Klimaziel 2021: Sorgenkind Straßenverkehr

Über die deutsche Klimapolitik wird viel diskutiert. Was aber wirklich am Ende hinten (oder oben) rauskommt, zeigt der Jahresbericht des Umweltbundesamtes. Das steht drin zum Thema Verkehr.

Björn Tolksdorf

Björn Tolksdorf

Stau
Zu viele Wege, zu weite Wege: Damit der Verkehr seine Klimaziele erreicht, braucht es neue Konzepte für Auto- und Güterverkehr - zusätzlich zur Antriebswende [Bildquelle: Stefan Sauer; /Picture-Alliance]

Eine Überraschung war es nicht mehr: Deutschland hat 2021 sein Klimaziel verfehlt. Demnach sollte der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent sinken. Ein Jahr später, 2021, betrug der Rückgang mit einem Gesamtausstoß von 762 Millionen Tonnen 38,7 Prozent gegenüber 1990. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Ausstoß wieder um 4,5 Prozent gestiegen. „Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 2020 ist fast zur Hälfte schon wieder verloren“, sagte Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes (UBA). 2020 hatte Deutschland einen Rückgang der Emissionen verzeichnet. Den führt das UBA vor allem auf die Corona-Pandemie zurück, die deutliche Rückgänge bei Mobilität und Industrieproduktion brachte.

Den Löwenanteil des Emissionsanstiegs 2021 sieht das Umweltbundesamt in der Energieerzeugung: Die Nachfrage nach Strom sei gestiegen, der Anteil erneuerbarer Energien gesunken – vor allem wegen schlechterer Windverhältnisse. Gleichzeitig hätten höhere Gaspreise zu mehr Kohleverstromung geführt. „Wir müssen schnell mehr Sonnen- und Windenergieanlagen bauen“, sagte Messner.

Die Energiewirtschaft steuerte 2021 mit 247 Mio. Tonnen CO2 zwar den größten Batzen im deutschen Gesamtausstoß bei, und sie hat den größten Anteil an der Steigerung. Allerdings lagen die Emissionen auch 11 Mio. Tonnen unter denen des Vor-Corona-Jahrs 2019. Zweitgrößter Emittent ist die Industrie mit 181 Mio. Tonnen CO2. Sie lag fast wieder auf dem Niveau von 2019. Allerdings: Das Bundes-Klimaschutzgesetz „gestattet“ den Sektoren jeweils Kontingente. Hier hatte die Industrie ihres unterschritten, für die Energieerzeugung gibt es keins.

Verkehr: Wieder mehr Emissionen

Ein „Sorgenkind“ bleibt der Verkehr: Er hat seit 1990 in Summe zu wenig gespart. Sein CO2-Äquivalent-Ausstoß 2021 betrug 148 Mio. Tonnen, das waren 1,2 Prozent mehr als 2020 und 3 Mio. Tonnen mehr als „erlaubt“ (145 Mio. Tonnen). Interessant: Der Pkw-Verkehr ist für den Anstieg seit 2019 nicht verantwortlich. Er verharrte im Vorjahr auf niedrigerem Niveau. Dies zeigen laut UBA sowohl die Absatzzahlen bei Kraftstoffen als auch die Daten von Zählstellen an Autobahnen und Bundesstraßen. Dem gegenüber stieg das Volumen des Güterverkehrs auf der Straße an, es lag 2021 noch oberhalb des Niveaus von 2019.

Grund genug also, sich den Verkehrssektor im Detail anzuschauen. Zunächst einmal: 98 Prozent der Emissionen rechnet das UBA dem Straßenverkehr zu. Im Flugverkehr, dem Schiffsverkehr oder dem Bahnverkehr gibt es also beim Thema Reduktion vergleichsweise wenig „zu holen“. Im Straßenverkehr betrug der Rückgang 2021 gegenüber 2019 rund 14 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent, dies schreibt das UBA den „Einschränkungen des öffentlichen Lebens“ im Zuge der Pandemie zu.

Entwicklung der CO2-Emissionen in Deutschland: Vor allem im Verkehrs- und Bauwesen tut sich deutlich zu wenig [Bildquelle: Umweltbundesamt]

Technische Innovation: Keine Wirkung?

Für Kraftfahrzeuge existieren seit vielen Jahren Vorschriften zur Verbrauchsreduzierung. Die wirken durchaus, wenn auch nicht so stark wie wünschenswert. So nennt das UBA für Pkw einen Rückgang der Emissionen je Personenkilometer um 5 Prozent gegenüber 1995.

