So werden Laternen zu Ladestationen
Sie spenden Licht und führen Strom: Laternen können zu Ladestationen werden und so den Ausbau der Ladeinfrastruktur massiv beschleunigen. Nach Dortmund und Hannover forciert nun auch Berlin den Ausbau.
Wenn es so weiter geht, wird es eng an den Ladesäulen. Die Zahl der Elektroautos steigt stetig, die Zahl der Ladepunkte auch, aber weniger schnell. Zum Stichtag 1. Januar 2022 fuhren 618.460 Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb auf deutschen Straßen, dazu noch 565.956 Plug-in-Hybride. Ein Jahr zuvor waren es halb so viele. Demgegenüber stieg die Zahl der öffentlichen Ladepunkte laut der Bundesnetzagentur im gleichen Zeitraum nur um etwa ein Drittel auf 55.155.
In Berlin könnte sich die Zahl der Ladesäulen in kurzer Zeit recht sprunghaft erhöhen. Zu den hier laut dem Verband der Automobilindustrie VDA verzeichneten rund 1.500 Ladepunkten kommen noch im 2. Quartal dieses Jahres 200 weitere hinzu. Berlin hat einen Auftrag für die Installation von Ladepunkten in Straßenlaternen durch das mittlerweile zur Shell Gruppe gehörende, ehemalige Start-up Ubitricity vergeben.
Bereits beantragt ist laut Ubitricity-Sprecherin Nicole Anhoff-Rosin eine Erweiterung des Projekts. Damit könnten im zweiten Schritt weitere 800 Ladepunkte hinzukommen. Ob und wann es damit losgehen kann, steht noch nicht fest. Doch der Charme des Systems liegt gerade darin, dass die Ladepunkte „minimalinvasiv“ installiert werden, wie Anhoff-Rosin sagt. Vereinfacht gesagt: Anbohren, Kabel zusammenstecken, mit dem Backend verbinden – und es kann geladen werden.
Ladestationen an Laterne: Der Ausbau geht voran
Die Idee ist naheliegend und nicht neu: Ubitricity wurde bereits 2008 gegründet und verfolgt seither diesen Ansatz. Einige Projekte mit Laternen-Ladesäulen gibt es bereits in Deutschland. Ein recht kleines in Langenhagen bei Hannover zum Beispiel. Dort gibt es an fünf Standorten Ladelaternen. Deutlich mehr stehen in Dortmund. Hier wurden im Rahmen des Projekts NOX-Block schon im Juli 2021 die ersten Ladepunkte in Laternen in Betrieb genommen. Im Februar 2022 waren 156 in Betrieb, einen knappen Monat später seien es bereits rund 200, wie eine Sprecherin der beauftragten Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW21) auf Anfrage sagte. Bis zum Herbst sollen es insgesamt 320 werden.
In Dortmund wird zwar die die bestehende Straßenbeleuchtung genutzt, doch die Masten werden ausgetauscht und durch neue ersetzt, die für die Technik nutzbar sind. So lassen sich im Rahmen einer Erneuerung der Straßenbeleuchtung Kosten für die zugleich errichtete Ladeinfrastruktur sparen. Dortmund hat den Auftrag im Rahmen der Erneuerung der Straßenbeleuchtung mitvergeben. So werden Laternen unabhängig davon auf stromsparende LED-Technik umgerüstet und per integriertem Lichtmanagement „smart“ gemacht.
In Berlin kommen Ladelaternen mit Verzögerung
Die Nachrüstlösung für Berlin lässt sich in der Theorie schneller umsetzen. Doch sie kommt mit Verspätung. Eigentlich sollten 1000 Ladepunkte schon 2020 in Laternenmasten wandern, Ubitricity hatte schon einmal eine Ausschreibung gewonnen. Doch die damalige Technik ließ sich nicht legal in Berliner Masten einbauen. „Es hat sich seither sehr viel bei den Regularien und Vorschriften getan“, sagt Anhoff-Rosin. Also musste erst eine technische Lösung entwickelt werden, die dem Eichrecht, der Ladesäulenverordnung, den Technischen Anschlussregeln (TAR) und den Technischen Anschlussbedingungen (TAB) entsprechen.
Dafür hat Ubitricity sich mit dem Start-up Ebee zusammengetan – das praktischerweise gleich nebenan auf dem EUREF-Campus in Berlin sitzt. Die passende Lösung für Deutschland heißt „Heinz“. „Heinz ist im Oktober 2021 fertig geworden“, so Anhoff-Rosin. Die Technik passt allerdings, anders als „Chelsea“ für Großbritannien und „Étoile“ für Frankreich nicht elegant in die Laterne. Stattdessen sitzt ein Kasten „huckepack“ am Mast. Die Installation läuft trotzdem komplett ohne teure Erdarbeiten.
