So versuchen die Auto-Hersteller, nachhaltiger zu werden
Hanf, Fischernetze und Ananasfasern: Auto-Hersteller setzen zunehmend auf recycelte und nachwachsende Materialien. Dabei entstehen durchaus kreative Lösungen. Doch die ersten Probleme sind absehbar.
Rund 40 Meter unter der Wasseroberfläche. Vier Stunden Schwerstarbeit. Acht Taucher der „Ghost Diver“ befreien ein Wrack vor der Küste Kroatiens von einem Fischernetz. Sie schneiden an Leinen, entzerren sie, hängen die Netze an aufblasbare Schlepphilfen. Einerseits schützen sie damit Meerestiere. Neuerdings sind sie damit allerdings auch im Auftrag der Autoindustrie unterwegs. Hersteller wie BMW, Volkswagen oder Mercedes fertigen aus den alten Netzen Fußmatten, Sitzbezüge und Innenhimmel für ihre Fahrzeuge.
Bei der Auto-Produktion gehen alle Werkstoffe und deren Herstellung in die CO2-Bilanz ein. Wer nachhaltig produzieren möchte, kommt neben Grünstrom und Wasseraufbereitung nicht um nachwachsende Werkstoffe und Recylate herum. Alleine durch die aufgearbeiteten Fischernetze sparen Hersteller über 30 Prozent CO2 ein – gegenüber einem vergleichbaren Produkt aus reinem Kunststoff.
So werden aus Fischernetzen Fußmatten
Die „Ghost Diver“ aus dem kroatischen Meer arbeiten mit der Non-Profit-Organisation Healthy Seas zusammen. Diese hat sich zu Aufgabe gemacht, die Meere vom gefährlichen Müll zu befreien und zugleich Aufklärungsarbeit zu leisten. Schätzungsweise 640.000 Tonnen Fischernetze landen pro Jahr im Meer. Über 773 Tonnen hat Healthy Seas seit 2013 aus dem Meer holen und weiterverarbeiten lassen, vergangenes Jahr waren es 188 Tonnen. Im Vergleich zu den Netzen, die ins Meer gelangen, nicht viel. Aber jeder gerettete Fisch zählt.
Bis die Netze als Fußmatten ins Auto gelangen, durchlaufen sie einen langen Prozess. Nach dem Ausladen vom Schiff werden sie gereinigt, getrocknet und in einer alten Industriehalle in der Nähe gelagert. Dort werden sie nach einer weiteren Trocknungsphase geschreddert. Das grobe Granulat schaffen Lkw in eine Fabrik von Aquafil nach Ljubljana in Slowenien. Die Firma hat sich auf die Weiterverarbeitung des alten Materials für neue Kunststoffteile spezialisiert, die dann unter anderem von BMW und Hyundai verwendet werden. Am Ende landen diese Fäden als Econyl – regeneriertes Nylon – auf großen Rollen, versandfertig für den Weitertransport an Produzenten von Kunststoffteilen – wie den Fußmatten vom Hyundai Ioniq 5.
25 Prozent Recyclat-Anteil
In dem Elektroauto werden bei Dämmstoffen, Gitternetzstrukturen und Fußmatten recycelte Materialen eingesetzt. Dafür verwendet Hyundai unter anderem ein Nylonmaterial aus Fischernetzen. Bei BMW umspannen schon seit Jahren Ananasfasern die Sitze, Armaturenbretter bestehen aus Hanf und darauf kleben Zierteile aus Holz und Eukalyptus. Beim kürzlich eingestellten BMW i3 kam rund 20 Prozent Recyclingmaterial zum Einsatz, bei aktuellen Fahrzeugen sind es rund 25 Prozent. Darunter fallen Kenaf, europäischer Eukalyptus, Schurwolle und Olivenblattextrakt für gegerbtes Leder. Beim neuen BMW iX wird FSC-zertifiziertes Holz und Wollfaser verwendet. Die Rückseiten der Textile für die Sitze fertigt BMW bis zu 85 Prozent aus Recyclingmaterial.
