Fahrrad: Unfallursache Straßenbahngleis

In die Straße eingelassene Tramgleise sind für Radfahrende gefährlich: Im falschen Winkel überfahren, ist ein Sturz vorprogrammiert. Technische Lösungen setzen sich nur langsam durch.

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Björn Tolksdorf
Wo sich Straßenbahn und Radverkehr den Straßenraum teilen, wird es schnell gefährlich: In der Spurrille ist der Sturz vorprogrammiert [Bildquelle: Simon Pausch]

Manches lernen wir durch Schmerzen. Etwa, dass man eine heiße Herdplatte nicht anfassen sollte. Solche Lerneffekte gibt es auch im Straßenverkehr. Wer einmal aus Versehen mit dem Fahrrad in die Spurrille einer Tramschiene fährt, wird versuchen, das künftig zu vermeiden. Denn so etwas endet fast immer in einem Sturz. Eine Tramschiene bedeutet für das Fahrrad eine ähnliche Gefahr wie ein spitzer Nagel für den Autoreifen: Wer im „richtigen“ Winkel hineinfährt, hat verloren. Die im Boden versenkten Gleise der Straßenbahnen lassen für Radfahrende im Grunde nur noch den Sturz zu, wenn das Vorderrad einmal in die Vertiefung der Schiene einfädelt.

Im besten Fall bleibt es beim Schreck, aber Schürfwunden und leichte Schäden am Rad sind schnell passiert. Damit aber nicht genug: Bei höherem Tempo besteht auch die Gefahr schwerer Verletzungen. Und unabhängig vom Tempo besteht das Risiko, plötzlich und unerwartet in den rollenden Autoverkehr zu stürzen. Das kann schnell lebensgefährlich werden.

Wem dies einmal passiert ist, der wird daher versuchen, Tramschienen stets in einem möglichst rechten Winkel zu überfahren und vielleicht sogar Strecken meiden, auf denen Radstrecke und Tram sich den Verkehrsraum teilen. Die Schienen sind für Radfahrende schlicht eine große Gefahr. Das ist nicht nur eine gefühlte Wahrheit, wie eine Studie der University of Tennessee aus dem Jahr 2017 zeigt. In der Studie wurden Alleinunfälle an einer Bahnüberführung mit versenkten Gleisen untersucht. Die Stelle wurde im Untersuchungszeitraum von 2000 Radfahrenden überquert, dabei kam es zu 32 Fahrradunfällen ohne Fremdeinwirkung.

Hauptunfallursache: Überfahrwinkel

Die Untersuchung wollte die häufigsten Ursachen dieser Unfälle identifizieren. Der Winkel, in dem die Radfahrenden die Schienen überfuhren, stellte sich dabei als Hauptunfallursache heraus. Dabei hatte die zuständige Verkehrsbehörde schon versucht, mit einem rechtwinklig zur Schiene auf die Straße gezeichneten Radweg die Gefahr zu entschärfen. Besonders bedenklich: Das Videomaterial, das die Forschenden zu ihrer Studie veröffentlich haben, zeigt eine Reihe von Alleinunfällen, in denen die Radfahrenden in die Fahrspur des motorisierten Verkehrs stürzen.

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Technische Lösung: Das „Velogleis“

Allzu ambitioniert fallen die meisten Versuche bisher nicht aus, die Gefahr zu entschärfen, die versenkte Schienen im Fahrbereich von Radfahrenden darstellen. Wo möglich, verlegen Verkehrsplanende die Tram oder den Radverkehr auf einer separaten Verkehrsfläche – Problem gelöst. Wo das aus Platzgründen nicht möglich ist, müssen Radfahrende mit dem Risiko leben.

Dabei gibt es technische Lösungen. Die bekannteste stammt von der Firma Seal-Able, ehemals Dätwyler Sealing Technologies, aus Waltershausen (Thüringen). Ihr „Velogleis“ erhielt 2018 den Innovationspreis den Landes Thüringen. Das Prinzip: Ein Gummiprofil verschließt die Spurrille der Tramschiene. Ein Fahrradreifen kann nicht mehr in die Rille geraten. Die deutlich schwerere Straßenbahn drückt das Gummiprofil beim Befahren zusammen und kann so trotzdem die Spur nutzen.

