Unterwegs mit dem S-Pedelec: Erfahrungsbericht

Sie sehen aus wie Fahrräder, sind aber keine: Die die bis zu 45 km/h schnellen S-Pedelecs gelten als Kraftfahrzeug. Wie fühlt sich das im Straßenverkehr an? Ein Erfahrungsbericht.

 

Stefan Weißenborn, dpa
Ein S-Pedelec sieht aus wie ein Fahrrad, fährt aber deutlich schneller und gehört auf die Straße. Mit beidem rechnen Autofahrende oft nicht [Bildquelle Moustache Bikes]

S-Pedelecs sehen wie Fahrräder aus. Das sorgt im Straßenverkehr für Irritationen, und manchmal für gefährliche Situationen. An Kreuzungen wird einem mit höherer Wahrscheinlichkeit die Vorfahrt genommen. Nicht aus bösem Willen, sondern weil andere Verkehrsteilnehmende das Tempo des nahenden S-Pedelecs unterschätzen. S-Pedelecs verkaufen sich in Deutschland kaum, anders als in der Schweiz. Da müssen sie den Radweg nutzen, wenn dort nicht auch Fußgänger erlaubt sind. In Deutschland ist das komplett anders: Hier werden S-Pedelecs als Kraftfahrzeug behandelt.

Eine ausführliche Übersicht der speziellen Verkehrsregeln für S-Pedelecs findest Du hier

Was genau ist ein S-Pedelec eigentlich? Das „S“steht für Speed, womit der größte Unterschied zum Pedelec ohne S beschrieben ist. S-Pedelecs können bis zu 45 km/h erreichen, solange man die Pedale tritt. Bei normalen Pedelecs, landläufig E-Bike genannt, endet die Unterstützung des Motors bei Tempo 25.

S-Pedelec: Nur mit Führerschein

Damit gelten S-Pedelecs rechtlich als Kleinkrafträder, während Pedelecs als Fahrräder eingestuft sind. Sie benötigen eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen wie ein Mofa oder Roller. Fahren darf sie, wer einen Führerschein mindestens der Klasse AM besitzt. Der Pkw-Führerschein schließt diesen ein. Damit gehören S-Pedelecs allerdings auch auf die Fahrbahn und nicht auf den Radweg.

Das gilt auch außerorts und ist umstritten: „Tatsächlich ist auf vielen Außerortsstraßen mit straßenbegleitenden Radwegen die Nutzung geeigneter Radverkehrsanlagen oft die verkehrssicherere Lösung“, sagt zum Beispiel beim Verkehrsclub Deutschland (VCD). Die Logik darf in der Tat hinterfragt werden, ein Porsche darf schließlich auch in der Spielstraße fahren. Vorausgesetzt, der Fahrende beachtet die zulässige Höchstgeschwindigkeit.

Da die Schweiz dies anders regelt und die Räder dort verbreiteter sind verwundert es nicht, dass mit Stromer eine Schweizer Firma der bekanntesten Hersteller von S-Pedelecs ist. Doch es gibt weitere renommierte Marken, etwa Specialized, Diamant, Cube, Flyer, Riese & Müller, Scott oder Bergamont.

Unterwegs mit dem Moustache Friday S-Pedelec

Die meisten Deutschen haben wenig Erfahrung mit S-Pedelecs im Straßenverkehr. Merkt man das? Wir sind mit dem Modell Friday 27 FS Speed Dual (Doppelakku) des französischen Herstellers Moustache unterwegs. Der Hersteller positioniert das Friday als Pkw-Alternative für Berufspendelnde: „Vor allem in städtischen oder vorstädtischen Umgebungen kann es ein schnelleres Fortbewegungsmittel sein als Auto oder Roller“, sagt Moustache-Sprecher Clément Bonneau. Das S-Pedelec ist also für Radfahrende gedacht, für die ein normales E-Bike zu langsam ist, um längere Strecken in einer angemessenen Zeit zu bewältigen – etwa vom Stadtrand ins Stadtzentrum.

S-Pedelecs sehen auf den ersten Blick aus, wie jedes andere E-Bike. Das Moustache bildet keine Ausnahme. Erst bei näherem Hinsehen entpuppt es sich als Pedelec der schnellen Sorte. Am auffälligsten ist das Nummernschild am Heck. Ein Versicherungskennzeichen als Beleg einer bestehenden Haftpflichtversicherung ist Pflicht.

Eine fest montierte Beleuchtung ist beim S-Pedelec vorgeschrieben [Bildquelle Moustache Bikes]

Unterwegs mit dem Friday, hängt man ein normales E-Bike schnell ab. Doch es bedarf kräftiger Mithilfe der Beine, um Tempo 45 zu erreichen. Der Mittelmotor von Bosch bietet eine Nennleistung von 250 Watt, der maximale Leistungsoutput bei 600 Watt. Das für das Antrittverhalten entscheidende Drehmoment beträgt 85 Newtonmeter, das liegt auf dem Niveau schwächerer Kleinwagen. Der Motor ist in der Lage, die eingebrachte Muskelkraft um den Faktor 3,4 zu verstärken.

Die beigesteuerte Motorkraft ist an das Schaltverhalten gekoppelt: Schnelleres Treten, also höhere Trittfrequenzen, führen ab einem gewissen Punkt nicht zu mehr Motorunterstützung. Erst, wenn man die nächsthöhere der elf Übersetzungen der Kettenschaltung von Shimano einlegt, aktiviert der Motor seine nächste Zündstufe.

