E-Scooter: 4200 Kilometer bis zur Nachhaltigkeit

E-Scooter sollen den Verkehr in Metropolen umweltfreundlicher machen. Das kann funktionieren. Aber nur, wenn sie sehr lange fahren. Und dann ist da noch das Thema Vandalismus.

Dennis Merla

Dennis Merla

Zu sehen sind mehrere E-Scooter
E-Scooter gehören mittlerweile zum Stadtbild in deutschen Metropolen [Bildquelle: Jochen Tack/picture alliance]

Aus medizinischer Sicht ist das Urteil klar: „E-Scooter sollten komplett verboten werden“, forderte Andreas Gassen, der Chef der kassenärztlichen Vereinigung, als die elektrischen Roller 2019 flächendeckend in deutschen Großstädten verteilt wurden. Allein im vergangenen Jahr gab es in Deutschland 2155 E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden, fünf Menschen starben. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht die Roller hingegen als „echte Alternative zum Auto, vor allem für die letzte Meile zur U- oder S-Bahn.“ Dahinter stecken vor allem ökologische Gesichtspunkte: Wer elektrisch rollert, braucht kein Benzin und keinen Parkplatz in den ohnehin schon überfüllten Innenstädten.

Keine Frage: E-Scooter polarisieren. Aber wie steht es wirklich um die ökologische Nachhaltigkeit der elektrischen Roller, die aus dem Stadtbild deutscher Metropolen inzwischen kaum mehr wegzudenken sind?

Was sind E-Scooter?

E-Scooter sind elektrisch angetriebene Tretroller, die von Verleihfirmen wie Voi, Lime, Bolt oder Tier in vielen deutschen Großstädten angeboten werden. Mit einer Smartphone-App des jeweiligen Anbieters werden die Roller gemietet. Die Abrechnung erfolgt dann pro Minute. Damit E-Scooter überhaupt auf öffentlichen Straßen fahren dürfen, brauchen sie ein Versicherungskennzeichen. Einen Führerschein braucht man hingegen für einen E-Scooter nicht. Die Idee dahinter ist, eine innerstädtische Alternative zum Auto oder dem Motorrad zu schaffen. Kurze Wege, die sonst mit einem Verbrenner zurückgelegt würden, könnten dann mit den emissionsfreien E-Scootern bewältigt werden. Die Städte würden damit leiser, sauberer und umweltfreundlicher, versprechen die Anbieter der elektrischen Tretroller.

Nachhaltigkeit von E-Scootern

 Laut einer US-Studie lag die Lebensdauer der Fahrzeuge im Jahr 2019 bei rund einem Monat. Der Anbieter Tier bestätigt „mobility-talk“, dass diese erste E-Scooter-Generation nie auf deutschen Straßen fuhr. Heutige Modellgenerationen sind stabiler und langlebiger. Tier geht aktuell von einer Lebensdauer von mindestens drei Jahren aus. Mit ihrem neuesten Modell hoffen sie, den Zyklus auf fünf Jahre erhöhen zu können. Bolt und Voi beziffern die Lebensdauer ihrer Roller ebenfalls auf bis zu fünf Jahre. Eine modulare Bauweise der E-Scooter soll zudem Wartungs- und Reparaturarbeiten erleichtern. Laut Tier müssten deshalb nur sehr selten Fahrzeuge ausgemustert werden.

E-Scooter-Produktion

Voi Technology bestätigt mobility.talk gegenüber, den CO2-Ausstoß der E-Scooter-Produktion über Kompensationsprogramme wie CO2-Zertifikate auszugleichen. Ablass will das Unternehmen damit nicht leisten: Das angestrebte Ziel ist, die CO2-Belastung über die Nutzung des Fahrzeugs wieder einzuspielen.

Einer Modell-Rechnung der Hochschule Bochum zufolge schlägt bei der Produktion der E-Scooter besonders der hohe Aluminium-Anteil zu Buche. Insgesamt geht die Hochschule Bochum von rund 500 kg ausgestoßenem CO2 pro produziertem E-Scooter aus. Ein Golf 8 (Benziner, 150 PS) hat nach etwa 4200 Kilometern Fahrt dieselbe Menge CO2 ausgestoßen. Einen Mehrwert für die Umwelt erbringt ein fiktiver Golf-Fahrer also erst, wenn er mindestens 4200 Kilometer mit dem E-Scooter statt seinem Golf zurückgelegt hat.

Nach den Daten der Hochschule Bochum bewältigt ein E-Scooter in seiner Lebenszeit etwa die dreifache Strecke (11.800 Kilometer). Es ist also durchaus möglich, die CO2-Belastung der Produktion rein durch die Nutzung auszugleichen.

Diese grobe Überschlagrechnung zeigt jedoch auch, dass die Nachhaltigkeit des E-Scooter-Konzepts mit dem Nutzungsverhalten steht und fällt.

Zu sehen ist ein Mann auf einem E-Scooter
E-Scooter sollen dauerhaft eine Alternative zum Auto werden [Bildquelle: Mykola Tys/SOPA Images via ZUMA Wire]

Nutzungsverhalten

E-Scooter sind nur dann nachhaltig, wenn sie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ersetzen. Die Studienlage zum Nutzungsverhalten ist bislang noch sehr dünn. Feste Aussagen darüber, wie viele Nutzer tatsächlich ihr Auto oder Motorrad im Alltag stehen lassen und auf einen E-Scooter zurückgreifen, können noch nicht getroffen werden.

