Telefahrer geparkt oder weitergefahren.
In der Leitstelle sitzt der Telefahrer in einer Art "Autosimulator" mit Fahrpedal, Lenkrad, Rück- und Außenspiegeln [Quelle: Picture-Alliance | Markus Scholz]

Fahrzeuge effizienter nutzen. So lassen sich die beiden Projekte des Berliner Technologie-Unternehmens Vay und des Start-Ups Fernride zusammenfassen. Fernride will Telefahrsysteme in der Logistik-Branche etablieren, während Vay fahrerlose Shuttles vom Computerbildschirm aus zum Kunden steuert.

Vay kombiniert dabei die Idee des Car-Sharing mit autonom fahrenden Autos. Zumindest fast. Der Unterschied zu anderen Anbietern von Car-Sharing: Das Fahrzeug kommt zum Kunden. Bisher funktioniert das bei der Konkurrenz anders herum. Möglich macht das bei Vay ein sogenannter „Telefahrer“. Das ist ein speziell ausgebildeter Fahrer. Er sitzt in der Leitstelle und steuert das Auto mit Lenkrad und Fahrpedal über einen Computerbildschirm zum Kunden. Ist dieser eingestiegen, übernimmt er das Fahrzeug vom Telefahrer. Wenn er am Ziel angekommen ist, übernimmt wieder der Telefahrer und steuert mit dem Auto den nächsten Kunden an. Damit will Vay die Innenstädte entlasten, schließlich stehen laut Statistik Privatautos etwa 23 Stunden des Tages ungenutzt herum. Das belastet die innerstädtische Infrastruktur

Was in der Leistelle noch wie ein Computerspiel aussieht, soll gleich mehrere Probleme lösen. Erstens stehen weniger leere Carsharing-Fahrzeuge ungenutzt im öffentlichen Raum. Und zweitens könnten Menschen, die etwa in vom ÖPNV unerschlossenen Randgebieten leben, besseren Zugang zu Mobilität bekommen. Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) sprach von einem „weltweit einzigartigen Mobilitätsservice“. Ab 2022 startet Vay den neuen Dienst zunächst in Bergedorf, einem Radnbezirk Hamburgs. Weitere Stadtteile sollen folgen. 

Ein Fahrzeug des Mobilitätsanbieters Vay fährt ferngesteuert im Straßenverkehr. Die Fahrzeuge werden per Telefahrer, ohne Fahrer im Auto, punktgenau zum Kunden gefahren und bereitgestellt, und nach der Fahrt wieder per Telefahrer geparkt oder weitergefahren.
Gefahren wird mit einem Kia e-Niro [Quelle: picture alliance/dpa | Markus Scholz]

Seit zwei Jahren im Testbetrieb

Zum Einsatz kommen Kia e-Niro. Die Elektro-SUV sind mit mehreren Kameras ausgestattet. So entsteht eine 360-Grad-Aufnahme des Straßenverkehrs. Die Bilder der Kameras werden an den Telefahrer in der Leitstelle übertragen. Damit die Verbindung etwa in einem Tunnel nicht abreißt, nutzt das System gleich mehrere verschiedene Funknetze. Kommt es doch zu einer Störung hält das Fahrzeug automatisch am rechten Fahrbahnrand an. Die Telefahrer können dabei bis zu 100 Kilometer entfernt vom Fahrzeug sitzen und per Lenkrad, Schalthebel und Fahrpedal das Auto steuern.

Vay testet das System mit Sicherheitsfahrer hinter dem Steuer bereits seit zwei Jahren auf öffentlichen Straßen in Hamburg und Berlin. Ab Anfang 2022 sitzt dann kein Sicherheitsfahrer mehr mit an Bord. Die Zulassung für den fahrerlosen Betrieb steht allerdings noch aus. 

Fernride überträgt das Telefahrer-System auf Lastwagen

Die Kraftstoffkrise in Großbritannien im Herbst 2021 hat aufgezeigt, wie wichtig ausreichendes Logistik-Personal für eng getaktete Lieferketten ist. Das weiß auch das Münchener Start-Up Fernride. „Zahlreiche Unternehmen haben Probleme, ausreichend Lkw-Fahrer zu finden“, erklärt Mitgründer Hendrik Kramer. Die Vision des Unternehmens sei eine fahrerlose Logistik.

Auch beim Konzept von Fernride sitzt ein Telefahrer in einer Leitstelle vor großen Computerbildschirmen und steuert von dort aus das Fahrzeug. Das Konzept der Münchener unterscheidet sich allerdings etwas von Vays Shuttle-Service. Denn die Lastwagen sollen sich grundsätzlich vollständig autonom bewegen. Der Telefahrer übernimmt Steuer, Gas und Bremse immer nur dann, wenn die autonomen Fahrfunktionen des Lastwagens an ihre Grenzen stoßen. Ein erstes Testfeld sieht Fernride bei Transportfahrten auf dem Gelände von Häfen oder Logistikzentren. Kramer sagt, mehr als 100.000 Lastwagen würden in Europa ohnehin nie ihr Betriebsgelände verlassen. Laut Schätzungen des Unternehmens sei allein dieser Markt bis zu fünf Milliarden Euro schwer. Fernride plant perspektivisch auch den Einsatz des Systems auf öffentlichen Straßen.

Ein Telefahrer und 50 Lastwagen

Einen geeigneten Entwicklungspartner fanden die Gründer des Start-Ups an ihrer eigenen Universität. Denn die Technische Universität München mit dem Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik beschäftigt sich bereits seit 2009 mit dieser Technologie. Laut Kramer habe der Lehrstuhl bereits einen „wahnsinnigen Erfahrungsschatz aufgebaut“.

Weil gerade auf Betriebsgeländen die reinen Fahrtzeiten sehr kurz sind und der Großteil der Zeit für Be- und Entladung aufgewendet wird, stellt sich Fernride mittelfristig Teleoperator vor, die Flotten von bis zu 50 autonomen Fahrzeugen gleichzeitig unterstützen können. Während der eine Lastwagen noch entladen wird, steuert der Telefahrer dann bereits das nächste Fahrzeug zur seiner Destination.

Fernride sieht in seinem Konzept keine Wegrationalisierung von Berufskraftfahrern. Es gehe vielmehr um eine Weiterentwicklung des Job-Profils. Der Beruf des Lkw-Fahrers solle „attraktiver“ und „sozial gerechter“ werden.

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