Schalterkennung nennt Bosch das: Motorkraft und Übersetzungsverhältnis korrespondieren. Dass die Kraftspritze bei höheren Trittfrequenzen schnell abebbt, fühlt sich gewöhnungsbedürftig und kontraintuitiv an. Mit dem Mittelmotor besitzt das Friday dabei schon bauartbedingt nicht den Wumms eines S-Pedelecs mit Heckmotor, bei dem die Kraft direkt der Antriebsachse anliegt. Was dazu beträgt, dass sich solche Modelle spritziger anfühlen und die Kette weniger schnell verschleißt.

So fährt es sich mit einem S-Pedelec in Deutschland

Dass S-Pedelecs wie Fahrräder aussehen, sorgt im Straßenverkehr für Irritationen. Im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsteilnehmenden muss man daher aufpassen, oft unterschätzen sie die Geschwindigkeit und Beschleunigung des S-Pedelecs. Beim Ampelstart überholen Autofahrende häufig einen Schuss aggressiver, weil sie nicht gleich vorbeikommen.

Dass S-Pedelecs nicht auf Radwegen fahren dürfen, ist zudem vielen unbekannt. So kommt es vor, dass Autofahrende hupen und gestikulierend auf parallel geführte Radwege verweisen. So komfortabel das Friday auch fährt, mit Federgabel und Rahmendämpfer selbst auf Kopfsteinpflaster: Oft fühlt man sich auf der Straße als Fremdkörper. Hinzu kommt: Da auch Forst- und Waldwege tabu sind, muss man mitunter Umwege nehmen – was die Reisezeitvorteile für Pendler zunichtemachen kann. Ebenfalls nicht erlaubt ist übrigens das Benutzen von Kraftstraßen. Dazu gehören nicht nur Autobahnen, sondern auch viele innerstädtische Unterführungen, die auf Tempo 50 begrenzt sind.

Das Moustache Friday 27 FS Speed schafft laut Hersteller mit Zusatzakku eine Reichweite von bis zu 200 Kilometern [Bildquelle Moustache Bikes]

In vielen Situationen kommt es daher auf gute Bremsen an. An Bord sind leistungsstarke hydraulische Zwei-Kolben-Bremsen vom deutschen Zulieferer Magura. Die Betätigung erfordert nicht viel Kraft, das lässt sich schon anhand der großen Bremsscheiben (203 Millimeter vorne; 180 Millimeter hinten) vermuten. Zudem: Wer ein S-Pedelec fährt, muss einen Fahrradhelm tragen, der für S-Pedelecs freigegeben ist.

Die elektrische Reichweite liegt auf dem Niveau kleiner Elektroautos. Im Unterrohr des Moustache steckt ein Akkupack mit insgesamt 625 Wattstunden Kapazität. Der Zusatz-Akku steuert noch einmal 500 Wh bei. Damit liegt die Reichweite unter idealen Bedingungen bei mehr als 200 Kilometern, sagt Bonneau. Für eine Arbeitswoche könnte man also täglich fast 40 Kilometer pendeln, ohne nachzuladen. Tragen möchte das S-Pedelec aber wohl niemand: Es wiegt rund 30 Kilo.

Diese Ausstattung gehört zum S-Pedelec

Die Stromspeicher versorgen neben dem Motor auch die anderen Verbraucher, etwa die verpflichtende Beleuchtung des Nummernschildes. Am Bike sind weitere technische Details Pflicht, etwa eine Beleuchtung, die während der Fahrt immer angeschaltet ist und über Fernlicht verfügt und ein Rücklicht mit Bremslichtfunktion. Ebenfalls Pflicht: eine Hupe. Fernlicht und Hupe lassen sich über Taster am Lenker direkt bedienen. Links ist ein einklappbarer Rückspiegel von Busch & Müller angebracht, der ebenfalls zur Standardausstattung eines S-Pedelecs zählt.

Ein modernes E-Bike ohne digitale Features ist nur noch schwer vorstellbar. Über eine Bosch-App lässt sich das 3,2-Zoll-Touchdisplay als Navi nutzen. Es zeigt unter anderem Leistung und Kalorienverbrauch des Radelnden an. Über In-App-Kauf kann man die Motorunterstützung dem Fahrverhalten anpassen. Funktionseinschränkung gibt es beim Kindertransport: Mit einem S-Pedelec darf man in Deutschland keinen Kinderanhänger ziehen. Ein Kindersitz am Rad ist nach Angaben des Pressedienstes Fahrrad aber erlaubt.

Und der Preis? Mit 7.499 Euro ist das Friday 27 FS Speed Dual kein Schnäppchen. 900 Euro lassen sich sparen, wenn man auf den Zusatzakku verzichtet. Andererseits: Gute Pedelecs dringen mit etwas Ausstattung oft in ähnliche Preisregionen vor. Wer mit dem S-Pedelec viele Autofahrten ersetzt, für den kann sich die Investition lohnen. Gerade in Zeiten hoher Spritpreise.

Fazit:

Ein S-Pedelec wie das Moustache animiert dazu, das Auto auch mal stehen zu lassen. Ist die Pendlerstrecke nicht zu lang, spart man Zeit. Aber es muss auf die Straße, wo die Rushhour das Fortkommen ausbremst. Das sollte man bei der Abwägung zwischen einem teureren S-Pedelec und günstigerem Pedelec einbeziehen.

 

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