Erste Versuche der Technik startete das Unternehmen bereits 2013 gemeinsam mit der Stadt Zürich. Sie zeigten die Schwächen der damaligen Konstruktion auf: Schon nach wenigen Wochen hatten die Räder der Straßenbahnen das Gummimaterial verschlissen. Gummibrocken verteilten sich auf der Straße, der Schutz war nicht mehr gewährleistet. Daraufhin überarbeitete das Gleisanlagenbau-Unternehmen das System komplett, Ziel vor allem: Mehr Haltbarkeit. Und mehr Sicherheit, denn bei Nässe wurde das zunächst eingesetzte Material rutschig und damit vor allem für den Fußverkehr zur Gefahr.

Erste Umsetzung in Zürich und Basel

Nach Angaben des Unternehmens hat die 2018 auf der Fachmesse Innotrans vorgestellte Neukonstruktion im Versuch 220.000 Tram-Fahrten praktisch ohne Verschleiß überstanden. Auf der Straße könne das System in seiner aktuellen Form zwei bis drei Jahren halten.

Die erste Umsetzung des verbesserten „Velogleis“ findet sich erneut in der Schweiz. Die Stadt Basel testet das System derzeit an der Tramstation Bruderholzstrasse mit täglich 150 Tramfahrten. Zwei Jahre lang will die Stadt dort Erfahrungen sammeln. Die ersten gibt es bereits: Im Frühjahr 2022 wurden erste Reparaturen fällig, die Belastbarkeit scheint nach wie vor nicht ideal. Vor allem der nicht sichtbare Teil des Gummiprofils in der Schiene neige zu Defekten, berichtet die Basler Zeitung.

Das "Velogleis" eines thüringischen Gleisanlagen-Fachbetriebs wurde 2018 auf der Fachmesse Innotrans vorgestellt [Bildquelle: Seal-Able]

Halle prüft erste deutsche Umsetzung

Angesichts solcher Erfahrungen verwundert es nicht, dass sich andere Städte noch zurückhalten. Zumal die „velosichere Schiene“ keine preiswerte Lösung ist. Die innovative Technik kann nicht einfach in bestehende Straßenbahngleise „eingebaut“ werden. Die Schienen müssen in der Regel komplett erneuert werden. Wegen befürchteter hoher Kosten sind bisher aus vielen Städten nur halbherzige Aussagen überliefert.

Die Berliner Verkehrsbetriebe, die sich um 2014 mit der Frage beschäftigten, rechnen etwa laut dem „Tagesspiegel“ mit „Investitionen in Milliardenhöhe“, wollte Berlin sein Straßenbahnnetz fahrradsicher ausrüsten. Das scheint übertrieben, denn ein Komplettaustausch aller Schienenanlagen wäre in den meisten Städten weder nötig noch sinnvoll. Wo die Tram ein separates Gleisbett befährt, ist ein Umbau nicht nötig. Ebenso wenig dort, wo ein separater Radweg existiert. Ein Umbau der Streckenabschnitte, auf denen sich Fahrrad, Tram und häufig auch Autos die Fahrspur teilen, könnte sich zunächst auf bekannte Unfallschwerpunkte konzentrieren. Damit wäre viel gewonnen.

In Halle an der Saale tut sich nun etwas. In der engen Altstadt existiert ein dichtes Straßenbahnnetz, in den letzten Jahren schafften es einige schwere Alleinunfälle von Radfahrenden in die lokalen Medien. Auf Beschluss des Stadtrates  prüft die Stadtverwaltung nun, welche Unfallschwerpunkte in der Stadt sich für das System eignen und wie hoch die Kosten wären. Kommt es zu einer Umsetzung, könnte Halle in Deutschland den neuen Standard für Fahrrad-sichere Straßenbahnanlagen setzen.      

Feldversuch in Basel: Im Juli 2022 erneuerten die Verkehrsbetriebe die schützende Gummifüllung [Bildquelle: Seal-Able]
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