Berlin: Verkehrswende abgewählt
Die deutsche Hauptstadt Berlin dient oft als Labor, vieles passiert hier schneller und intensiver als woanders. Das gilt nun auch für das vorläufige Scheitern der Verkehrswende. Klingt drastisch, ist aber so, wenn wir uns die politischen Ideen der neuen Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) ansehen. Manja Schreiner ist eine Frau der Praxis. Sie verfügt über Berufserfahrung im Qualitätsmanagement und im Bau, beides Dinge, die Berlin in den letzten Jahren nicht nur beim Flughafen gut getan hätten. Es geht also nicht darum, ihr die Kompetenz abzusprechen. Wohl aber zu konstatieren, dass sie die Talking Points der verkehrsbewegten Urbanistik ignoriert. Die neue Verantwortliche hält nichts von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit: „Drei Viertel der Straßen sind ja schon Tempo-30-Zone“. Das geht etwas am Sinn einer solchen Regelung vorbei. Denn natürlich wären auch dann noch Tempo-50-Zonen auf Hauptstraßen möglich. Frau Schreiner will Lücken im ÖPNV schließen, Radwege schneller bauen und die Verkehrsbelastung durch mehr Park-and-Ride-Angebote für Pendelnde senken. Vor allem aber „alle Bedürfnisse vereinen“: „Mir geht es um ein gutes Miteinander im Verkehr, ohne Polarisierung der letzten Jahre“.
Wer eine Absage an den Anspruch politischer Steuerung des städtischen Verkehrs heraushört, liegt vermutlich richtig – auch, wenn Frau Schreiner das so vermutlich nicht meint. Nach Harmonie und Ausgleich, nach einer Politik, die einfach mal die Hausaufgaben erledigt, gibt es in der Stadt tatsächlich eine Sehnsucht. Die bisherige Verkehrspolitik war mit ein Grund dafür, dass die Berliner Grünen nicht weiter wachsen konnten und letztlich die Regierungsbeteiligung aufgeben mussten. Die Verkehrswende nach ihren Vorstellungen ist abgewählt worden. Zu oft ging es in isolierten Pilotprojekten um Schaufensterpolitik. Statt auf einem leistungsfähigen Rad-Routennetz schneller und sicherer ans Ziel zu kommen, holpert man in Berlin zusammenhanglos von Vorzeige-Fahrradstraße zu Pilot-Begegnungszone. Zu oft entstand bei den Menschen zudem der Eindruck: Die wollen uns was wegnehmen, meist Parkplätze. Andere Metropolen schaffen es, die Bevölkerung für fortschrittliche Projekte zu gewinnen, indem Fortschritt sichtbar wird. In Berlin wurde immer nur der Wegfall des Alten diskutiert, als sei dies schon eine Idee des Wunschzustands. Nun wird es erst einmal darum gehen, die Hausaufgaben, die dabei liegengeblieben sind, abzuarbeiten. Hier ein neuer U-Bahn-Kilometer, dort ein neuer Radweg. Das ist vielleicht auch ganz gut so.