49-Euro-Ticket: Was uns gefällt und was nicht

Die Politik hat sich verständigt: Auf das 9-Euro-Ticket folgt das 49-Euro-Ticket. Ist das wirklich ein Schnäppchen, und: Geht so Verkehrswende?

Björn Tolksdorf
Björn Tolksdorf
U-Bahn, Schlesisches Tor, Kreuzberg, Berlin, Deutschland
Die Politik lässt dem 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr wohl ein 49-Euro-Ticket folgen. Eine Kompromisslösung, die aber wichtige Weichen stellt [Bildquelle: picture alliance / Bildagentur-online/Schoening]

Oft haben wir in den vergangenen Monaten über das 9-Euro-Ticket und seine Nachwirkungen gesprochen, aus einem einfachen Grund: Was als Teil eines Entlastungspakets sein politisches Leben begann, ist im Leben vieler Menschen zum anfassbaren, positiven Stück Verkehrswende in Deutschland geworden. Ja, anfassen und benutzen lassen sich auch Elektroroller und Carsharing-Autos. Aber die sind voraussichtlich nicht die große Lösung, die Millionen Berufstätige jeden Tag zuverlässig zur Arbeit bringen kann.

Nun also befürwortet die Verkehrsministerkonferenz einstimmig die Einführung eines Neun-Euro-Nachfolgetickets, das 49 Euro im Monat kosten soll. Wie das 9-Euro-Ticket, soll es bundesweit im Nahverkehr gelten. Angedacht ist die Umsetzung als Abonnement, das jederzeit kündbar ist. Geplant ist die Einführung „so schnell wie möglich“, idealerweise zum 1. Januar 2023.

Damit steht er also bevor, der Härtetest für die Idee, in Deutschland beim Nahverkehr mal was anderes zu versuchen. Denn das 9-Euro-Ticket eignete sich nicht wirklich als Härtetest. Der Preis war so niedrig, dass man es sich auch gut kaufen konnte, wenn man es gar nicht oder nur für einen Ausflug benutzen wollte. Zudem entfiel die Gültigkeit auf die Monate Juni, Juli und August – also im Hauptteil auf die Sommerferien, in denen das Pendeln sich für viele Menschen erübrigt, weil sie frei haben. Und auf eine Zeit, in der eben keine Schüler*innen auf Busse und Bahnen angewiesen sind.

49-Euro-Ticket: Was es kann und was nicht

Angesichts dieser Sonderumstände lässt sich bislang die Wirkung eines günstigen, überall gültigen „Alltagstickets“ nicht wirklich bewerten. Wer schafft schon sein Auto ab für ein auf drei Monate begrenztes Angebot? Eine solche Entscheidung verlangt etwas Planungssicherheit. Ein wenig Sicherheit gibt es nun mit dem 49-Euro-Ticket: Es soll zunächst zwei Jahre lang angeboten und dann evaluiert werden, hinsichtlich seiner „klimaseitigen, verkehrlichen und finanziellen Wirkungen“, wie die Verkehrsministerkonferenz mitteilt. Welche Effekte kann die Karte haben, was ist gut, was könnte ein Problem werden? Wie schlägt sich die 49-Euro-Idee im Vergleich zum 9-Euro-Ticket?

Preis

Das 9-Euro-Ticket war unschlagbar günstig. Zum Preis von weniger als vier städtischen Einzelfahrten einen Monat unterwegs sein – ein vergleichbares Schnäppchen wird das 49-Euro-Ticket nicht. Die Bremer Verkehrssenatorin Maike Schäfer sieht eine „echte Entlastung im Portemonnaie vieler Pendler“ – aber ist das wirklich so? In Berlin kostet die Monatskarte im Abo bisher gut 60 Euro pro Monat, in Hamburg geht es bei 58 Euro los, in München bei 49 Euro. Wer in diesen Städten täglich oder mehrmals in der Woche mit dem ÖPNV zur Arbeit fährt, spart also je nach Region ein wenig oder auch nichts. Das ändert sich, betrachten wir Einpendelnde aus dem Umland der jeweiligen Städte. Dann kommen in den aktuellen Tarifen der Verkehrsverbünde mitunter deutliche Aufpreise für zusätzliche Tarifzonen zustande. Hier kann das 49-Euro-Ticket deutlich Geld sparen.

Netzabdeckung

Wie auch das 9-Euro-Ticket, soll das 49-Euro-Ticket bundesweit im Nahverkehr gelten. Das erleichtert nicht nur das beschriebene Pendeln durch mehrere Tarifzonen. Es verbessert auch die Mobilität außerhalb der Heimatregion massiv. In welcher Zone welcher Region bin ich, welches Ticket brauche ich – all diese Fragen fallen schlicht weg. „Wir überwinden die komplexen Tarifstrukturen“, sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Und würde damit für den deutschen Nahverkehr eine Großtat vollbringen. Bisher scheitern in Deutschland Reformvorhaben im Nahverkehr allzu häufig am Widerstand der Verkehrsverbände und, noch kleinteiliger, der darin organisierten lokalen Verkehrsträger. Mit einem bundesweiten Ticket zum Einheitspreis hätte die Politik diese Situation aufgebrochen. Ein großer Schritt, der die Benutzung des Nahverkehrs deutlich vereinfacht und von dem zu hoffen ist, dass er in Zukunft nicht mehr zurückgedreht werden kann.