Dennoch liegen die Kosten für die Nachrüstung in Deutschland etwas höher als bei der Variante für Großbritannien. Mehr Technik kostet eben mehr. Günstiger als der Aufbau einer herkömmlichen Ladesäule ist es trotzdem. Man rechne ungefähr mit der Hälfte pro Ladepunkt, so Anhoff-Rosin.
5000 Laternen-Ladestationen im Großraum London
Andere Länder sind schneller. So betreibt Ubitricity im Großraum London nach eigenen Angaben bereits 5000 öffentliche Ladesäulen an Laternen. Dort passt die komplette Technik in die Laternenmasten, nur die Typ-2-Steckdose verrät, dass man sein E-Auto hier laden kann. Ursprünglich hatte Ubitricity eine Lösung mit „Smart Cable“ eingesetzt. Dann übernimmt das Kabel die Messung und Abrechnung des Ladestrom. Doch das erwies sich als zu umständlich.
In Deutschland soll ganz normal per Ladekarte oder App über einen Anbieter für Ladestrom abgerechnet werden. Also genau wie bei anderen Ladesäulen auch. Entsprechend gilt der Tarif des Anbieters. Ohne Anmeldung und Vertrag geht es auch, dann lässt sich der Ladevorgang per QR-Code starten. Die Kosten pro Kilowattstunde sollen im unteren Bereich des Üblichen liegen.
Abstriche bei der Ladeleistung
Nachteil der Laternen-Ladepunkte von Ubitricity: Sie schaffen nur 3,7 kW. Das ist zu wenig, um die großen Akkus der Reichweiten-Könige unter den Elektroautos in annehmbarer Zeit voll zu bekommen. Doch Laternenparker mit Stadtflitzern bekommen ihre 35 oder 50 kWh großen Akkus über Nacht oder tags während der Arbeit voll. Zumal: Manch günstiges, kleines Elektroauto lädt an Wechselstrom häufig ohnehin nur einphasig. Der Onboard-Lader limitiert dann auch an eigentlich dreiphasigen 11- oder 22-kW-Säulen auf 3,7 kW. Das gleiche gilt für viele Plug-in-Hybride. Deren deutliche kleineren Akkus werden mit 3,7 kW schon beim ausgedehnten Shopping wieder voll.
Erfahrungen in Großbritannien zeigen laut Ubitricity, dass viele Elektroautofahrer*innen zwar acht bis zehn Stunden an der Laterne parken. Laden müssen sie jedoch durchschnittlich nur um die vier Stunden. Zwar schaffen die Ladestationen dort wegen des anderen Stromnetzes auch bis zu 5 kW. Doch grundsätzlich gilt auch hierzulande: Wer oft Gelegenheit zum Strom fassen hat, braucht nicht so lange.
Der Nachteil: Mehr als die Hälfte der Zeit bleibt die Lademöglichkeit ungenutzt. Ein Problem allerdings, das mit einem dünneren Ladenetz verstärkt besteht. Manche Ladestromanbieter erheben deshalb eine Blockiergebühr, die nach 120 oder 240 Minuten Ladezeit greift. Städte und Gemeinden begrenzen die Parkdauer an vielen Ladesäulen auf vier Stunden. Wie die Laternen-Ladeplätze hier langfristig behandelt werden, muss sich noch erweisen.
Laternen als Schnellader mit 100 kW
Die in Dortmund aufgestellten Laternen laden mit bis zu 11 kW, andere spezielle Laternen-Ladestationen erreichen 22 kW. Doch dabei handelt es sich im Grunde um beleuchtete Ladesäulen und nicht um Laternen mit Lademöglichkeit. Anders sieht es bei einem Ansatz aus, den die Hochschule Koblenz in einem Projekt verfolgt. Im Juli 2021 meldete sie ein Patent an, das bis zu 102 kW Ladeleistung an Laternen ermöglicht. Auch dafür sind keine größeren Arbeiten notwendig, die Technik nutzt lediglich das Potenzial der vorhandenen Komponenten voll aus. Allerdings: Die 102 kW stehen dem Straßenzug zur Verfügung und müsste sich folglich bei mehreren verbauten Ladepunkten auf diese aufteilen.
Für Ubitricity steht die Erhöhung der Ladeleistung derzeit nicht im Fokus. Man will zunächst den Ausbau mit geringeren Leistungen an vorhanden Straßenlaternen vorantreiben. Mit mehreren Städten in Deutschland und Großbritannien sei man im Gespräch, sagt Anhoff-Rosin und stellt schon recht bald weitere Ankündigungen in Aussicht. Europaweit will Ubitricity 200.000 Ladepunkte bis Ende 2026 geschaffen haben. 50.000 davon sollen bis Ende 2025 in Großbritannien einsatzbereit sein.
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