Mercedes Drive Pilot im Test: Das kann die autonome S-Klasse

Die S-Klasse von Mercedes kann mit aktiviertem Drive Pilot autonom fahren. Ist sie das erste zugelassene Roboterauto? Wir haben es probiert.
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Fabian Hoberg
Mercedes Drive Pilot Test
Echte Autonomie funktioniert aktuell nur im Stau: Der Drive Pilot von Mercedes fährt in zähfließendem Verkehr auf Autobahnen bis zu 60 km/h schnell autonom [Bildquelle: Mercedes]

Die Idee des autonomen Fahrens scheint längst zum Greifen nah. Nun wird sie Realität: Mercedes bietet für die neue S-Klasse den „Drive Pilot“ an. Damit fährt die Limousine nach Level 3 autonom, also in gewissen Situationen selbständig, zumindest zeitweise. Es ist das erste Mal, dass ein Auto aus der Serienproduktion die Verantwortung übernimmt. Der Fahrende darf sich derweil entspannen.

Aber was genau kann und darf der Drive Pilot? Was macht die Konkurrenz aus Deutschland und den USA? Fahren in der neuen Welt nicht längst Autos vollautonom auf Highways und in Städten? Und wie lange dauert es, bis ein Auto den Heimweg von der Kneipe schafft? Hier liest Du die Antworten.

Das erste autonome Serienauto kommt von Mercedes

Bisher bietet in Deutschland nur Mercedes ein solches System an. Das überrascht auf den ersten Blick: Audi hatte ein ähnliches System schon vor sechs Jahren in einem Prototyp, BMW vor fünf Jahren. Seit 2011 testet BMW auf der A9 autonomes Fahren, allerdings nur mit selbstentwickelten Karten. Audi vermeldete die Serienreife, stolperte aber über die Hürden zur Zulassung – trotz 24 verschiedenen Sensorsystemen.

US-Anbieter wie die Google-Tochter Waymo und die GM-Tochter Cruise testen autonome Taxis in den USA. Doch auch das sind nur Tests. Meist mit einem Sicherheitsfahrer an Bord, stets geknüpft an viele Bedingungen. Cadillac bietet seit gut drei Jahren das System „Super Cruise“ an. Damit fahren die Autos mit bis zu 120 km/h über ausgewählte nordamerikanische Freeways. Der Fahrer kann die Hände vom Lenkrad nehmen und sich anderen Dingen widmen. Er muss aber die meiste Zeit in Fahrtrichtung blicken. Cadillac bietet das System nur in Nordamerika an. „Super Cruise“ arbeitet auf speziell ausgemessenen 320.000 Kilometern.

Nach jahrelangen Beratungen hat Deutschland als erster Staat weltweit Level 3 im Regelbetrieb zugelassen, also ohne besondere Bedingungen wie den Blick nach vorn bei Cadillac. Seit Dezember 2021 besitzt Mercedes vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Zulassung für die neue Funktion. Jetzt bietet es der Hersteller für 5.950 Euro als Option für seine S-Klasse an. Beim EQS muss zusätzlich das Fahrassistenz-Paket Plus für 2.892 Euro installiert sein. „Der Drive Pilot gibt dem Fahrer Zeit zurück, wenn er im Stau steht. Es wird ihn entlasten, damit er Zeit für andere Dinge übrig hat“, sagt Jochen Haab, Entwickler und Leiter Test-Absicherung bei Mercedes.

Mercedes Drive Pilot Test
Grünes Licht: Wenn alle Faktoren stimmen, lässt sich der Drive Pilot aktivieren [Bildquelle: Mercedes]

In diesen Situationen fahren Mercedes S-Klasse und EQS autonom

Sind die äußeren Bedingungen erfüllt, wird der Staupilot mit zwei Tasten am Lenkrad aktiviert. Das Auto übernimmt die Kontrolle. Voraussetzung dafür: lesbare Fahrbahnmarkierung, kein Tunnel, keine Baustellen, Tageslicht, kein Starkregen und Temperaturen über vier Grad Celsius. Erst signalisieren zwei türkisfarbene LEDs Betriebsbereitschaft. Der Staupilot darf nur auf autobahnähnlichen Straßen ohne Fußgänger und Radfahrer aktiviert sein.

Mercedes beschränkt den Drive Pilot vorerst auf Autobahnen, in Deutschland sind das rund 13.200 Kilometer. Für diese Strecken hat Mercedes hochpräzise Karten angelegt, die das Auto während der Fahrt abruft. Weitere Einschränkung: Das System funktioniert vorerst nur in Deutschland und nur im Stau, wenn der Verkehr fließt und der Wagen nicht die Spur wechselt. Drive Pilot benötigt ein Auto vor sich, um eine Orientierung zu haben. An der Landesgrenze endet die autonome Fahrt spätestens. Bis Ende des Jahres sollen Zulassungen für Nevada und Kalifornien in den USA folgen.

So sieht der Drive Pilot von Mercedes

Mit speziellen Antennen navigiert der Drive Pilot die S-Klasse zentimetergenau auf Position. Mercedes legt unter anderem Bremssystem, Lenkung, Raddrehzahlmesser, Stromversorgung sowie Teile der Sensorik redundant aus. Dazu zählen Umfelderkennung und Fahrdynamikberechnung. Multimode-Radare und eine Kamera überwachen den rückwärtigen Verkehr. In Verbindung mit einem Innenraum-Mikrofon sollen die Systeme herannahende Einsatzwagen mit Blaulicht und Martinshorn erkennen – damit der Fahrer übernehmen kann. Ein Nässesensor im Radhaus erkennt Regen.

