Wann kommt Tempo 30 innerorts?

Gut für Luft, Lärm und Verkehrssicherheit: Immer mehr Städte wollen mehr Tempo 30. Doch die Umsetzung scheitert an der StVO – und damit am Verkehrsministerium.

Heiko Dilk

Heiko Dilk

Symbolfoto Radverkehr
Städte würden lebenswerter, wenn öfter Tempo 30 gelten würde. Findet jedenfalls eine Initiative, der sich bereits 381 Städte und Kommunen angeschlossen haben [Bildquelle: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/Picture-Alliance]

Es gibt so Dinge, da kann eigentlich niemand was gegen haben. Lebenswerte Städte zum Beispiel. Gut insofern, dass eine Initiative sieben deutscher Städte genau das im Titel trägt. Vollständig heißt sie: „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“. Womit es schon wieder etwas kontrovers wird. Aber dazu gleich.

Im Juli 2021 wurde die Initiative von Freiburg, Leipzig, Aachen, Augsburg, Hannover, Münster und Ulm ins Leben gerufen, seitdem erfreut sie sich zunehmender Beliebtheit. Bereits 381 Städte, Gemeinden und Landkreise sind dem Bündnis beigetreten (Stand Januar 2023). Im März 2022 waren es noch 100. Das Hauptziel: Kommunen sollen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts überall dort anordnen können, wo sie es für nötig halten.

Die Unterstützer versprechen sich mehr Sicherheit im Straßenverkehr, vor allem für schwächere Verkehrsteilnehmer, bessere Luft und geringere Lärmbelastung. Dabei sind Bürgermeister*innen und Oberbürgermeister*innen nahezu aller Parteien. Mit Ausnahme der AfD, aber die stellt bislang kaum welche.

Tempo 30 reduziert nach einer Untersuchung des Umweltbundesamts vor allem, die Lärmbelastung durch den Straßenverkehr, zusätzlich verringert es den Ausstoß von Luftschadstoffen, allerdings nur leicht [Bildquelle: picture alliance / Daniel Kubirski]

Tempo 30 bedeutet hohen Verwaltungsaufwand

Das Problem: Nach der gegenwärtigen Rechtslage dürfen Kommunen, Städte und Gemeinden Tempo 30 nicht einfach anordnen. Die Straßenverkehrsordnung (StVO) legt innerorts eine Regelgeschwindigkeit von 50 km/h fest. Zwar gibt es Voraussetzungen, die eine Begrenzung auf Tempo 30 erleichtern. Etwa in Wohngebieten als Tempo-30-Zone oder vor Schulen und Altenheimen. Doch auf Hauptverkehrsstraßen gilt Tempo 50 als Regel. Die Anordnung einer niedrigeren Höchstgeschwindigkeit stellt im Sinne der StVO eine Beschränkung der Nutzung dar.

Ausnahmen, die nicht im sehr länglichen Paragrafen 45 StVO genannt sind, müssen gut begründet werden. So muss etwa eine konkrete Gefährdung vorliegen. Eine Änderung der Regelgeschwindigkeit auf 30 km/h in der StVO würde den Prozess umkehren. Die Anordnung von Tempo 50 bedürfte einer Begründung. Janna Aljets von der Organisation Agora Verkehrswende sagt: „Das Problem ist, dass der aktuelle Rechtsrahmen es nur in sehr begrenzten Fällen zulässt, Tempo 30 anzuordnen. Das geht zum Beispiel nicht für ganze Strecken, sondern nur abschnittsweise und es muss in jedem Einzelfall begründet werden. Entsprechend ist der Verwaltungsaufwand enorm.“

Verkehrsministerium gegen generelles Tempo 30

Umweltverbände, Verkehrsbeiräte und andere Verbände, etwa der Fahrradbranche, fordern zum Teil schon seit Jahren Tempo 30 als Regel. Auch das Umweltbundesamt (UBA) spricht sich schon länger dafür aus. Ein kürzlich vom UBA veröffentlichte Studie macht deutlich warum: Simulationen in drei Beispielstädten haben demnach ergeben, dass vor allem die Lärmbelastung sinkt. Zudem gehe die Belastung mit Luftschadstoffen (Stickoxide, Feinstaub) leicht zurück. Lediglich auf den CO2-Ausstoß hat Tempo 30 demnach keinen Einfluss.