Zu sehen ist Professor Andreas Knie
Verkehrsforscher Andreas Knie: "Kein Produktstolz" bei Verkehrsunternehmen? [Bildquelle: Philipp Brandstädter/dpa/picture alliance]

Einfachheit

Das 9-Euro-Ticket galt nicht nur überall, man bekam es auch praktisch überall. Hier ist abzuwarten, wie die Bundesländer das Projekt letztlich umsetzen. Abonnement-Lösungen sind aus Sicht der Fahrgäste nicht unbedingt die beste Lösung: Sie müssen sich registrieren, eine Einzugsermächtigung ausstellen und bei Bedarf aktiv kündigen. Aus Sicht der Verkehrsbetriebe vereinfachen sie die Situation erheblich und sorgen für niedrigere Verwaltungskosten im Vergleich zum Verkauf von Einzeltickets. Die sozialpolitische Komponente müssen die Bundesländer noch nachschieben, über Ermäßigungen für Menschen, die bisher ermäßigte Tickets nutzen – Beziehende von Transferleistungen, Senior*Innen, Studierende. Dann wird es noch einmal komplizierter, da diese ihre Berechtigung nachweisen müssen.

49-Euro-Ticket: Lohnt sich das?

Ist das 49-Euro-Ticket also eine gute Lösung? Klar ist: Viele Vorteile des 9-Euro-Tickets behält es bei, die einfache Benutzung im kompletten lokalen und regionalen Verkehrsnetz etwa. Aber: Ein best case ist es nicht. Das hebt Verkehrsforscher Andreas Knie hervor: Die sozialwissenschaftliche Forschung habe gezeigt, dass ein Preis von über 29 Euro pro Monat nicht mehr attraktiv sei. Das 9-Euro-Ticket habe vor allem auch eine sozialpolitische Komponente gehabt und die unteren Einkommensgruppen entlastet. Knie hatte daher ein 29-Euro-Ticket vorgeschlagen, das neben dem Nah- und Regionalverkehr auch Angebote des Fernverkehrs enthält. Im besten Fall sogar die Fahrt von der Haltestelle zur Haustür im Taxi oder mit einem anderen Verkehrsmittel.

Insofern ist das 49-Euro-Ticket ein Kompromiss, der organisatorisch Weichen stellt, den Verkehrsunternehmen aber vermutlich weniger Mindereinnahmen beschert als zum Teil befürchtet. Ob der Preis von 49 Euro, der bis zum März 2022 knapp einer Kleinwagen-Tankfüllung entsprochen hätte, am Ende attraktiv genug ist, um Autobesitzende zum Ticketkauf und später vielleicht zum Umstieg zu bewegen? Das hängt von einer Reihe von Faktoren ab: Wo leben sie? Nutzen sie den Nahverkehr auch privat? Gibt es auf ihrem Arbeitsweg eine vergleichbar schnelle Verbindung?

Der Einstieg in das bundesweite Nahverkehrsticket kann daher nur der erste Schritt sein. Dafür braucht es in einigen Regionen mehr Angebot, in vielen Regionen klügere Angebote und grundsätzlich eine neue Einstellung zum öffentlichen Verkehr: Weniger Verwaltung, mehr Zielorientierung. Statt Ressourcen auf leere Busse zu verschwenden muss es das Ziel sein, Menschen schnell und zuverlässig an ihr Ziel zu bringen. Es sei eine „traurige Erfahrung mit dem Neun-Euro-Ticket“ gewesen, dass die Branche selbst es gar nicht gewollt habe, sagt Andreas Knie. Mehr Fahrgäste, mehr Ärger – das sei die Denkweise gewesen, es gebe dort keinen Produktstolz. Da muss sich etwas ändern, wie auch an der Rolle, die der Nahverkehr in den Budgets der öffentlichen Haushalte einnimmt. Denn auch wenn der Weg, der vor den Verkehrsunternehmen liegt, nicht leicht wird: Er ist unabdingbar, sonst gibt es keine Verkehrswende.

Weiterführende Artikel

Strom lohnt sich: CO2-Bilanz der Antriebsarten

Strom, Wasserstoff, E-Fuels oder doch Diesel und Benzin? Die CO2-Bilanz von Elektroautos wird immer besser. Selbst in der Kompaktklasse fahren sie schon nach wenigen

Podcast: Wie geht es nach dem 9-Euro-Ticket weiter?

Demnächst endet die Testphase für das 9-Euro-Ticket – und dann? Timo Friedmann und Simon Pausch teilen im Podcast ihre Erfahrungen und diskutieren mögliche Alternativen

Tempo 30: Kommunen sollen selbst entscheiden

Wo Tempo 30 gilt und wo nicht, sollen nach dem Willen des Verkehrsministers die Kommunen entscheiden. Der Städtetag begrüßt dies, würde aber gern noch

„Was den öffentlichen Verkehr betrifft, leben wir in der Steinzeit“

Verkehrsexperte Knie kritisiert das Abo-Upgrade im ÖPNV und fordert ein Umdenken der Verkehrsunternehmen. Das beginnt schon mit den Dienstwagen der Vorstände.

Immer informiert sein?

Abonniere unseren Newsletter!