Audis Elektro-Rikscha ist ein Second-Life-Experiment

Eine elektrische Audi-Rikscha? Was auf den ersten Blick ein Hingucker ist, soll am Ende sogar die Welt retten, zumindest ein bisschen. Projekt, technische Daten und Video.

Audi zeigt auf dem Greentech-Festival in Berlin auf dem ehemaligen Flughafen Tegel eine elektrische Rikscha. Für die Stromversorgung sorgen aussortierte Akkumodule aus dem Audi E-Tron [Bildquelle: Björn Tolksdorf]

Ein kräftiger Wind weht über das ehemalige Flugfeld. In Tegel gibt es Verkehrswende zum Anfassen: Erstmals steigt das Greentech Festival 2022 auf dem alten Berliner Flughafen, im ehemaligen Hangar der Lufthansa. Tegel steht in Berlin für Mobilität, und hat seit seiner Schließung im Jahr 2020 sichtbar Rost angesetzt hat. „Urban Tech Republic“ heißt der Ex-Flughafen jetzt, und soll ein Labor für die Stadt der Zukunft werden. Viel passiert ist auf den ersten Blick nicht, außer Vernachlässigung. Zur Zukunfts-Messe herrscht Provisorium: Wer nicht auf die überfüllten Zubringerbusse warten will, hat einen langen Fußmarsch durch die ehemalige Flughafenperipherie vor sich.

Ein paar Exemplare eines kleinen Audi-Schaustücks könnten da helfen. Aber Audi hat nur eine E-Rikscha dabei, und die darf mangels Zulassung nicht auf der Straße fahren. „Gaia“ tauften ihre Azubis aus Neckarsulm ihr Werk. Elektrische Rikschas kennt man, zumindest da, wo man Rikschas kennt. Elektrische Rikschas wie Gaia sind neu. Das besondere an Gaia: Unter dem Fahrersitz verbergen sich ausgediente Elektroauto-Batterien.

E-Rikscha statt Wörthersee

Die Geschichte hat mehrere Ebenen. Auf dem Greentech-Festival steht die Rikscha zunächst einmal als Lehrprojekt des Ausbildungsteams bei Audi in Neckarsulm. Dort bauten die Fahrzeugtechnik-Azubis in früheren Jahren meist Showcars für das Wörthersee-Treffen der VW-Fans auf. Diesmal jedoch griff sich das Team eine alte Zweitakt-Rikscha aus Thailand, Baujahr 1979. Am Ende steht auf der Messe eine weitgehend mit Originalteilen restaurierte und auf Elektroantrieb umgebaute Rikscha, frisch entrostet und lackiert. Das Ziel: Möglichst viel erhalten, und wo das nicht geht auf Recyclingteile setzen. Das Stoffdach beispielsweise setzt sich aus alten Cabriodächern zusammen, im Cockpit spendet ein Ducati-Motorrad seine Schalter. Pulverbeschichtete Blattfedern halten die Starrachse, auf der ein 9 PS „starker“ Elektromotor sitzt.

Das Besondere aber sind die ehemaligen Elektroauto-Akkus, die das Fahrzeug mit Strom versorgen. Sie stammen aus unverkäuflichen Prototypen des Audi E-Tron, vier Module mit jeweils 2,5 kWh ursprünglicher Kapazität. Das genügt in der nur gut 500 Kilo leichten Rikscha laut Audi für rund 120 Kilometer Reichweite. Auf dem Greentech Festival steht die Rikscha samt Solar-Ladepunkt (acht Module, ca. 20 kWh Speicher) etwas verloren zwischen mehreren Audi RS E-Tron GT, mit denen Gäste einen Parcours durchfahren dürfen.

Drei weitere Rikschas in Indien

 

Allerdings: Technisch gesehen ist „Gaia“ kein Einzelstück.
Drei weitere gibt es, die das indische Start-up Nunam aufgebaut hat und die ab 2023 in Indien auf der Straße fahren sollen. „Hier arbeiten wir daran, Second-Life-Batterien aus E-Tron-Prototypen in eine Elektro-Rikscha zu implementieren“, fasst Nunam-Co-Gründer Prodip Chatterjee zusammen. „Die alten Batterien sind noch äußerst leistungsfähig. Wir setzen sie in diesem Second-Life-Projekt erneut in Elektrofahrzeugen ein, quasi als eine leichtere Form der Elektromobilität. So möchten wir herausfinden, wie viel Leistung die Batterie in diesem Anwendungsfall noch bereitstellen kann.“ Die Rikschas von Nunam sollen zum Beispiel als Sammeltaxi Einwohner*innen verschiedener Dörfer in das nächstgelegene Krankenhaus bringen oder Produzentinnen von Textilien und anderen Waren ermöglichen, ihre Waren auf den Markt zu fahren. Mit 60 bis 80 Kilometern pro Fahrt rechnet Chatterjee.