Das bedeutet: Die CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr sinken dann, wenn entweder die spezifischen Emissionen der Fahrzeuge massiv sinken (Elektroauto) oder wenn die nötige Verkehrsleistung drastisch sinkt. Das geschieht nicht: So hat sich laut UBA etwa die Verkehrsleistung je Diesel-Pkw seit 1995 fast verdoppelt. Dies überkompensiert Verbesserungen bei der Kraftstoffeffizienz der Fahrzeuge. Die größten Batzen: Urlaubs- und Freizeitfahrten (40,7 Prozent) sowie Dienstfahrten (17,6 Prozent). Und: Fahrten im Pkw-Verkehr sind ineffizient. Pro Pkw rechnet das UBA mit im Schnitt 1,4 Insassen (bei meist 4-5 Plätzen).

Güterverkehr: Starke Steigerungen

Runde 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent schreibt das UBA 2019 dem Straßen-Güterverkehr zu, also gut ein Viertel der Gesamtemissionen aus dem Verkehr. Problem: Trotz großer Effizienzsteigerungen ist das eine deutliche Zunahme seit 1995 (damals: 39,3 Mio. Tonnen). Je Tonnenkilometer fallen heute 32 Prozent weniger CO2-Emissionen an als 1995. Ein deutlicher Rückgang also. Aber: Es ist wesentlich voller auf den Fernstraßen als 1995.

Deshalb ist der Gesamtausstoß des Straßengüterverkehrs trotz besserer Technik um 21 Prozent gestiegen. Die Gesamtleistung stieg um 78 Prozent, von 279 Mio. auf 498 Mio. Tonnenkilometer.

Können wir den Verkehrs-Knoten auflösen?

Der Lkw-Güterverkehr ist zwar viel effizienter als 1995 - aber auch stark gewachsen. So gibt es unterm Strich keine Verringerung der Emissionen [Bildquelle: picture alliance / ROBIN UTRECHT]

Viele Zahlen also, die das Umweltbundesamt Jahr für Jahr zusammenträgt. Die Quintessenz: Wir sind deutlich mobiler als vor 25 Jahren, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Und kannibalisieren damit die technischen Fortschritte, die erzielt wurden. Wir bewegen uns vor allem im Pkw viel zu ineffizient. Im Güterverkehr sind die Effizienz-Fortschritte größer, aber wir transportieren viel mehr als früher.

Patrick Graichen, Klima-Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sieht daher zu Recht den größten Hebel im Personenverkehr: Es brauche mehr Elektrofahrzeuge. Zudem müssten der öffentliche Nahverkehr sowie der Rad- und Fußverkehr gestärkt werden. So weit, so richtig: Der motorisierte Individualverkehr hatte 2019 einen Anteil an 74 Prozent am Modal Split je Personenkilometer. Die Deutschen legen rund 57 Prozent ihrer Wege mit dem Auto zurück, im ländlichen Raum annähernd 70 Prozent. Die verbleibenden Wege sind entsprechend die kurzen. Für das Ziel einer signifikanten CO2-Reduktion sind daher die größten Hebel:

  • Antriebswende (Elektroauto)
  • Lange Strecken, besonders Pkw-Freizeitfahrten, auf andere Verkehrsmittel verlagern

Im Güterverkehr zeigt sich einerseits ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Frachtleistung, aber auch der Effekt der Globalisierung von Lieferketten. Lokalere Wertschöpfungsketten könnten hier die Verkehrsleistung senken. Zudem muss der Anteil des Schienenverkehrs am Güterverkehr steigen. Hier liegt ein besonders großes Versäumnis der Vergangenheit: Der Schienen- und Schiffsverkehr erreicht zusammen nur ein gutes Viertel der Güterverkehrsleistung. Wohlgemerkt: Wege unter 50 Kilometer nicht mitgezählt. Bis 2015 sollte dieser Anteil auf knapp 40 Prozent steigen, das hatte sich die Bundesregierung 2002 vorgenommen und nie annähernd erreicht.

Nicht hilfreich: Die Pendlerpauschale

Was die Daten des Umweltbundesamtes auch zeigen: Wer mehr Elektroautos anstrebt, muss massiv in erneuerbare Energien investieren.  Der Energiesektor ist Deutschlands größtes Klimaproblem. Schon ohne, dass er einen Großteil der Verkehrsleistung speist. Und: Es hilft wenig, sich an Nebenkriegsschauplätzen aufzureiben, etwa dem Flugverkehr. Einen großen Nutzen könnte es jedoch bringen, den Verkehrsbedarf zu senken. Wer näher an seinem Wohnort arbeitet, lokal einkauft und seine Freizeit verbringt, emittiert weniger CO2. Her kommen Aspekte der Raumordnung ins Spiel – etwa die 15-Minuten-Stadt. Und die Pendlerpauschale als bisher unangetastete Subvention weiter Wege.

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