Lausitzer Platz, Berlin: Unser Dorf soll schöner werden
Verkehrswende an der Basis: Am Lausitzer Platz in Berlin wurde eine Fußgänger*innenzone eingerichtet. Im offenen Forum der Bürger*innenbeteiligung kochen Vorwürfe gegen den Projektträger der Platzaufwertung hoch.
Sprechen wir es offen aus: Die Digitalisierung bringt nicht immer das Beste in uns Menschen hervor. 2021 hatte das Berliner Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain den Lausitzer Platz im Stadtteil Kreuzberg zu einer Fußgänger*innenzone umgewidmet. Parkplätze entfielen, den Autoverkehr blockieren versenkbare Barrieren. Nun befindet sich der Platz mitten im Prozess der Bürger*innenbeteiligung. Die Menschen sollen an der künftigen Gestaltung ihres Platzes beteiligt werden, der seit vielen Jahren keine größeren Investitionen gesehen hat.
Teil dieser Beteiligung sind Informationsveranstaltungen, aber auch ein Online-Forum (Padlet) – in dem deutlich wird, dass es zwischen der Projektsteuerung und den (oder einigen?) Anwohner*innen manchen Graben zu überwinden gilt. Bürger*innen formulieren „Kritik zu willkürlichen Löschungen“ auf dem Forum und werfen dem Träger der Befragung vor, die Ergebnisse der Versammlungen falsch darzustellen. Die „dem Lausitzer Platz autofrei gegenüber kritischen Menschen“ würden nur als Staffage missbraucht.
Natürlich geht es auch um Mobilität: Weniger Autos, mehr Platz für die Menschen, so das übergeordnete Ziel. Wie sieht es nach einem Dreivierteljahr in der Praxis aus? Im Forum heißt es dazu: Auch wenn der Platz nun autofrei sei, gingen die Kinder weiterhin sehr vorsichtig über die Straße, weil „die Fahrradfahrer nicht minder gefährlich sind als die Autos“. Niemand habe bisher in Todesangst gelebt, um „die kleine Straße zu überqueren“. Ein anderer Beitrag fordert: „Schnelles Radfahren muss möglich sein am Platz, daher sollten die Kinder auf dem Spielplatz bleiben“. Auch ohne Autos bleiben offenbar Nutzungskonflikte.
Befürchtung: Mehr Aufenthaltsqualität führt zu mehr Lärm
Diese Konflikte betreffen nicht nur Mobilitätsfragen. Auch die Umgestaltung des Platzes zu einem Treffpunkt trifft nicht bei allen Anwohner*innen auf Gegenliebe. „Auf keinen Fall Bänke zwischen Spielplatz und Häuser, der Krach ist bereits durch die Betonblöcke unerträglich! Ich kann’s von meinem Fenster sehen: da sitzen nie Nachbarn, nur Besucher von außerhalb (in Gruppen, mit Musik, mit Sekt, …).“ Diese Angst formulieren auch andere Beiträge und zitieren zahlreiche „negative Erfahrungen zu dem rücksichtslosen Verhalten von Touristen auf Sitzbänken“. In der Tat hat der touristische Druck auf den Stadtteil im vergangenen Jahrzehnt stark zugenommen, mit der „Markthalle Neun“ befindet sich zusätzlich eine international bekannte Attraktion im Viertel.
Wer den Konflikt zwischen (stadtplanerischer) Theorie und der Lebenswirklichkeit von Anwohner*innen verstehen will, findet am Berliner Lausitzer Platz in jedem Fall Anschauungsmaterial: Wer ein Auto hat, möchte es irgendwo lassen können. Wer keines hat, möchte trotzdem seinen Möbelhaus-Einkauf irgendwie in die Wohnung bekommen. Und: Ein attraktives Viertel bringt auch neue Konflikte, etwa im Zusammenhang mit Tourismus (Stichwort: „Overtourism“) und Mietenentwicklung.
Die Menschen ernst nehmen
Schwierig wird es auf jeden Fall, wenn sich Menschen nicht ernstgenommen fühlen. Wie man das schafft, zeigt exemplarisch die Antwort des Grünflächenamtes auf die Frage, warum Anwohner*innen nicht zur Grundsatzentscheidung des Platzumbaus befragt wurden: „Die Einrichtung einer Fußgänger*innenzone geht auf einen Beschluss der Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg zurück, den das SGA (Straßen- und Grünflächenamt, d. Red.) umgesetzt hat. Die schnelle Umsetzung der Fußgänger*innenzone erfolgt aufgrund der Notwendigkeit der Verbesserung der Schulwegsicherheit der anliegenden Schule“. Kleine Vermutung unsererseits: Behördendeutsch und Formalismen verhelfen der Verkehrswende vielleicht nicht auf schnellstem Wege zur notwendigen Akzeptanz.
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