Dieses Fahrrad besteht komplett aus Kunststoff

Kugellager, Getriebe, Rahmen: Jedes Einzelteil des Igus Bike besteht aus 100 Prozent recycelbarem Kunststoff. Dazu fischt der Hersteller auch Plastik aus den Weltmeeren. Er arbeitet bereits am nächsten Coup.

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Dennis Merla
Igus Bike am Fluss
Rot kann diesem Fahrrad nichts anhaben. Alle Bauteile am Igus Bike bestehen aus Kunststoff [Bildquelle: Igus]

Etwa 150 Millionen Tonnen Plastikmüll schwimmen in den Weltmeeren, schätzen Experten. Der deutsche Kunststoffhersteller Igus möchte dem etwas entgegensetzen. Unter dem Slogan „Mobilität von morgen aus dem Abfall von gestern“ präsentiert der Hersteller ein komplett aus Kunststoff gefertigtes Fahrrad.

Die Idee kam Igus-Geschäftsführer Frank Blase im Urlaub an der Atlantikküste. Ein Verleiher von Beachbikes erklärte ihm, dass viele der Leihräder durch den ständigen Kontakt mit Sand und Salzwasser alle drei Monate repariert werden müssen. Die Stahlrahmen vieler herkömmlicher Räder seien für das raue Klima an der Küste einfach nicht geschaffen. Der Blases Lösung: ein Fahrrad aus wetterbeständigem Kunststoff.

Igus Bike: Wartungsarm und langlebig

Für die Umsetzung holte sich der Kunststoffspezialist Unterstützung aus den Niederlanden. Gemeinsam mit dem Fahrrad-Start-Up MTRL entwickelten sie das Vollkunststoff-Fahrrad namens „Igus Bike“. Das Besondere an dem Fahrrad: Sämtliche Komponenten bestehen aus Kunststoff. Darunter auch alle beweglichen Teile wie Radlager, Kugellager, Bremsen, Ritzel und Getriebe.

Flugrost, Salzwasser und Streusalz können dem Igus Bike nichts mehr anhaben. Das verlängert seine Lebensdauer enorm. Weil das Rad zudem ohne Schmierstoffe wie Öl oder Fette auskommt, muss es extrem selten gewartet werden. Möglich machen das sogenannte „integrierte Festschmierstoffe“. Statt ein Schmieröl aufzutragen, wird dem Kunststoff bei der Herstellung Graphit oder Molybdändisulfid beigemischt. Wegen ihrer Kristallstruktur an der Oberfläche verhalten sich die Bauteile dann als seien sie geschmiert. 

Festschmierstoffe kommen in der Regel dort zum Einsatz, wo flüssige Schmierstoffe versagen. Etwa bei Bauteilen die sehr heiß werden. Anders als Öle und Fette, bieten sie den Vorteil, dass sie sich nicht verbrauchen. Es muss also nie nachgeschmiert werden. Für das Igus-Bike bedeutet das neben der Wartungsfreiheit auch eine längere Lebensdauer, weil sich Sand, Staub und Schmutz nicht festsetzen können.

Singlespeed-Bike mit Materialpass

Das Igus-Bike wird als Singlespeed-Bike produziert. So werden Fahrräder mit nur einem Gang genannt. Gerade im urbanen Bereich sind die sogenannten „Fixies“ sehr beliebt. Sie besitzen einen starren Gang. Heißt: dreht sich das Rad, drehen sich die Pedale automatisch mit. Beim Igus Bike ist das anders. Hier setzt der Hersteller auf einen Freilauf. Das Bike kommt also ebenfalls mit nur einem Gang. Die Radnabe erlaubt jedoch, dass die Pedale auch während der Fahrt ruhen können.

Zum Stehen bringen das Igus Bike die weit verbreiteten V-Break-Bremsbeläge. Sind sie heruntergefahren, bekommt man in jedem Fahrradgeschäft schnell Ersatz. Statt einer Kette überträgt ein Riemen die Kraft beim Pedalieren. Gegenüber einer Kette hält ein Riemen in der Regel zwei bis drei Mal so lang. Weil die Systeme ohne Bauteile wie Kettenblätter oder Zahnkränze auskommen, sind sie darüber hinaus sehr verschleißbeständig.

Damit das Igus Bike am Ende seines Lebenszyklus fachgerecht recycelt wird, kümmert sich Igus selbst darum. Dazu verbaut der Hersteller Chips im Rahmen und in den Rädern. Sie dienen als Materialpass. Igus will die Fahrräder am Ende des Fahrrad-Lebens gegen ein Pfand zurückkaufen und die alten Komponenten als Rohmaterial für neue Räder nutzen.

Igus:bike Plattform

Igus möchte sein Konzept auch anderen Herstellern zugänglich machen und etabliert dafür die Know-How-Plattform Igus:bike. Sie soll als Anlaufstelle für jene dienen, die auch ein Kunststoff-Rad bauen möchten. Auf der Plattform informiert Igus über den Stand und Fortschritt seiner Komponenten. „Wir möchten damit die Fahrradindustrie befähigen, Räder aus Kunststoff zu produzieren”, erklärt Frank Blase. Die Unternehmen können sich über die Plattform miteinander vernetzten. Eine erste Kooperation mit Helix.eco, einem Unternehmen für recycelte Kunststoffe ist daraus bereits entstanden.

Aber auch Fahrradkund*innen soll sie einen Mehrwert bieten. Sie können sich dort ebenfalls über den Stand der Technik informieren und darüber, wo sie Vollkunststoff-Fahrräder kaufen können.

Ende 2022 startet MTRL mit der Produktion. In Deutschland soll das Kunststoff-Fahrrad Anfang 2023 verfügbar sein. Zunächst sind ein Erwachsenen-Rad und ein Kinderfahrrad geplant. Davon soll es laut Igus zum Start zwei verschiedene Versionen geben: eine 1.200 Euro teure Version aus neuem Kunststoff und eine 1.400-Euro-Version aus recyceltem Kunststoff. Erste Prototypen aus alten Fischernetzten und ausrangierten Tulpennetzten hat der Hersteller bereits produziert und getestet. Dabei soll es nicht bleiben. Ein E-Bike aus Kunststoff ist bereits in der Planung.

Das Igus Bike in Bildern

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