Sind alle Bedingungen erfüllt, können die Hände im Schoß liegen bleiben, das Lenkrad dreht sich dann wie von Geisterhand. Der Benz fährt selbstständig, hält den Abstand zum Vordermann, lenkt um Kurven. Bisher mussten Fahrer nach 30 Sekunden wieder die Hände ans Lenkrad nehmen, damit das System aktiv bleibt. Jetzt kann das Auto, theoretisch, stundenlang allein fahren.

Das bleibt vorerst aber eine Theorie, denn Mercedes stellt das System sensibel ein. Jetzt, am Anfang der Technologie in der Serie, darf nichts schiefgehen. Sobald die Sensoren eine Leitbake oder Pylone erkennen, gilt der Streckenabschnitt als Baustelle und der Fahrende muss übernehmen. Trotzdem kann der Benz schon viel: Jochen Haabs längste Fahrt ohne Eingriff dauerte 68 Minuten.

Der Drive Pilot übergibt das Steuer, wenn er Baustellen sieht, es regnet, zu kalt wird, ein Tunnel kommt oder das Tempo 60 km/h überschreitet [Bildquelle: Mercedes]

Handyspielen ist erlaubt, Zeitunglesen verboten

Bis das Auto das Ende der autonomen Fahrt ankündigt, kann der Fahrende aufs Handy schauen. Extra zur neuen Technik hat der Gesetzgeber die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) geändert. Im Paragraph 23, der auf 1c und c des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) verweist, erlaubt sie „die Handynutzung für die Fahrt im hochautomatisierten Betrieb“.

Kurios: Zeitunglesen ist verboten. Das hat einen validen Grund: Die Zeitung würde der Kamera zur Gesichtserkennung den Blick verdecken. Zwei Infrarotkameras im Fahrer-Display und eine 3D-Laserkamera in der Dachbedienungseinheit kontrollieren permanent die Bewegungen von Kopf und Augenlidern. Unter anderem um zu ermitteln, ob der Fahrende noch wach ist.

Sorge vor einem Rechtstreit nach einem vom System verursachten Unfall müssen Passagiere nicht haben. Mercedes übernimmt bei Selbstverschulden des Drive Pilot die Verantwortung, wenn das System aktiv war. Grundsätzlich können Fahrer oder Hersteller zur Verantwortung gezogen werden – die Haftungsfrage hängt jedoch vom Einzelfall ab. Ein paar Lücken im Regelwerk bleiben noch zu füllen. Zum Beispiel, wenn das Auto geblitzt wird und der Fahrer an seinem Handy fummelt. Lässt sich dann die autonome Fahrt mit einem Auszug aus der Blackbox belegen?

Autonomes Fahren bis 60 km/h

Die Einordung des Systems in das Autonomie-Level 3 bedeutet: Das Auto bewegt sich nur in engen Grenzen autonom. Der Drive Pilot arbeitet bis zu einer Geschwindigkeit von 60 km/h und nur auf Autobahnen. In diesem Bereich scheinen die Systeme im ersten Test ausreichend schnell reagieren zu können. Gegenverkehr, spielende Kinder, Radfahrer oder Tiere auf der Fahrbahn gehören nicht in die Gleichung.

„Wir warnen den Fahrer ab etwa 60 km/h, damit er das Fahrzeug übernehmen kann, je nach Verkehrslage“, sagt Jochen Haab. Künftig soll das Auto schneller autonom fahren: Geschwindigkeiten von 85 km/h sind fest geplant, langfristig sollen bis zu 130 km/h möglich sein. Mercedes will erst mit niedrigen Geschwindigkeiten mehr Erfahrung sammeln. „Kein System arbeitet zu 100 Prozent perfekt. Aber immer noch besser als ein Mensch“, sagt Jochen Haab.

Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach, gibt einen Ausblick auf die langfristige Zukunft. Er geht davon aus, dass bis Ende der Dekade nur ein kleiner Teil der Fahrzeuge autonom nach Level 4 oder Level 5 unterwegs sein wird. „Die Schwierigkeit liegt ganz klar in den städtischen Regionen“, sagt er. Dafür werden unter anderem hochdynamische und hochgenaue HD-Karten, 5G-Standard, weiterentwickelte Laser/Lidar- und Kameratechnologien sowie schnellere Computer und Echtzeit-Routenerkennung nötig.

Ob Mercedes-Kund*innen bereit sind, fast 6.000 Euro zu zahlen, um sich nur bei gutem Wetter auf der Autobahn und vorerst nur bis 60 km/h pilotieren zu lassen, müssen sie natürlich selbst entscheiden. Wer jeden Tag im Ruhrgebiet auf dem Ruhrschnellweg im Schneckentempo unterwegs ist, wird sich vielleicht über diese Option freuen, auch wenn Schlafen verboten ist. Für die nächtliche Fahrt nach einem Kneipenbesuch langt es aber noch nicht. Der Fahrende muss ja in Notsituation die Kontrolle über das Auto übernehmen. Bis zum vollautonom fahrenden Auto ist es daher noch ein sehr, sehr weiter Weg.

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