Verpasste Chance in Glasgow
Die Klima-Konferenz in Glasgow hätte ein Signal des Aufbruchs senden können. Stattdessen: Privatjets und endlose Fahrzeugkolonnen. Viele Gipfelteilnehmer unterschätzen noch immer die Wichtigkeit nachhaltiger Mobilität.
Die englische Zeitung „Daily Mail“ hat genau mitgezählt. Allein am Sonntagnachmittag landeten 52 Privat- und Regierungsjets auf dem Flughafen von Glasgow. Insgesamt werden im Rahmen des Klimagipfels COP26 in der schottischen Metropole mehr all 400 solcher Maschinen landen und wieder abheben. Voraussichtlicher CO2-Ausstoß: 13 Millionen Tonnen. So viel wie mehr als 200 vollbesetzte Ferienflieger.
Klar, US-Präsident Joe Biden kann den Ozean nicht wie einst Klimaaktivistin Greta Thunberg mit dem Segelboot überqueren. Das erwartet niemand. Aber: Ein Signal, dass man es mit dem Kampf gegen den Klimawandel wirklich ernst meint, könnte man durchaus von einem Klimagipfel erwarten. Das Gros der Teilnehmer saß wenige Stunden zuvor bereits beim G20-Gipfel in Rom beisammen. Davon, dass sich mehrere Staats- und Regierungschefs eine Maschine nach Schottland geteilt hätten, ist nichts überliefert. Ebenso wenig davon, dass hochrangige Politiker reihenweise auf Linienflüge ausgewichen wären.
Chauffeure warten mit laufenden Motoren
Das hätten kraftvolle Bilder sein können: Wir haben erkannt, wie wichtig nachhaltige Mobilität für den Klimaschutz ist! Welchen Mehrwert intelligente Verkehrsplanung hat! Wie sehr sich selbst hochrangige Verantwortungsträger in den Dienst der Sache stellen! (Das erwarten sie ja schließlich auch von den Bürgern.) Rund ein Viertel der weltweit ausgestoßenen Menge CO2 entfällt auf den Bereich Mobilität. Hier gäbe es eine Menge zu tun für diejenigen, die mittlerweile selbst von Gerichten zum entschiedeneren Handeln aufgefordert werden.
Jeff Bezos's £48m Gulf Stream leads parade of 400 private jets into COP26 https://t.co/rulDYWGIu7 pic.twitter.com/i5By6tlF7R
— Daily Mail U.K. (@DailyMailUK) November 1, 2021
Stattdessen: Endlose Fahrzeug-Kolonnen auf abgesperrten Autobahnen und Chauffeure, die mit laufenden Motoren vor dem Tagungsort auf ihre prominenten Gäste warten. Um Gipfelteilnehmer von Glasgow ins 80 Kilometer entfernte Gleneagles zu bringen, wird nicht etwa die existierende Elektrobus-Flotte eingesetzt. Stattdessen sollen eigens zur Verfügung gestellte Elektroautos für die Pendelei genutzt werden. Allerdings sind es zu wenige, und über die Ladesituation haben sich die Organisatoren im Vorfeld offenbar auch keine Gedanken gemacht. Also stopfen Diesel-Generatoren die Löcher im Ladesäulen-Netz. „Eine Schande“, sagt Colin Howden von der Organisation „Transform Scotland“. Für die Veranstalter wie für die Außenwirkung des gesamten Gipfels.
So groß die Spenden von Milliardären wie Jeff Bezos sein mögen, so dramatisch die Appelle von Politikern wie Angela Merkel, so ehrenvoll die Absichtserklärungen der sogenannten „World Leader“ in puncto Klimaschutz: All das wirkt bigott, wenn draußen vor der Tür die Limousine mit laufendem Motor wartet. Glasgow hätte ein Signal des Aufbruchs sein können – stattdessen überwiegt der Eindruck einer verpassten Chance.
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