Turnschuhpendler: Läuft auf Arbeit

Thomas Wimmer joggt, wenn andere Bus, Bahn oder Auto fahren. Er ist Turnschuhpendler. Für mobility.talk hat er aufgeschrieben, was ihn dazu und dabei bewegt.

Picture of Ein Gastbeitrag von Thomas Wimmer
Ein Gastbeitrag von Thomas Wimmer
Ein Jogger läuft in Köln über eine Brücke
Wann immer Thomas Wimmer es einrichten kann, läuft der Kölner die rund 12 Kilometer zur Arbeit, hin und zurück. Er spart dadurch Zeit und nimmt die Stadt hautnah wahr, sagt er. [Bildquelle: Thomas Wimmer]

Seit mittlerweile sieben Jahren bin ich Turnschuhpendler. Doch im Moment fühlt es sich fast an, als hätte ich gerade erst damit angefangen. Anfangs lief ich noch nicht so oft zur Arbeit und zurück. Ich war immer total aufgeregt, wenn ich am Vorabend den Rucksack packte und am Morgen die Schuhe anzog. Klar, das Homeoffice in Corona-Zeiten ist schuld daran, dass ich Mühe habe, mein Laufpensum hochzuhalten.

Eigentlich laufe ich den Weg zur Arbeit und zurück jeden Tag – soweit es die Umstände und mein Trainingszustand zulassen. Nur manchmal fahre ich mit dem Fahrrad. Meine Pendelstrecke führt zwölf Kilometer mitten durch Köln. Etwa zur Hälfte laufe ich durch Parks, den Rest durch die urbane Landschaft – vorbei am Stau der Autopendler.

Mein Grund für die Laufpendelei ist ganz einfach: Zeitgewinn. Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, habe ich rund 2,5 Stunden Sport hinter mir. Andere müssen noch mal los, um ihren Trainingsplan zu erfüllen, und ich spiele mit meinen Kindern. Ich gewinne also „Quality Time“. Außerdem fördert Laufen die Gesundheit und baut Stress ab.

Regen auf der Haut und Wind im Gesicht

Das klingt nützlich, und das ist es auch. Aber es spricht noch viel mehr fürs Turnschuhpendeln: Beim Turnschuhpendeln lerne ich meine Stadt viel besser kennen. Wie das Wetter und die Jahreszeiten sie verändern, spüre ich hautnah. Ich freue mich, wenn ich ein Eichhörnchen im Park sehe. Ich spüre den Regen auf der Haut, den Schnee unter den Schuhen oder den Wind im Gesicht. Eiseskälte und Rekord-Hitze – das sind Erfahrungen und Empfindungen, die in der Bewegung eine besondere Qualität besitzen.

Ich lasse beim Laufen gerne die Gedanken schweifen, denke über dieses oder jenes nach. Mir gefällt es, die Stadt aufwachen zu sehen und zu hören. Ab und zu lerne ich unterwegs sogar andere Aktivpendler kennen. Ich könnte mir mit Kopfhörern Ablenkung schaffen, das mache ich aber nicht. Mir würden die Vogelstimmen am Morgen fehlen.

Thomas Wimmer schaut in die Kamera
Thomas Wimmer hat, wenn er abends nachhause kommt, ungefähr 2,5 Stunden Sport hinter sich und kann sich ganz der Familie widmen, wenn andere noch ihr Trainingspensum schaffen müssen. [Bildquelle: Thomas Wimmer]

Zwischensprints zur grünen Ampel

Ich renne natürlich nicht jedes Mal, so schnell ich kann. Ich variiere die Geschwindigkeit. Zum Teil ergibt sich das von selbst: morgens starte ich nüchtern, steif und müde. Nachmittags laufe ich meist schneller. Meine Tagesform beeinflusst mein Lauftempo ebenfalls. Manchmal streue ich langsamere „Regenerationsläufe“ ein oder Zwischensprints, um die Ampel noch zu erreichen.

Menschen, die viel Sport treiben, essen viel. Ich esse viel. Da ich auf Kiosk und Kantine aus Ernährungs- und Kostengründen verzichte, schleppe ich im Rucksack neben Wechselkleidung etwas zu Essen mit. Mein Laufrucksack ist da schnell voll. Weniger ist sicher möglich, aber ich habe mein System und das passt: Für Ordnung, Passform und Feuchtigkeitsschutz rolle ich das meiste in Tüten und Taschen ein, bevor ich es im Rucksack verstaue. Der Rucksack selbst muss nicht wasserdicht sein.

Fürs Essen habe ich mittlerweile umweltfreundliche Mehrweg-Beutel entdeckt. Alternativ geht auch ein Küchenhandtuch. Die Verteilung im Rucksack ist mittlerweile immer die gleiche, das habe ich optimiert: Weiche Klamotten füllen den Rückenteil aus. Darüber der Rest. Schweres nach unten. Schmalere Tüten mit Nüssen o.ä. in die Seitentaschen, damit nicht das gesamte Gewicht am Rücken hängt.