Volkswagen setzt in seinen Fahrzeugen unter anderem Flachs, Hanf, Kenaf, Papier, Zellulose, Baumwolle und Holz ein. Meist werden die Materialien im nichtsichtbaren Bereich wie den Tür- und Seitenverkleidungen, in Ladeböden, Formhimmelversteifungen sowie in Bodenbelägen verbaut. Leder und andere Materialien tierischen Ursprungs werden beim ID. Buzz und ID. Buzz Cargo durch Ersatzstoffe mit ähnlichen Eigenschaften und Haptik ersetzt. Bei manchen Sitzoberflächen und Türverkleidungen verwendet VW Werkstoffe, die aus rund 70 Prozent recycelten PET-Flaschen und geschredderten T-Shirts bestehen. Audi verwendet unter anderem Baumwollvliese, Holz, Holzfaserwerkstoff in Verkleidungen. Mazda verziert seinen MX-30 mit nachwachsendem Kork. Bei einigen Modellen von Mercedes-Benz bestehen Tür-Innenverkleidungen aus Holz- oder Flachsfasern, im Schiebedach-Rahmen kommt eine Naturfasermatte zum Einsatz. Aber auch aus Hanf, Kenaf, Baumwolle, Schurwolle, Leinen, Kokosfaser, Flachs, Zellulosefasern oder Holz entstehen Träger für Verkleidungsteile. Im EQS und der EQE bestehen die Kabelkanäle aus recycelten Haushaltsabfällen. Die Liste lässt sich beliebig weiterführen.
Gesetz zwingt Auto-Hersteller zu Nachhaltigkeit
Neu ist der Wille der Hersteller, den Anteil an recycelten oder nachhaltigen Materialien weiter zu steigern. Volkswagen will bis 2050 bilanziell klimaneutral sein. Ziel ist die industrialisierte Rückgewinnung bei Rohmaterialien wie Lithium, Nickel, Mangan und Kobalt im geschlossenen Kreislauf sowie von Aluminium, Kupfer und Kunststoff mit einer Wiederverwertungs-Quote von mehr als 90 Prozent. Mercedes plant bis spätestens 2039 in der globalen Lieferkette CO2-neutral zu sein. Andere Hersteller wie Porsche und Jaguar Land Rover haben ähnliche Ziele. Dazu kommt noch der gesetzliche Druck: Die europäische Altfahrzeugrichtlinie 2000/53/EG gibt eine Verwertungsquoten für Pkw vor – 85 Prozent der Autos müssen stofflich recyclingfähig und zu 95 Prozent verwertbar sein – mit steigender Tendenz. Derzeit setzt BMW etwa 30 Prozent pro Fahrzeug recycelte Materialien ein, das Ziel sind 50 Prozent. Mercedes-Benz plant in den nächsten Jahren einen Anteil von Sekundärrohstoffen in der Pkw-Flotte auf durchschnittlich 40 Prozent erhöhen.
Im Vergleich zu künstlich hergestellten Produkten besitzen nachwachsende Rohstoffe einige Vorteile: Sie lassen sich kultivieren, sind theoretisch unendlich verfügbar, besitzen gute Dämmeigenschaften, ein positives Crashverhalten und sind unter Umständen biologisch abbaubar. Meist haben sie eine bessere CO2-Bilanz, sind leichter und lassen sich besser recyceln. Außerdem bieten sie Vorteile bei Haptik und Patina. Die großen Nachteile liegen jedoch in der ständigen Verfügbarkeit und in der Qualität. Jeder Rohstoff muss die immer gleiche Qualität besitzen – bei Naturrohstoffen lässt sich das nicht einfach gewährleisten. Bei Recyclaten liegt das Hauptproblem in der Verfügbarkeit – es gibt, so böse sich das liest, einfach zu wenig guten Abfall.
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