Verbrenner-Aus mit Hintertür
Die EU-Staaten haben das für 2035 angekündigte Verbot neuer Verbrennungsmotoren wohl abgesagt. Das liegt auch, aber nicht nur an Deutschland. Was das für die Autos der Zukunft bedeutet, ist unklar.
Europa will bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden, so steht es im Konzept „Fit For 55“ der EU-Kommission. Ein wichtiger Baustein ist der Verkehr. Er ist schließlich der einzige Sektor, der seit 1990 keinen Rückgang seiner CO2-Emissionen erreicht hat. Deshalb sollen alle ab 2035 neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge „zero-emission-vehicles“ sein.
Was aber bedeutet das konkret? Die Position der Mehrheit im EU-Parlament ist klar: Für sie bedeutet es, dass ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden. Andere sehen das anders, etwa die Autoindustrie und die deutsche Regierungspartei FDP. Denn was bedeutet „klimaneutral“? Es bedeutet nicht, dass in der EU kein CO2 mehr ausgestoßen wird. Sondern dass nicht mehr CO2 ausgestoßen wird, als anderswo aufgenommen oder kompensiert wird.
Warum synthetische Kraftstoffe? Und warum nicht?
Genau das leisten synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels. Grob vereinfacht: Bei der Produktion wird der Luft CO2 entzogen, das beim Verbrennen im Motor wieder freigesetzt wird. Mit diesen Kraftstoffen fährt ein Auto also nicht mit „null Emissionen“, aber „klimaneutral“. Das tolle an E-Fuels: Sie können in aktuellen Verbrennungsmotoren benutzt werden. Befürworter sehen so eine Chance, den CO2-Ausstoß des aktuellen Autobestands drastisch zu senken. Nicht so toll: Die Produktion braucht viel Strom. Der lässt sich jedoch in Elektroautos viel effektiver verfahren. Beim Elektroauto kommen je Kilowattstunde 80 Prozent am Rad an, bei E-Fuels sind es mit der vorgeschalteten Produktion weniger als 15 Prozent Wirkungsgrad. Zudem lässt sich die notwendige Produktion vermutlich nicht in wenigen Jahren aufbauen. Und regenerativer Strom im Überfluss ist bisher nur eine Zukunftsvision.
Wissing: Verbrennerverbot vom Tisch
Trotzdem will die Industrie die Technik noch nicht abschreiben. Porsche beispielsweise plant, selbst ins E-Fuel-Geschäft einzusteigen. Kalkül: Wer sechsstellige Beträge für einen Sportwagen ausgibt, kann sich auch synthetischen Kraftstoff für fünf oder mehr Euro je Liter leisten. Auch die FPD argumentiert: Wenn der Verbrennungsmotor 2035 endet, wird die Technik nicht weiterentwickelt. Mit E-Fuels könnten aktuelle Verbrenner jedoch alle Klimaziele erfüllen, so Parteichef Christian Lindner. Die Ampelkoalition hat sich auf diesen Kompromiss nun eingelassen: Das Verbrennerverbot sei „vom Tisch“, kommentierte Verkehrsminister Volker Wissing.
Damit hat sich Deutschland auch in Europa durchgesetzt. Die Position der 27 Mitgliedsstaaten sieht vor, dass Verbrennungsmotoren, die klimaneutral fahren, auch nach 2035 verkauft werden dürfen. So gehen die Mitgliedsstaaten in Verhandlungen mit dem EU-Parlament. Das ist der nächste Schritt im langen Verhandlungsprozess, den das geplante Gesetz durchlaufen muss.
Extrawürste für alle?
Die deutsche Extrawurst E-Fuels hat ihren Anteil daran, dass sich heute nicht absehen lässt, wie viel Verbrennerverbot tatsächlich auf der Straße ankommt. Aber nicht nur Deutschland hat zum Wohl der heimischen Industrie eine Ausnahme erwirkt. Italien hat sich im Verhandlungsprozess dafür stark gemacht, seine Sportwagenmarken vom Verbrennerverbot auszunehmen. Für Kleinserienhersteller gibt es schon bei den bisherigen CO2-Vorschriften Ausnahmen. Die Idee aus Rom: Wer weniger als 10.000 Autos im Jahr baut, darf weiter verbrennen. Das hätte zum Beispiel Ferrari, Lamborghini oder Pagani geholfen, ihre Supersportwagen weiter verkaufen zu können. Eine Kleinserien-Ausnahme wird es wohl am Ende ebenfalls geben.
Problematisches Signal
Was heißt das nun in der Praxis? Vermutlich dies: Der Großteil der Neuwagen wird 2035 elektrisch fahren. Aber ein kleiner Teil wird weiter Abgase aushusten. Oder doch ein größerer Teil? Wir wissen es nicht, zumal auch beim Elektroauto noch viele Fragen ungelöst sind. Wann wird es für die breite Masse erschwinglich, die heute Gebrauchtwagen für 10.000 bis 15.000 Euro kauft? Lassen sich Batterien in ausreichender Stückzahl, mit verbesserter Klimabilanz und zu niedrigeren Kosten produzieren? Können weniger wohlhabende EU-Staaten wie Bulgarien oder Rumänien überhaupt schnell genug eine Infrastruktur für die neue Technik aufbauen? Es gibt viele solcher Fragen. Und seit dem Aus für das Verbrenner-Aus noch ein paar mehr, findet unser Redakteur Simon Pausch.
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