Velohub: Mehr als eine Tankstelle für Fahrräder
Velohub braucht Raum wie zwei PKW-Parkplätze und bietet so viel mehr. Auf der Suche nach einer fahrradfreundlichen Verkehrs-Infrastruktur findet eine Münchner Agentur verblüffend konkrete Antworten.
In vielen Städten wird die Verteilung des öffentlichen Raums derzeit neu verhandelt. Das klingt erst einmal abstrakt, bedeutet aber in der Regel: Es fallen Parkplätze oder Fahrspuren für Autos weg, Durchgangsstraßen werden zu Sackgassen. Daran entzünden sich oft hitzige Debatten. Kein Wunder: Wer Mobilitätsverhalten ändern will, kann natürlich das Autofahren unangenehmer machen. Allerdings: Für die meisten Menschen ist Mobilität kein Selbstzweck. Sie müssen zur Arbeit, zum Einkaufen, zu privaten und dienstlichen Terminen gelangen.
Akzeptanz für Veränderungen winkt daher am ehesten, wenn die Frage beantwortet wird, wie diese Bedürfnisse besser erfüllt werden können. Nachhaltiger, zugänglicher und sozialverträglicher als mit dem Auto. Und dabei bestenfalls attraktiver und effektiver. Welche Infrastruktur könnte dies leisten, auf der Fläche von Parkplätzen, die dann nicht mehr in heutiger Zahl benötigt werden?
So funktioniert Velohub
Eine Antwort auf diese Gretchenfrage der Stadtmobilität versucht die Innovationsberatung Designit mit dem Projekt Velohub (offizielle Schreibweise: VeloHUB). Die Grundidee: Ein modulares System, das sich an der Grundfläche eines durchschnittlichen Parkplatzes orientiert, bündelt Funktionalitäten, die es Menschen erleichtern, ihre täglichen Besorgungen mit dem Fahrrad zu erledigen. Der Prototyp, den Designit in Zusammenarbeit mit dem Systemmetallbau-Unternehmen WSM errichtet hat, passt auf zwei Parkplätze. Darin untergebracht sind beispielhaft eine ganze Reihe von Funktionen: Sichere Fahrradabstellmöglichkeiten mit integriertem Schloss etwa, und eine kleine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt. Schließfächer erlauben es, sicher Gepäck oder Einkäufe zu „parken“. Über eine Speicherbatterie sind sie mit Strom versorgt, so dass sich das Smartphone oder der E-Bike-Akku darin laden lassen. Auf einer überdachten Sitzbank lässt sich ein Regenschauer aussitzen.
All das erinnert an eine Infrastruktur, wie sie Autofahrer von Tankstellen kennen. Die Parallelen enden hier nicht: Es lässt sich ein kleiner Verkaufsstand integrieren, in dem etwa ein Café, ein Imbiss oder ein kleines Dienstleistungsunternehmen arbeiten kann. Auch Kommunen können hier direkt im Stadtteil Dienste anbieten. Und: Die Fahrrad-Schließsysteme lassen sich per App steuern. Das erlaubt zum Beispiel ein Fahrrad-Verleihsystem, oder einen personalisierten Parkplatz. Im Obergeschoss des Velohub lassen sich darüber hinaus Grünflächen anlegen oder ein Sitz- und Begegnungsbereich mit Außenmöblierung aufbauen.
"Wer ein 3000-Euro-Carbonbike besitzt, möchte nicht, dass es umgeworfen oder zerkratzt wird. Geklaut werden soll es natürlich auch nicht."
Danusch Mahmoudi, Managing Director Designit Germany
Velohub ermöglicht acht Fahrräder auf einem Parkplatz
Eine Velohub-Infrastruktur könnte also mehrere Probleme lösen, die sich bei der Bewältigung des Alltags mit dem Fahrrad stellen. Niemand schließt beispielsweise in der Großstadt gern ein hochwertiges Rad vor einem Einkaufszentrum an. Wenn sich direkt daneben jedoch ein bewirtschaftetes Café befindet, steigt das Sicherheitsempfinden deutlich. Wer in einer Einkaufsstraße mehrere Geschäfte aufsuchen möchte, will häufig nicht seine bereits getätigten Einkäufe mit sich herumtragen. Autofahrer können sie im Kofferraum deponieren, Velohub bietet eine Alternative für Radfahrer.
Die Erkenntnisse, die zu diesen Ideen geführt haben, stammen unter anderem aus dem Experiment „Umparken Schwabing West“. Die daran teilnehmenden Münchner Haushalte hatten sich bereit erklärt, für vier Wochen auf ihr Auto zu verzichten und stattdessen andere Mobilitätsformen zu nutzen. „Dabei kamen zwei Aspekte immer wieder auf“, sagt Danusch Mahmoudi, Managing Director von Designit Deutschland. Praktisch alle Haushalte verfügten über zwei oder mehr Fahrräder und wollten sie auch gern nutzen. Aber es fehlten erstens sichere und zweitens trockene Abstellmöglichkeiten. „Wer ein 3000-Euro-Carbonbike besitzt, möchte nicht, dass es umgeworfen oder zerkratzt wird. Geklaut werden soll es natürlich auch nicht“, sagt er. Dies limitierte die Bereitschaft, auf das Fahrrad umzusteigen. Vor allem auf längeren Strecken, die Haushaltsmitglieder nicht mit einem „egal-was-damit-passiert-Fahrrad“ zurücklegen mochten .
