Grüne Welle für Radfahrende per App
Hamburg fördert im Projekt PrioBike-HH den Radverkehr. Eine Smartphone-App, Informationstafeln und dynamische Ampelsteuerung per KI sollen Fahrradfahren attraktiver machen.
Die Wahl des Verkehrsmittels hängt von vielen Faktoren ab. Klar, Umweltfreundlichkeit ist einer davon. Doch Untersuchungen zeigen regelmäßig: Schnelligkeit, Bequemlichkeit und Sicherheit spielen oft die größere Rolle. Und hier schneidet das Fahrrad oftmals nicht so gut ab. Wer den Radverkehr stärken will, muss ihn also schnell, sicher und bequem machen.
Hamburg versucht das seit Anfang des Jahres im Rahmen des Projekts PrioBike-HH. Hierbei geht es nicht um den Ausbau der Infrastruktur für Radfahrende, sondern darum, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen. Im Wesentlichen werden drei Bausteine angepackt:
- Ampelphasen sollen an beliebten Strecken auf Radfahrende angepasst werden
- Radfahrende sollen Infos per App und Infoterminals erhalten, um ihr Tempo an eine Grüne Welle anpassen zu können
- Kreuzungen sollen mit Systemen ausgerüstet werden, um Unfälle zu reduzieren
Aktuell richten Ampelphasen sich meist nach der Geschwindigkeit von Autos. Wenn die Lichtsignalanalgen (LSAs) ein bisschen intelligent sind, passen sie ihre Phasen an die Dichte des Autoverkehrs an. Im einfachen Fall werden dafür Daten von Kontaktschwellen genutzt. „Smarte“ Ampeln können per Car-to-X-Kommunikation auf Bewegungsdaten zugreifen und die Schaltzeiten darauf abstimmen. Sie können auch Infos zurücksenden, damit Autofahrende ihre Geschwindigkeit an die Grüne Welle anpassen können.
Radfahrenden hilft das wenig. Sie bewegen sich meist deutlich langsamer als Autos. Deren Grüne Welle wird so allzu oft zur Roten Welle. Sven Fröhlich vom Institut für Verkehrstelematik der Technischen Universität Dresden will das mit einer App fürs Smartphone ändern. Die kommuniziert allerdings nicht direkt mit den Ampeln. „Das ginge gar nicht, weil Smartphones nicht über die entsprechende Empfangstechnik verfügen“, erklärt er.
OpenData als Basis für Ampel-Prognosen
Stattdessen nutzt die App öffentliche Daten zu Ampelschaltungen. „Hamburg ist da sehr fortschrittlich, was den Umgang mit den Daten angeht“, sagt Fröhlich. Ein OpenData-Projekt bündelt auf verschiedenen Portalen zahlreiche Datensätzen und stellt diese unter anderem auf der Urbandataplatform zur Verfügung. Darunter auch Daten zu Ampelschaltungen.
Für die App werden diese Daten gesammelt. „Darauf basierend erstellen wir Prognosen, die aktuelle Schaltzeiten und historische Schaltzeiten berücksichtigen“, sagt Fröhlich. Radfahrende sollen dann entsprechende Geschwindigkeits- und Routenempfehlungen auf ihr Smartphone erhalten, damit sie ihr Tempo anpassen und bequem bei Grün durch den Stadtverkehr rollen können.
Infoterminals und Lauflichter als Tempo-Empfehlung
Dem gleichen Ziel sollen in Zukunft auch Informationsterminals dienen, die entlang stark befahrener Radstrecken aufgestellt werden. Ähnliche Installationen gibt es beispielsweise in den Niederlanden. Dr. Ute Ehlers von der Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende sagt: „Die PrioBike-HH Stelen sollen Restgrünzeiten für Radfahrende digital anzeigen sowie eine Geschwindigkeitsempfehlung abgeben.“ Also etwa, ob sie die Geschwindigkeit halten, reduzieren oder steigern sollen.
Vor dem Eingriff in die Infrastruktur soll jedoch eine Machbarkeitsstudie angefertigt werden. „Möglicherweise wird es aber bereits nächstes Jahr eine Pilot-Stele geben“, sagt Ehlers. Alternativ denkt man in Hamburg zudem über dynamische Lauflichter im Boden nach. Radfahrende können dann ihre Geschwindigkeit mit der Geschwindigkeit der Lauflichter synchronisieren. Passt die Abstimmung, erreichen sie die nächste Ampel während einer Grünphase.
Die Ampel passt sich den Radfahrenden an
PrioBike-HH sieht nicht nur Maßnahmen vor, damit Radfahrende ihre Fahrweise an die Ampeln anpassen können. Die Ampeln sollen sich auch umgekehrt an ihnen orientieren. An bestimmten Knotenpunkten soll so eine Grüne Welle etabliert werden. Kein simples Unterfangen, denn die gefahrenen Geschwindigkeiten können stark variieren. Entsprechend sollen im Rahmen von PrioBike-HH Daten zum Radverkehr gesammelt werden.
Ehlers spricht von einer „multimodalen Grünen Welle“. Die Ampelschaltungen sollen also nicht starr Fahrradfahrer bevorzugen, sondern den motorisierten Individual-Verkehr im Blick behalten und mit künstlicher Intelligenz arbeiten: „Unter Berücksichtigung des aktuellen Verkehrsaufkommens wird durch eine Simulation bestimmt, welche Verkehrsteilnehmer durch eine Grüne Welle bevorzugt werden“, sagt Ehlers. Klar im Fokus steht jedoch die Grüne Welle für Radfahrende: „Sind viele Radfahrende auf einer definierten Strecke unterwegs, erhalten diese eine Grüne Welle.“ Als Grundvoraussetzung muss dafür jedoch die Radverkehrszählung ausgeweitet werden.
Lichtprojektionen warnen vor Radfahrenden
Damit dürfte der Radverkehr tatsächlich schneller und bequemer werden. Vermutlich auch sicherer. Wer bei Grün statt bei Rot an der Ampel ankommt, gerät nicht in Versuchung, das Rotlicht zu ignorieren. Den gefürchteten Abbiegeunfällen kommt man so allerdings nicht bei. Sie passieren schließlich in aller Regel, wenn Radfahrende die Kreuzung bei Grün überqueren und übersehen werden. Eine mögliche Lösung von PrioBike-HH: Lichtprojektionen an den Ampeln sollen Autofahrende vor herannahenden Radfahrenden warnen.
Das Projekt PrioBike-HH läuft bis 2024. Bestenfalls helfen die gesammelten Erkenntnisse auch anderen Städten und Kommunen, den Radverkehr attraktiver zu machen. Ob das System auf andere Städte übertragbar ist, hängt allerdings von mehreren Faktoren ab, wie Sven Fröhlich sagt: „Wie alt ist die Infrastruktur? Wieviel Geld hat die Stadt? Wie offen geht sie mit ihren Daten um?“
Eine Chance für die Grüne-Welle-App
Die PrioBike-HH-App wird derzeit noch intern getestet, um sicher zu gehen, dass alles läuft wie gewünscht. „Im Frühjahr 2022 werden die ersten Testfahrer unterwegs sein, ab Sommer 2022 beginnt dann ein größerer Betatest“, so Fröhlich. „Bevor wir die Öffentlichkeit beteiligen, müssen wir sicherstellen, dass alles reibungslos funktioniert. Eine App hat in der Regel eine Chance, wenn die beim ersten Versuch nicht funktioniert, war es das.“ Wer es nicht abwarten kann, kann sich inzwischen zumindest schonmal für den Newsletter anmelden und bekommt Updates zum Fortschritt des Projekts.
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