Mit Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) allerdings wird es wohl kein generelles Tempo 30 geben. Das Verkehrsministerium ließ mehrfach verlauten, dass man von einem flächendeckenden Tempo 30 „nicht überzeugt“ sei. Genau wie der ADAC. Hier verweist man unter anderem darauf, dass in vielen Städten ohnehin schon ein Großteil des Straßennetzes auf 30 km/h begrenzt sei. „Wir wollen, dass die Durchgangsstraßen ihre Attraktivität behalten“, sagte uns ein ADAC-Sprecher. Der Automobilclub befürchtet eine Verlagerung in Bereiche, die man vom Durchgangsverkehr freihalten will. „Wenn auf Hauptverkehrsstraßen Tempo 30 gilt, gibt es für Autofahrende keinen Grund mehr, Tempo-30-Zonen zu meiden“, so der Sprecher.

Ein Bild vom Radverkehr aus NRW. Eine Frau fährt auf einer Fahrradstraße in Nordrhein-Westfalen.
Tempo 30 reduziert nach einer Untersuchung des Umweltbundesamts vor allem, die Lärmbelastung durch den Straßenverkehr. Zusätzlich verringert es den Ausstoß von Luftschadstoffen, allerdings nur leicht [Bildquelle: picture alliance / Daniel Kubirski]

Mehr Handlungsfreiheit statt Regelgeschwindigkeit

Der Initiative „Lebenswerte Städte“ geht es jedoch gar nicht unbedingt um Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit, sie fordert mehr Handlungsfreiheit. Auch deshalb wird die Initiative von Agora Verkehrswende unterstützt. Janna Aljets: „Wir wollen keinen ideologischen Kampf daraus machen.“ Zwar halte Agora ein generelles Tempo 30 für sinnvoll, doch die Initiative der Städte „wäre ein pragmatischer Ansatz und im besten Sinne liberale Politik.“ An die Verlagerung des Durchgangsverkehrs in Wohngebiete, glaubt sie nicht. „Der ADAC geht hier von falschen Annahmen aus. Es gibt Untersuchungen aus den letzten Jahren, die zeigen, dass eine solche Verlagerung nicht stattfindet“, so Aljets. Zudem gehe es nicht so sehr um Hauptverkehrsstraßen, sondern um Strecken, wo es sinnvoll sei, Tempo 30 einzurichten. „Das können auch Nebenstraßen sein, wenn hierdurch die Lebensqualität und Sicherheit deutlich verbessert werden kann.“

Tatsächlich spricht sich nicht mal Volker Wissing gegen mehr Handlungsfreiheit aus. Dem „Tagesspiegel“ sagte er: „Die Kommunen vor Ort wissen am besten, was für ihre Bewohner gut ist. Deshalb bin ich offen für unterschiedliche Lösungsansätze und Experimentierfelder.“ Das war allerdings vor ziemlich exakt einem Jahr. Seither hat sich nichts getan.

Verkehrsversuche mit Tempo 30 sollen kommen

Erst im November 2022 hat Wissings Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) überhaupt erst auf Kontaktversuche der Initiative reagiert, berichtet sie auf ihrer Internetseite. Das Schreiben bezeichnet sie jedoch als „insgesamt unbefriedigend“. Es nehme lediglich Bezug auf bereits bestehende Möglichkeiten, Geschwindigkeitsbegrenzungen anzuordnen. Auf einen Gesprächswunsch der Initiative sei nicht eingegangen worden. Eine Bereitschaft, sich mit ihrem Anliegen auseinanderzusetzen, erkennt sie nicht. Sie will weiter Druck machen und zum Beispiel bei der Europäischen Mobilitätswoche (EMW) im September 2023 Städte und Gemeinden dazu bringen, Verkehrsversuche zu Tempo 30 zu starten. Auf einer Onlinekonferenz Anfang Februar soll der Plan konkret präsentiert werden.

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