Kommentar zum BMW XM: Der alte, weiße Mann als Auto
Der „sportlichste Buchstabe der Welt“ feiert Geburtstag – und bringt den BMW XM als Geschenk mit. Hoffentlich ist der Kassenzettel dabei. Ein Kommentar.
Man kann darüber streiten, ob SUVs eine sinnvolle Karosserieform sind. Sie bieten eine bessere Übersicht und den leichteren Einstieg, dafür aber Nachteile bei Verbrauch, Verschleiß, Raumbedarf, Preis und Fahrbarkeit. Es lässt sich außerdem diskutieren, ob das dickste Fahrzeugsegment Sportversionen benötigt. Aber dass eine Sportmarke nach 50 Jahren einen übermotorisierten Autoberg als Quintessenz der eigenen Geschichte präsentiert, ist keine Frage des Geschmacks. Es ist einfach falsch.
Im kommenden Jahr feiert BMWs Sportmarke M GmbH ein halbes Jahrhundert Bestehen. Neben allerhand bunter Logos, Lacke und Sondermodelle kommt ein neues Auto zur Party. Der XM, „das erste eigenständige Modell seit dem legendären BMW M1“, weise „im High-Performance-Segment den Weg für die Zukunft der Marke“, sagt BMW. Das klingt nach Dystopie, denn die Zukunft wird offenbar klobig und dick. Außerdem funktioniert sie nur mit Doppelherz, also zwei parallelen Antrieben. Kein gutes Fazit im Alter von 50.
Gewicht statt Geschichte
Wer die M-Geschichte kennt, der denkt an einen anderen Typ Auto. Vermutlich zuallererst an den von BMW selbst erwähnten M1, einen schlanken Mittelmotor-Sportler mit eigener Rennserie. Wahrscheinlich an diverse M3 mit charakteristischen Einzeldrossel-Saugmotoren und dem Hang, Kurven zweispurig zu nehmen. Und an den M5, der sich aus dem Understatement erhob und ganz schön bissig wurde. Vielleicht noch an die atemberaubend schönen Studien 2002 Hommage oder Nazca C2.
Viele Jahre lang war BMW selbst besonders vorsichtig, wenn es um die M Historie ging. Als der 1er ein scharfes M-Modell bekam, durfte der auf gar keinen Fall M1 heißen. Der Name war vergeben, ein Kompaktwagen konnte nicht Nachfolger sein. Deshalb hieß er etwas umständlich BMW 1er M Coupé. Ein Umweg in der Nomenklatur, um die Palette sauber zu sortieren.
Und nun ist doch alles egal. Vergessen sind drahtige Sportler. Das Jubiläumsauto gerät so hoch wie ein ausgewachsener Elch, fast so breit wie ein Lkw und so lang, dass er einen Norm-Parkplatz um 16 Zentimeter überragt. Die Kombination aus V8-Verbrenner und Elektromotor leistet 750 PS und 1.000 Newtonmeter Drehmoment. Das grüne Gewissen muss sich mit 80 Kilometern Elektro-Reichweite begnügen. BMW M traut sich kein radikales Statement in Richtung Strom, sondern hält einen Plug-in-Hybrid mit schöngerechnetem Verbrauch für fortschrittlich. Das stimmt aber höchstens im Vergleich zu einem Chevrolet Suburban.
Ein BMW für Fußballprofis
Optisch könnte man den XM mit gutem Willen als mutig einordnen. BMW findet, seine Formen verkörpern „expressiven Lifestyle“. Wessen Liftestyle da wohl als Vorbild dient? Womöglich der Halbwelt in Berlin-Neukölln, Menschen, die sich als „Vollkaufmänner“ bezeichnen oder von Fußballprofis, die Echtgold und Walpenisleder in der Aufpreisliste erwarten? Außen gibt es viele Kanten, große Hutzen und zwei riesige, beleuchtete Nieren. Im XM-Gesicht wirken sie eher wie zu groß geratene Nasenlöcher, die neben den LED-Augen unproportional erscheinen.
Es ist nichts Neues, dass Autohersteller mit den Größen von damals die Renditen von morgen promoten. Audi nannte deshalb einen flinken Kleinwagen wie eine Rallyelegende (S1), Mitsubishi klebt den Namen eines Sportlers auf ein Kompakt-SUV (Eclipse). Aber keiner versteht seine Geschichte so falsch wie BMW M. Zu allem Überfluss debütiert das Schaustück auf einer Kunstmesse, der Art Basel in Miami.
BMW XM: Constantins Kommentar im Video
Speck statt Sport
Jean-Jacques Rousseau schrieb einst: „Die Jugend ist die Zeit, die Weisheit zu lernen. Das Alter ist die Zeit, sie auszuüben.“ Bei BMW M setzt aber offenbar die Altersdemenz ein. Mit knapp 50 Jahren hat die bayerische Sportmarke alles vergessen, was einst toll war – um jetzt das Gegenteil davon zu tun. Aus dem besten Rechtsaußen von damals wird der dickste Ganzoben von morgen, aus einer heißen Liebe mit dem Sport wird eine toxische Ehe mit der Rendite.
Der BMW XM feiert nicht den legendären M1. Er sieht aus, als hätte er ein paar davon verschluckt. BMW M tauscht Athletik und Definition gegen große Wucht im Speckmantel. Macht ein Mensch denselben Wandel durch, sagt man über ihn, er habe sich aufgegeben. Dass BMW ernsthaft eine Serienversion ankündigt, legt genau das nahe. Es geht nicht mehr um Motorsport, sondern um Statussymbole. Autos für Superreiche, die ihren Realitätsverlust als Augmented Reality verstehen und sich mit schwerem Blech vor der sozialen Spaltung schützen wollen. PS? Sticht! Gewicht? Sticht! Nierengröße? Versuch’s gar nicht erst. Mein Haus, mein SUV, mein CO2-Fußabdruck.
Zu einem 50. Jubiläum wäre ein Posterauto angemessen gewesen. Eines, mit dem Heranwachsende ihre Zimmer dekorieren, oder auf das Führerscheinneulinge heimlich schielen. Gern etwas Modernes, Disruptives, das man zum 100. Jubiläum stolz vorzeigt. Auf jeden Fall etwas Fortschrittliches, das Mobilitäts- und CO2-Probleme konstruktiv angeht. Stattdessen verkörpert der XM den oft zitierten alten, weißen Mann. Und klaut auch noch (vermutlich unbewusst) den Namen eines französischen Autos, das tatsächlich innovativ war. Schade um die vertane Chance.
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