Für den Rückweg lässt sich mein Rucksack zum Glück in der Größe anpassen und etwas verkleinern. Da ich dann ohne das Essen weniger mitschleppe. Der Laufrucksack sollte möglichst eng gepackt werden, damit er nicht unnötig wackelt.

Ein rucksack mit dem Aufnäher Turnschuhpendler hängt an der Wand neben einer Schirmmütze
Der Pendelrucksack will gut gepackt sein. Schweres kommt nach unten, weiche Klamotten füllen den Rückenteil aus. Neben Wechselkleidung gehört auch Nahrung in den Rucksack, denn wer viel Sport treibt, muss viel essen. [Bildquelle: Thomas Wimmer]

„Ich stand im Stau“ – Gibt es nicht

Die meisten Kollegen wundern sich nicht mehr über mich. Klar ist das kurios für Kollegen, die sonst kaum Sport machen, für die war ich ein Sonderling. „Gesund“ und „sportlich“ schien in meinem Kollegenkreis nicht sonderlich hip zu sein. Ein paar Sprüche musste ich mir oft anhören. Nun gut. Im besten Fall animiere ich den einen oder anderen dann doch zu mehr Sport – solche Einzelfälle hat es schon gegeben. Einen Nachteil hat das Pendeln per Pedes allerdings: Ich kann meinen Kollegen bei Verspätung im Büro nicht mit dem üblichen „Ich stand im Stau“ oder „Die Bahn hat Verspätung“ kommen.

Meine stinkenden Klamotten müssen die Kollegen nicht aushalten. Dazu haben wir, Gott sei Dank, einen Umkleideraum. Aber auch da habe ich schon von alternativen Möglichkeiten gehört. Man kann die Klamotten aus dem Fenster hängen. Was bei Temperaturen um die null Grad natürlich wenig hilfreich ist.

Zum Glück hat mein Arbeitgeber eine Dusche eingerichtet. Eigentlich war sie für Fahrrad- und Motorradfahrer gedacht, mir hilft sie nun ungemein. Eine fehlende Dusche bei der Arbeit ist in meiner Community einer der meistgenannten Gründe, der die Leute am Laufpendeln hindert. Es gibt allerdings Möglichkeiten, auch ohne Arbeitgeberdusche laufend zu pendeln. Der einfachste: Man läuft nur den Rückweg und duscht Zuhause. Bekannte von mir nutzen auch die Dusche eines benachbarten Fitnessstudios. Wieder andere machen eine ausgedehnte Katzenwäsche.

Ein Rucksack und Turnschuhe unter einem Bürotisch
Manche Kollegen finden Turnschuhpendler Thomas Wimmer etwas kurios, sagt er. Es soll jedoch schon welche gegeben haben, die sich durch ihn zu mehr Sport animiert gefühlt haben. [Bildquelle: Thomas Wimmer]

Run commuting: Eine Riesennummer in London

Manchen ist der Weg zur Arbeit auch schlicht zu weit. Doch auch das ist kein Grund, aufs Turnschuhpendeln zu verzichten: Bei Freunden von mir hat sich das Teil-Pendeln durchgesetzt. Sie laufen nur einen beliebigen Teil und fahren den Rest mit Bus oder Bahn. Auch cool. Und natürlich gibt es Jobs und Arbeitsplätze, bei denen noch sehr viel mehr Hinderungsgründe existieren. Ich habe da wohl Glück gehabt.

In anderen Ländern ist Turnschuhpendeln übrigens eine Riesennummer. Laut dem Fitness-Netzwerk Strava gibt es in London die aktivsten Turnschuhpendler. Nur sagen die „run commuting“. Dort ruft auch ein Zuckergetränkehersteller oft zu einem Monat der Turnschuhpendelei auf. Allerdings glaube ich, dass diese spezielle Art der Fortbewegung oftmals gar nicht digital auf solchen Plattformen veröffentlicht wird.

Ich kann nur jedem raten, Turnschuhpendeln einfach mal selbst auszuprobieren. Du kommst körperlich wie geistig frischer bei der Arbeit an. Und wenn Du wieder Zuhause bist, ist nicht nur das gute Gewissen unschlagbar. Deine Familie wird Dir für die gewonnene Zeit danken!

Meine Aktivitäten könnt Ihr auf Instagram unter run.3ky verfolgen. Die deutsche Community ist unter Turnschuhpendler auf Facebook zu finden.

Checkliste fürs Turnschuhpendeln:

  • Plane Deine Strecke (Hin-Rück, Oneway, nur ein Teilstück, PlanB: ÖPNV)
  • Überlege Dir, was Du auf der Arbeit brauchst (Hygiene, Essen, Klamotten) 
  • Lege Dir einen Laufrucksack zu
  • Plane Zeitpuffer ein (Wartezeit an der Dusche, Fitnesseinbruch)
  • Lerne Deinen Körper kennen (schaffe ich die Strecke heute? Noch Kaffee oder Fettiges kurz vor dem Lauf zurück?)
  • Plane deine Logistik (verbrauchte oder Reservekleider an lauffreien Tagen transportieren)
  • Erzähle es jedem! Das motiviert andere

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