Prodip Chatterjee will in Indien drei Elektro-Rikschas auf die Straße bringen. Die sollen sowohl sozialen Nutzen entfalten als auch Erkenntnisse über die Zweitverwertung von E-Auto-Akkus liefern [Bildquelle: Björn Tolksdorf]

Die rund 120 Kilometer Reichweite dürften also kein großes Problem darstellen, wenn regelmäßig nachgeladen wird.  Dabei sollen die Rikschas natürlich CO2-neutralen Strom tanken. Deshalb baut Nunam neben den Rikschas Solarladestationen auf, in denen ebenfalls ausgediente E-Tron-Akkkumodule als Pufferspeicher dienen. Sie laden tagsüber in der Sonne und können den Strom abends an die Rikschas weitergeben. Erste Erkenntnis vom Greentech-Festival: In der Berliner Sommersonne lädt die Station in rund eineinhalb Tagen voll auf.  

In der Elektro-Rikscha verbergen sich vier Module aus Akkus des Audi E-Tron. Jedes von ihnen hatte im Neuzustand eine Kapazität von 2,5 kWh [Bildquelle: Björn Tolksdorf]

Für Audi ist die E-Rikscha ein Experiment

Was ist Audis Interesse an dem Projekt? Der Autohersteller sucht langfristig nach sinnvollen Zweitverwertungen für Akkumodule aus Elektroautos. Hier interessiert sich Audi vor allem dafür, wie gut sich ausgediente E-Auto-Akkus eignen, um damit leichtere Fahrzeuge anzutreiben. Die integrierte Solar-Ladestation erlaubt sogar direkte Vergleiche dazu, wie sich die Speicherfähigkeit und Energieabgabe der gebrauchten Module im stationären Einsatz entwickelt. Gibt es Unterschiede? Reicht die Restleistung für die kleinen Fahrzeuge? Das soll Nunam in Indien über einen längeren Zeitraum ermitteln. Audi legt Wert darauf, dass es sich hier nicht um eine konkrete Serienvorbereitung handelt, man wolle nicht in den Vertrieb von ELektro-Rikschas einsteigen. Es geht um ein Experiment. Aber: Perspektivisch können solche Anwendungen die Ökobilanz von E-Auto-Batterien entscheidend verbessern. „Neue Anwendungsfälle für E-Waste“ (Audi) braucht Audi zwar nicht sofort. Die ersten E-Tron wurden 2018 ausgeliefert, Ein Rücklauf an gebrauchten Akkus ist bisher praktisch nicht vorhanden.

Mit einer steigenden Zahl von Elektroautos und mehr Zeit wird sich das aber ändern. Dabei genügt es nicht, nur die entwickelten Industriestaaten im Blick zu haben, in denen aufwendige Recyclingverfahren wirtschaftlich Sinn machen. Viele Autos, die heute im reichen Norden aussortiert werden, gelangen zur Verwertung letztlich auf andere Kontinente. Wie entwickelt sich dieser Wirtschaftskreislauf in der elektromobilen Zukunft? Ist eine Zweitverwertung des kostspieligen Akkus in leichten Fahrzeugen sinnvoll, bevor der Akku stationär eingesetzt und letzlich geschreddert wird?

Viel Verantwortung für eine kleine Rikscha

„Wir wollen aus der Batterie alles herausholen, bevor sie ins Recycling geht“, sagt Prodip Chatterjee. In Indien fahren Elektro-Rikschas heute meist mit Blei-Säure-Batterien, die mit Kohlestrom geladen werden. Ließe sich also langfristig mit ehemaligen E-Auto-Batterien die Umweltbilanz Indiens gleich auf mehreren Ebenen (Abgase, Kohleverstromung, Batteriemüll) verbessern? Eine große Frage, die mit der Umweltbilanz von E-Autos zwar zu tun hat, aber darüber hinaus weist. Es geht auch um Pfade zur langfristigen Nachhaltigkeit für stark wachsende Weltregionen. Drei, vier kleine Rikschas können diese Frage sicher nicht allein beantworten. Aber sie können den Blick schärfen für die globalen Zusammenhänge zwischen Energie und Mobilität, und für Fragen rund ums Elektroauto, die heute nicht gelöst sind – aber die in einigen Jahren einer Antwort bedürfen.

Von Björn Tolksdorf  

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Technische Daten – Audi E-Rikscha
ModellAudi E-Rikscha „Gaia“
Länge/Breite/Höhe3020/1390/1790 mm
Leistung6,4 kW (9 PS)
Drehmoment34,6 Nm
Geschwindigkeit48 km/h
Baujahr1979/2022
FahrwerkBlattfedern
Akkukapazitätca. 10 kWh
Reichweiteca. 120 km
Leergewicht516 kg

 

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