Anhaltspunkte gibt aber eine Umfrage unter 4000 E-Scooter-Nutzern in Paris: Fast die Hälfte der Befragten wäre ohne E-Scooter zu Fuß gegangen. Knapp 30 Prozent hätten für ihren Weg den ÖPNV genutzt und 9 Prozent das Fahrrad. Nur 8 Prozent (320 Personen) verzichteten wegen des E-Scooters auf die Fahrt mit dem Auto oder dem Taxi.

Woher kommt der Strom zum Laden?

Nachhaltig sind E-Scooter nur dann, wenn der Strom zum Tanken aus regenerativen Quellen stammt. Auch hier haben die Verleiher nachgebessert. In der Anfangszeit musste, wegen des fest verbauten Akkus, der komplette Scooter zur Ladestation transportiert werden. Nicht selten als Nebenverdienst für Studenten, hingen die E-Scooter dementsprechend in Studentenwohnungen an der Steckdose.

Mittlerweile werden nicht mehr die Fahrzeuge, sondern nur noch die leeren Akkus eingesammelt. Diese werden vor Ort durch volle ersetzt. Die leeren Akkus laden die Anbieter nun in zentralen Depots, in denen sie nach eigenen Angaben zertifizierten Ökostrom nutzen.

E-Scooter und Vandalismus

Immer wieder werden die Roller Opfer von Vandalismus. Im schlimmsten Fall landen sie in Flüssen oder Seen. Laut der Verleiher handele es sich dabei nur um wenige Fahrzeuge. Voi spricht von „weit unter 1%“ der Flotte, die Randalierern zum Opfer fallen.

Im Juni 2021 berichtet der WDR von Tauchern, die auf dem Grund des Rheins mehr als 500 verrottende E-Scooter ausgemacht haben. Darauf reagierte die Facharbeitsgruppe „Plattform Shared Mobility“, in der alle Anbieter von E-Scootern in Deutschland Mitglied sind. Sie haben sich zur Bergung dieser Fahrzeuge verpflichtet. Um das Problem künftig einzudämmen, richten sie rund um Gewässer Parkverbotszonen ein. Die Miete des Fahrzeugs kann in diesen Bereichen dann nicht mehr beendet werden. Ob das den Randalierern Einhalt gebietet, wird die Zeit zeigen.

Zu sehen sind versunkene E-Scooter
Immer wieder werden E-Scooter auch in Flüssen und Seen versenkt [Quelle: Picture-Alliance | F. Gambarini]

Strengere Regeln und ein Alkoholtest für die Nutzer

In Dänemark geht man das Thema rigoroser an als in Deutschland. Ärger über wahllos abgestellte Roller und hunderte Unfälle führten dessen Hauptstadt Kopenhagen im Herbst 2020 zu einem Verbot der E-Scooter. Nun rudert die Stadtverwaltung zurück, dafür sollen aber strengere Regeln ein erneutes Chaos verhindern. Während zuvor tausende Roller von insgesamt 13 verschiedenen Anbietern das Stadtbild prägten, gibt es nun eine Maximalanzahl. Demnach dürfen die Anbieter Voi, Bolt, Tier und Lime jeweils 800 Roller in Kopenhagen anbieten. Die Gesamtzahl ist auf 3.200 limitiert. Zudem dürfen die die Nutzer die E-Scooter nicht mehr wahllos im Stadtgebiet abstellen. Dafür gibt es nun 240 speziell ausgewiesene Abstellzonen.

Auch in Deutschland häufen sich die Berichte über schwere Unfälle mit den E-Scootern. In Kopenhagen dürfen die Nutzer sie deshalb nur noch mit Helm fahren. In Deutschland gibt es die Helmpflicht noch nicht. Der Anbieter Voi geht bei den Sicherheitsbestimmungen noch einen Schritt weiter und führt eine Alkoholkontrolle per Reaktionstest ein. So müssen Nutzer, die zwischen 22 und 0 Uhr einen E-Scooter leihen möchten, künftig in der App des Anbieters einen Reaktionstest absolvieren.

In München lief das Konzept bereits in einer Pilotphase. In den Abendstunden sortierte die App 20 Prozent der Nutzer aus. Damit die Nutzer trotzdem an ihr Ziel gelangen, bietet bietet Voi allen die durch den Test gefallen sind, 20 Prozent Rabatt auf eine Fahrt mit dem Shuttle-Service des Voi-Partners Viggo.

Zu sehen ist Dennis Merla

Fazit:

E-Scooter können einen kleinen Teil zum Umweltschutz beitragen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Nutzer damit fossil betriebene Mobilität ersetzen. Derzeit scheint es, als treffe dies nur auf einen sehr geringen Anteil der Nutzer zu. Ändern könnte sich das, wenn Verbrenner-Fahrzeuge irgendwann aus den Innenstädten verbannt würden. Die Anbieter könnten auch Anreizsysteme schaffen, Autofahrern diese Art der Mobilität schmackhaft zu machen. Etwa über vergünstigte Tarife für Autobesitzer.

Dennis Merla | @MobilityTalk

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