Polis Mobility und die Lücken im Zukunftsplan

Unsere Mobilität soll sich wandeln, nur: Wie und wohin genau? Die Gewissheiten sind derzeit nicht da. Das demonstriert die Kölner Mobilitätsmesse Polis Mobility.

 

Die Polis Mobility in Köln versammelte Politik, Verwaltung, Forschung und Wirtschaft. Sie sprechen allerdings nicht immer die gleiche Sprache [Bildquelle: Björn Tolksdorf]

Erlebt die sogenannte Verkehrswende gerade einen Reality Check? Ist gar die Luft raus? Verkehrsminister Volker Wissing irritiert die Debatte, indem er sich sowohl für das bundesweite ÖPNV-Ticket (=Fortschritt?) als auch für mehr Autobahn (=Rückschritt?) einsetzt. In der Hauptstadt Berlin wurde der verkehrspolitische Umbau erst einmal abgewählt. In der Wirtschaft häufen sich schlechte Nachrichten: Mit door2door geht ein Marktführer für datengetriebene On-Demand-Mobilität insolvent, mit Sono Motors ein Hoffnungsträger der E-Mobilität. Auch das Car-Sharing stellt aktuell ein riskantes Geschäft dar, wie der Ausstieg von BMW, Mercedes und VW nahelegt.

Das sind die Vorzeichen für die Kölner Fachmesse Polis Mobility, die vom 24.-26.5.2023 auf der Kölner Messe die Akteure der Mobilität zusammenbringen möchte, und im Anschluss in der Kölner Innenstadt für ihr Thema wirbt. In der Autostadt Köln, Heimat von Ford und zahlreichen Importeuren, auch wenn man in der Altstadt zu Fuß geht. Vielleicht raubt seine Vielschichtigkeit dem Thema Mobilität ein wenig den Fokus. Die wird in Köln sehr greifbar: Die Polis Mobility ist keine Bahnmesse, keine Automesse, keine Fahrradmesse, keine Urbanismus-Messe und kein politischer Kongress. Sie ist von alledem ein bisschen.

Aussteller: Ein bunter Mix

Vor allem präsentieren staatliche und halbstaatliche Akteure, oft mit regionalem Bezug. Dazu gehören das Bundesministerium für Verkehr, das Bundesamt für Logistik, Kommunen wie Köln und Aachen oder Bildungseinrichtungen wie das European Institute of Innovation and Technology (EIT). Aber auch die Autobahn GmbH des Bundes, die Kölner Verkehrsbetriebe und die DB Regio.

Ähnlich bunt ist das Angebot im privaten Sektor: Shell zeigt Lade-Hardware für Elektroautos, die an Tankstellen errichtet werden könnte. Fastned zeigt das Projekt, Schnelladesäulen breit in Städten auszurollen – wo bisher langsames Laden dominiert. Die Automobilindustrie vertritt VWs interner Zulieferer Group Components und zeigt Elektroauto-Antriebskomponenten sowie Pläne der Batterie-Tochter PowerCo und Angebote des Ladedienstleisters Elli. Hella vertritt die Zulieferbranche. Selbstverständlich lässt sich auch etwas über datenbasierte Dienstleistungen, Mikromobilität, Lastenrad-Sharing, E-Bikes oder Letzte-Meile-Logistik erfahren. Vor der Tür baut die „Letzte Generation“ einen Infostand auf.

Viele Akteure also, die nicht immer die gleiche Sprache sprechen – und dennoch gemeinsam die Mobilitäts- und Antriebswende stemmen wollen. Herzstück der Mobilitätsmesse ist vielleicht deshalb ein durchgehendes Talk-Programm auf drei Bühnen. Sektorkopplung und intersektorale Ansätze sind dabei oft gehörte Schlagworte. Das klingt kompliziert, ist es auch – und wird erst an den zahlreichen praktischen Beispielen anschaulich. Gefragt sind branchen- und systemübergreifende Lösungen für die Mobilität von morgen.

Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) ist Fachpolitiker für Energie und Verkehr. Er bricht in seiner Keynote die Komplexität herunter, indem er den Unterschied zwischen Antriebswende und Mobilitätswende betont. Ersteres meint das Ersetzen des Verbrennungsmotors durch CO2-neutrale Antriebe wie den Elektromotor. Für Krischer ein notwendiger Schritt, um schnell den CO2-Ausstoß im Verkehr zu reduzieren. Die Mobilitätswende sieht er dagegen als Verteilungsfrage: Welche Verkehrsmittel dürfen in den Städten wie viel öffentlichen Raum beanspruchen? Die nachhaltigen sollen mehr bekommen, natürlich. Aber die dafür notwendigen Infrastrukturmaßnahmen lassen sich eher nicht von heute auf morgen umsetzen.  

Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer will Bus, Bahn und Fahrrad zum Rückgrat des Verkehrs in seinem Bundesland machen [Bildquelle: Björn Tolksdorf]

 

Fragen, die niemand gestellt hat

Die deutsche Autoindustrie wird zu Recht als Schlüsselindustrie mit gesamtwirtschaftlicher Bedeutung gesehen. Ihre Zukunft entscheidet über die wirtschaftliche Gesundheit vieler Kommunen und Regionen. Ihre Wertschöpfungstiefe ist durch die Dekarbonisierung jedoch in Gefahr. Denn vor allem bei der Batterie geht aktuell nichts ohne Maschinen aus Japan sowie Zellen aus Südkorea und China. Die Autobranche reagiert beim Thema Nachhaltigkeit mit einer lockeren Feuilleton-Ausstrahlung. Sie eint Carl Eckhardt, bei BMW zuständig für urbane Mobilität, und Ferry Franz, bei Toyota Deutschland zuständig für nachhaltige Mobilität. Sie diskutieren mit VWs Technik-Strategiechef Ludwig Fazel über die Transformation der Autobranche.

Die langfristigen Konzepte der Autohersteller ähneln sich: Elektromobilität nach vorn bringen, neue Dienstleistungen drumherum ausrollen und die Datenströme, die das moderne Auto produziert, sinnvoll und gewinnbringend nutzen. Die Herren kleiden dies in starke Thesen: „Wir machen nicht Nachhaltigkeit bei BMW, sondern BMW nachhaltig“, sagt Eckhardt. Der VW-Konzern bündelt die gesamte Wertschöpfungskette beim E-Auto in einer Hand, sagt Fazel. Toyota-Vertreter Franz spottet: Die Branche beantworte mit ihren E-Autos derzeit Fragen, die niemand gestellt habe. 1.000 km Reichweite habe von einem Diesel niemand verlangt.

Es ist noch ein großes Stück zu gehen. Die Forderung nach Produkten, die die Menschen kaufen können – etwa Elektroautos für unter 20.000 Euro – erfüllt die Industrie derzeit nicht. Die Forderung der Industrie an die Gesellschaft und die Politik sind Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass solche Produkte auch gekauft würden. Eckhardt zählt nachhaltige, aber erfolglose Modelle auf: VWs Drei-Liter-Lupo, Toyotas erster Prius, BMWs C1. Und hält fest: Dass Carsharing kein Geschäftsmodell sei, liege nicht am Carsharing, sondern an den Rahmenbedingungen. Warum gibt es für nachhaltiges Verhalten wie das regelmäßige Nutzen von Carsharing keine Incentives, die dafür sorgen, dass es ökonomisch mit dem Auto konkurrieren kann? Fazel spricht von „Beharrungskräften“, die den Umbau der Autobranche verlangsamen – oft indem sie versuchen, ihn abzufedern. Und meint damit vor allem Strömungen, die den Verbrennungsmotor länger am Leben halten wollen, als die Industrie das aus sich selbst heraus tun würde. 

 

 

Die Antriebswende ist leichter zu greifen

Dass die Autoindustrie vor allem an der Antriebswende arbeitet, liegt in der Natur ihres Geschäfts. Schade ist, dass diejenigen, deren Geschäft die ganzheitliche Mobilitätswende ist, spürbar diffuser argumentieren. So wie Wiebke Zimmer, stellvertretende Direktorin der Agora Verkehrswende, die sich auf der großen Bühne nur schwer davon lösen kann, primär zu E-Autos zu sprechen. „Intersektorale Ansätze“ für innovative Mobilitätsformen sind zwar im Messeprogramm vielfach zitiert, und es gibt hohe Anforderungen: Smart, leicht zu nutzen, sauber und sozialverträglich sollen sie sein. Für die Politik, so der Eindruck auf den Gesprächsrunden, ist der Weg dahin noch abstrakt. In welchem Tempo und in welche Richtung sie die bestehende Infrastruktur umbauen, welche Aspekte sie stärker und welche weniger fördern sollte? Da gibt es noch nicht einmal einen Wettbewerb der Konzepte. Etwas weiter sind die großen Verkehrsträger, die bereits Erfahrungen mit intermodaler Mobilität und digitalen Vertriebsmodellen gesammelt haben. Zuletzt mit der Einführung der 9-Euro- und 49-Euro-Tickets.

Solche Erfahrungen immerhin sind ein Pfund auf dem Weg in eine Zukunft, von der zwar hier alle reden, aber die nur an wenigen Stellen konkret wird. Immerhin: Es gibt bereits attraktive Bausteine dieser Zukunft, zum Beispiel im Dienstrad-Leasing und im ÖPNV. Das Deutschland-Ticket mache deutlich, dass der ÖPNV ein Teil der Lösung sei und endlich Priorität genieße, sagt NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer. Er will den Nahverkehr und das Fahrrad in Nordrhein-Westfalen zum Rückgrat des Verkehrs machen. Muss aber zugeben: Das klingt aktuell noch seltsam in Deutschlands einwohnerstärkstem Bundesland mit seinen mehr als 30 Großstädten, rund 25.000 Kilometern Straße außerhalb der Kommunen und jeder Menge Pendel- und Transitverkehr. Aber es gibt immer schon heute 5.500 aktive Schienenkilometer.

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