Dieser Rollstuhl kann Treppen steigen

Die Mobilität von Rollstuhlfahrer*innen endet häufig an der nächsten Treppenstufe. Ein Schweizer Unternehmen baut nun einen Rollstuhl, der diese Hindernisse überwindet.

Zu sehen ist der Rollstuhl, wie er die Treppen runterfährt
Seit 2014 ist das Schweizer Unternehmen Scewo ein fester Bestandteil des Rollstuhlmarktes. Ein Jahr später wird das erste Video des „Bro“-Prototypen hochgeladen und geht viral. Seitdem gehen die Anfragen durch die Decke [Bildquelle: Scewo]

Für Rollstuhlfahrer gehören Treppenstufen bauartbedingt zu den größten Hindernissen. Der Schweizer Maschinenbau-Student Bernhard Winter und sein zehnköpfiges Team haben eine Lösung für genau diese Situationen entwickelt. Vor vier Jahren gründeten sie die Firma Scewo mit dem Ziel, einen Rollstuhl erfinden, der Treppenstufen überwinden kann. Bis zum ersten Prototypen vergingen nur neun Monate.

Gesteuert wird der Elektro-Rollstuhl per Joystick oder über ein Iphone. Der Clou: An der Unterseite des Bro genannten Elektro-Rollstuhls sind Raupen montiert. Sie transportieren den Rollstuhl auf den Kanten der Treppenstufen herunter oder herauf. Die Treppenstufen dürfen maximal 20 Zentimeter hoch sein, 30 Stufen pro Minute überwindet der elektrische Rollstuhl. Sensoren tasten die Umgebung des Bro ab und erkennen das Ende der Treppe selbstständig. Nur bei Wendeltreppen kapitulieren die Systeme, weil der Rollstuhl im „Raupen-Modus“ keine Kurven fahren kann. Über regelmäßige Software-Updates will der Hersteller laufend alte Funktionen verbessern und neue implementieren.

Für Gespräche auf Augenhöhe

Doch der Bro bietet noch mehr. Fahrer*innen können die Sitzhöhe verstellen, maximal auf eine Höhe von 87 Zentimetern über dem Boden. Das soll nach Angaben der Schweizer Entwickler Gespräche mit anderen Menschen auf Augenhöhe ermöglichen. Oder, ganz profan, das Erreichen der oberen Regale im Supermarkt. Das Prinzip funktioniert auch in entgegengesetzter Richtung. Der Sitz lässt sich bis auf 43 Zentimeter absenken. Das erleichtert es dem Benutzer oder der Benutzerin, die Toilette zu erreichen oder ins Bett zu wechseln.

Statt auf vier Rädern, rollt der Bro nur auf zweien. Der Rollstuhl hält sich dabei selbst in der Waage. Sitzt eine Person im Bro, merkt sich der Rollstuhl den Schwerpunkt und gleicht Gewichtsverlagerungen oder eine Steigung automatisch aus. So sitzen Fahrer*Innen stets aufrecht.

Die Reduzierung auf zwei große Räder soll Fahrer*innen des Bro auch Ausflüge in unwegsameres Gelände ermöglichen. Die kleinen Vorderräder von klassischen Rollstühlen sind etwa auf Waldwegen hinderlich, weil sie ständig verkanten.

Der Elektro-Rollstuhl mit Raupen-Funktion kostet bei Scewo 34.000 Euro. Rollstühle, die eine vergleichbare Höhenverstellfunktion mitbringen, sind bis zu 30 Prozent günstiger. Allerdings können diese keine Treppen befahren. Laut Bernhard Winter unterstützten in einigen Fällen Versicherungen in der Schweiz und Deutschland bei der Finanzierung. Auch die Rentenanstalt, die Berufsgenossenschaft und verschiedene Stiftungen helfen oftmals bei der Finanzierung.

Derzeit sei die Nachfrage größer als die Fertigungskapazitäten, sagt Winter. Mehrere Dutzend Vorbestellung lägen bereits vor und in Deutschland, Österreich und der Schweiz seien einige bereits auf den Straßen unterwegs, heißt es vom Unternehmen. Winter rechnet damit im Jahr 2022 mehr als 100 Rollstühle auszuliefern.Der

Zu sehen ist der Rollstuhl in Aktion im Supermarkt
Ein Supermarktregal ist dank des in der Höhe verstellbaren Rollstuhls kein großes Hindernis mehr. In der höchsten Einstellung liegt die Sitzfläche bis zu 87 Zentimeter über dem Boden [Bildquelle: Scewo]

Marketing aus den USA

Nach eigenen Angaben bekam das Unternehmen beim Marketing unverhoffte US-amerikanische Unterstützung. Die Erfinder präsentierten die Funktionen ihres Rollstuhls in diversen Internetvideos. Von dem Konzept sollen der US-Rapper Lil Wayne und Schauspieler Ashton Kutcher so begeistert gewesen sein, dass sie die Videos in ihren sozialen Netzwerken teilten und damit für viel Aufmerksamkeit sorgten. Kutchers Zwillingsbruder leidet seit seiner Geburt an Zerebralparese – einer Krankheit, die mit Bewegungsstörungen und Muskelsteife einhergeht.

Im September gewann das Team um Bernhard Winter dann den mit 50.000 Franken (etwa 47.300 Euro) dotierten Swiss Medtech Award 2021.

Seitdem der Bro im Oktober 2021 in der Unterhaltungssendung „Die Höhle der Löwen“ zu sehen war, stieg die Nachfrage weiter. Scewo wollte in der Sendung fünf Millionen Euro Investitionsbudget für zehn Prozent der Firmen-Anteile. Bekommen haben sie die nicht. Der Popularität des Bro hat der Auftritt dennoch genutzt.

Der Rollstuhl von Scewo in Bildern

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