Gepanzerte E-Autos: Warum Minister Verbrenner fahren
Annalena Baerbock fährt häufig mit dem Rad. Für künftige Diensttermine würde die Ministerin gerne in einem Elektroauto chauffiert werden. Gibt es gepanzerte Elektroautos?
Wasser predigen und Wein trinken? Bei Annalena Baerbock könnte man das vermuten. Die grüne Außenministerin lässt sich neuerdings in Oberklasse-Limousinen von Audi, BMW oder Mercedes chauffieren. Elektroauto predigen und sich dann mit einer dicken Limousine mit einem noch dickeren 6,0-Liter-V12 durch die Gegend fahren lassen, klingt nicht besonders ökologisch, oder? Doch so einfach ist es nicht.
Rund 25.000 Autos beinhaltet die Flotte des Bundes, inklusive der Ministerien und der angeschlossenen Behörden. Darunter waren im Januar 2021 nur 582 reine Elektroautos. Dass die grüne Außenministerin in einer dunklen Limousine mit Verbrennungsmotor sitzt, hat nicht sie zu entscheiden, sondern unter anderem das Bundeskriminalamt (BKA). Das legt die Gefährdungslage wichtiger Politiker fest – und damit auch deren Schutz. Die Abteilung Sicherungsgruppe (SG) des BKA ist für die Sicherheit und den Schutz der Verfassungsorgane des Bundes verantwortlich. So müssen unter anderem Bundespräsident, Bundeskanzler sowie die Verteidigungs-, Finanz-, Innen- und Außenminister in gepanzerten Fahrzeugen chauffiert werden.
Nur wenige Hersteller bieten gepanzerte Autos der höchsten Schutzklasse an – und die haben stets einen Verbrennungsmotor. Denn der Markt ist klein, die wenigen entwickelten Autos – Mercedes baut beispielsweise nur rund 400 Stück pro Jahr – müssen auf der ganzen Welt fahren können. Elektroautos mit Panzerung sind derzeit nicht gefragt und werden daher nicht ab Werk angeboten.
Auch die Nachrüstung eines bestehenden E-Autos zur gepanzerten Limousine funktioniert nicht. Mit ein paar zusätzlichen Metallplatten an der Karosserie und gepanzerten Scheiben wird kein Serienauto zur fahrbaren Festung. Moderne gepanzerte Zivilfahrzeuge werden von Anfang an als solche konzipiert, teilen sich je nach Stärke der Platten und des Glases in sie Prüfstufen VR1 bis VR10 auf. Bei VR4-Fahrzeugen hält die Karosserie Kugeln eines .44 Magnum-Revolvers stand, bei VR7 der Munition eines Schnellfeuergewehrs. In der derzeit höchsten Klasse VR10 des Mercedes-Benz S680 Guard trotzt die Hülle des Autos einem Sturmgewehr mit Stahlhartkern-Munition. Bei der ballistischen Prüfung des Beschussamtes werden die Autos je nach Modell bis zu 500 Mal beschossen. Bei Sprengstoff-Versuchen zündet eine 12,5 Kilogramm schwere Sprengstoffmischung neben dem Fahrzeug. Bei weiteren Versuchen liegt eine Handgranate unter und auf dem Auto. Ein fahrender Panzer – zumindest beim Schutz.
Mehr als vier Tonnen wiegt solch eine gepanzerte Limousine, die aus Stahl, Aramidplatten und speziellem Glas besteht. Eine Tür wiegt rund 200 Kilogramm, das Panzerglas-Sandwich mit Polycarbonat-Folien für jede der sechs Zentimeter dicken Seitenscheiben allein rund 40 Kilogramm. Die Frontscheibe kommt auf 120 und die Heckscheibe auf 100 Kilo. Selbst der Unterboden aus speziellen, 120 Kilogramm schweren Bodenplatten schützt gegen Detonationen.
Dementsprechend kräftig müssen Fahrwerk und Motor konzipiert sein. Beim Mercedes-Benz S680 Guard leistet der 6,0-Liter-V12 612 PS und 830 Nm Drehmoment. Von 0 auf 100 km/h fährt der Benz in 8,3 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 190 km/h. Mit einem platten Reifen geht es immerhin noch bis zu 80 km/h über 30 Kilometer weit. „Das Wichtigste nach einem Anschlag ist es, schnell aus der Gefahrenzone zu kommen“, sagt Mercedes-Guard-Entwickler Thomas Bentel.
Audi, Bentley, BMW, Citroen, Jaguar, Mercedes-Benz und Range Rover verkaufen gepanzerte Fahrzeuge als Sonderschutzfahrzeuge direkt ab Werk. Angela Merkel saß bisher meist in einem Audi A8L Security, seltener in einem BMW 760 LI High Security oder einem Mercedes Guard. Nachfolger Olaf Scholz wird wahrscheinlich häufig im neuen Benz unterwegs sein, gilt die S-Klasse doch derzeit als sicherste Limousine gegenüber Bedrohungen jeglicher Art. Rund 457.000 Euro ohne Mehrwertsteuer zahlt der Bund für ein Fahrzeug. Auch Annalena Baerbock wird mehr in den Sonderschutzfahrzeugen des BKA sitzen, als ihr vielleicht lieb ist. Denn bis das erste gepanzerte Elektroauto auf den Markt kommt, dürfte es noch ein paar Jahre dauern.
Bisher gibt es kein Angebot. Neben dem hohen Gewicht der Fahrzeuge macht den Entwicklern die empfindliche Elektronik zu schaffen. Wie sich Batterien und Leistungselektronik sicher vor Kugeln und Sprengstoff schützen lassen, wird derzeit noch untersucht. Im Gegensatz zu einem Tank müssten die großen Batterien ringsherum gepanzert werden, gleichzeitig genügend Kühlung erhalten. Die Reichweite der Batterie trotz des hohen Verbrauchs stellt hingegen kein Problem dar – die meisten Fahrzeuge werden nur für kurze Strecken eingesetzt.
Hinter verschlossenen Türen forschen Entwickler zwar an besonders sicheren E-Fahrzeugen, doch bisher sind keine solchen Modelle bekannt. Die nächste S-Klasse, wenn überhaupt, kommt erst in rund sieben Jahren auf den Markt, das elektrische Pendant EQS wird es nicht gepanzert geben – die serienmäßige Luftfederung trägt keine vier Tonnen Gewicht. BMW stellt 2022 einen neuen 7er und auch eine gepanzerte Version vor, mit einem starken Verbrenner. Audi könnte in drei Jahren einen neuen A8 in einer elektrifizierten, gepanzerten Version anbieten. Das amerikanische Unternehmen Amormax panzert zwar ein Tesla Modell S, allerdings nur mit einer leichtgewichtigen Kunstfaser-Panzerung und kugelsicheren Scheiben. Das Zusatzgewicht liegt bei nur 250 Kilogramm – insgesamt zu wenig, um die Anforderungen des BKA für Politiker*innen der höchsten Schutzstufe zu erfüllen.
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