Auf dieser Grundlage begann das Designteam mit der Arbeit. Auf der Grundfläche eines Parkplatzes lassen sich mit dem Velohub-Konzept acht bis zehn Fahrräder sicher unterstellen – an einer belebten und bewirtschafteten Infrastruktur. Üblicherweise führt Designit solche Untersuchungen im Kundenauftrag durch, Velohub ist eine eigene Initiative. „Einerseits, weil wir den Bedarf gesehen haben, aber auch, weil wir über das Handwerkszeug sowohl für die Konzeption als auch für die Umsetzung verfügen“, erläutert Danusch Mahmoudi.
Velohub - Der Schritt nach dem Parklet?
An Optionen für den Weg von A nach B mangelt es in den meisten Städten nicht. In den Untersuchungen zeigten die Probanden daher weniger Interesse an weiteren Carsharing- oder Ride-Pooling-Angeboten als zunächst vermutet. Auch neue Fahrzeuge wie Elektro-Tretroller empfanden sie im Alltag weit weniger nützlich als einen klug geplanten Fahrradparkplatz. Der adressiert gezielt bestehende Lücken in der Alltagstauglichkeit eines gelernten Verkehrsmittels – dem Fahrrad.
Die Umnutzung von Parkflächen zu „Kommunikationsorten“ ist seit einigen Jahren ein städtisches Experimentierfeld. Sogenannte „Parklets“ wurden seit 2015 beispielsweise in Stuttgart, Berlin, Flensburg, München, Kiel oder Rostock getestet. Die vor allem in Berlin stark diskutierten Experimente zeigten jedoch: Ein reiner Aufenthaltsraum ohne weitere Funktion wird von der Bevölkerung nicht als vollwertiger Ersatz für einen Parkplatz akzeptiert. „Was wir aus unseren Befragungen herausgehört haben war, dass die Bevölkerung schon mehr will als nur einen Stellplatz. Deshalb betrachten wir das Ganze als multidimensionale Anlage“, sagt Mahmoudi. So entstand beispielsweise der Gedanke, soziale Funktionen oder Stadtgartenflächen einzuplanen: „Das war tatsächlich ein Nutzerwunsch. Viele haben in der Stadt nicht unbedingt einen Balkon oder eine Gartenfläche zur Verfügung“; sagt Mahmoudi.
Wann sehen wir Velohub auf der Straße? Aktuell steht der Velohub-Prototyp im Munich Urban Colab (Coworking-Space). Dort will Designit zunächst weiter forschen und beispielsweise Ansätze für die Barrierefreiheit entwickeln. Dabei betonen die Entwickler ihren funktionsoffenen Ansatz: „Wichtig ist, dass wir Velohub nicht auf technische Features verengen. Es geht auch um soziale und wirtschaftliche Features. Ein Velohub, das zum Beispiel vor einem Altenheim steht, muss andere Aspekte bedienen als eines vor einer Schule“, findet Mahmoudi.
Kommunen zeigen großes Interesse an Velohub
Die Resonanz auf die IAA-Teilnahme 2021 und der dort artikulierte Bedarf könnten die Umsetzung deutlich beschleunigen. „Wir befinden uns in Gesprächen mit der Stadt München und anderen Kommunen, wir werden das Thema definitiv weiterverfolgen“, so Mahmoudi. Zunächst sollen jedoch weitere Experimente folgen, finanziert über eine Kickstarter-Kampagne. Teil dieser Experimente könnte eine Roadshow durch verschiedene Städte sein.
Parallel will das Unternehmen die Serienreife vorantreiben. „Wir müssen die Materialien noch einmal anschauen, ebenso die Konstruktion. Das Ganze soll modular wie ein Baukastensystem funktionieren, da werden wir am Konzept definitiv noch feilen“, sagt Mahmoudi. Aber in weniger als zwei Jahren könnte es so weit sein: Dann könnte Velohub über Anbieter von Stadtmöblierung regulär vertrieben werden. Genau darauf ist die Walter Solbach Metallbau GmbH, die den Prototypen gebaut hat, schließlich spezialisiert. Sie vertreibt zum Beispiel Fahrrad-Bügel oder überdachte Wartehallen für Haltestellen.
Fazit:
Urbane Verkehrspolitik empfinde ich oft als Politik gegen das Auto. Die Förderung alltagstauglicher Alternativen wäre der positivere Fokus. Velohub zeigt einen spannenden Ansatz, wie das aussehen könnte – auf verblüffend pragmatische Weise.
Björn | @MobilityTalk
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