Kommentar: Wird Tesla jetzt etwa zum herkömmlichen Autobauer?
Rabatte, wütende Kunden und ein historischer Vermögensverlust: Für Tesla beginnt das Jahr turbulent. Es sind die Vorboten eines in der Unternehmensgeschichte einmaligen Vorgangs.
Der Start ins neue Jahr verlief turbulent für Tesla-Chef Elon Musk. In China, Teslas zweitwichtigstem Absatzmarkt nach den USA, formierten sich hunderte Tesla-Besitzer zum Protest gegen den E-Fahrzeug-Bauer. In Chengdu zerlegten sie aus Frust sogar ein komplettes Autohaus. Grund für ihre Aufregung: Eine ebenso überraschende wie drastische Preissenkung für das Tesla Model 3 und das Tesla Model Y. Bis zum 6. Januar 2023 kosteten die Fahrzeuge jeweils noch fast 25 Prozent mehr. Wer vorher gekauft hatte, fühlt sich nun betrogen.
Parallel stellte Musk einen unrühmlichen Rekord auf: Noch nie verlor eine Privatperson mehr Vermögen als der zwischenzeitlich reichste Mensch der Welt im vergangenen Jahr. Laut „Guinness Buch der Rekorde“ pulverisierte er mit „mindestens 182 Milliarden Dollar Vermögensverlust“ den bisherigen Spitzenwert von Masayoshi Son regelrecht. Der japanische Investor hatte vor mehr als 20 Jahren knapp 60 Milliarden Dollar verloren, wie Musk in Folge des eingebrochenen Börsenwertes seines Unternehmens.
Tesla reduziert die Strompreise an Superchargern
Sorgen muss man sich um Tesla und seinen extrovertierten Chef nicht machen, trotz der Negativschlagzeilen. Dennoch illustrieren diese ersten Tage 2023 zweierlei. Erstens: Tesla bleibt ein beständiger Lieferant schriller Schlagzeilen. Dass Musk zum introvertierten Schweiger wird, ist nicht zu erwarten, stattdessen eher unkonventionelle und kurzfristige Maßnahmen. Da passt die jüngste Entscheidung, den Strompreis an Superchargern in Deutschland für Tesla-Fahrer deutlich zu reduzieren, ins Bild. Während andere Anbieter die Gebühren erhöhen, machen die Kalifornier das Gegenteil. Typisch Tesla, möchte man meinen.
Und doch hat sich etwas geändert im Kosmos des E-Auto-Pioniers. Historisches, um genau zu sein. Die Amerikaner dürften in diesem Jahr endgültig zu einem vergleichsweise herkömmlichen Autobauer mutieren. Mit all den Herausforderungen, Chancen und Risiken, denen sich ihre Wettbewerber immer schon gegenüber sehen.
Die Konkurrenz sitzt Tesla im Nacken – zum ersten Mal
Seit der Vorstellung des Model S vor zehn Jahren genoss Tesla einen Sonderstatus in der Automobilwelt. Überflügelte fast aus dem Nichts heraus alle Konkurrenten in puncto Börsenwert, Aufmerksamkeit und ganz banalen Dingen wie elektrischer Reichweite. Diese Andersartigkeit generierte einen Hype, mit dem das automobile Establishment bis heute fremdelt. Für das Marketing war das unkonventionelle Vorgehen, etwa durch die Tweets von Musk, Gold wert. Es lief jahrelang gut. So gut, dass Tesla als einziger Autobauer kein Marketing benötigte, um die eigenen Produkte unter die Leute zu bringen. Die Nachfrage übertraf konstant das Angebot. Das ließ viele Freiräume bei der Gestaltung von Preisen und der Ankündigung von Terminen, bzw. deren Nichteinhaltung.
Beschleunigt durch die Twitter-Übernahme durch Musk im vergangenen Herbst hat sich dieser Effekt verflüchtigt. War es in den vergangenen Jahren cool und avantgardistisch, einen Tesla zu fahren, müssen Tesla-Fahrende heute Fragen zur Weltanschauung des Firmengründers beantworten. Zudem, und das ist die größere Herausforderung für das Unternehmen, hat die Konkurrenz aufgeholt. Traditionelle Autobauer wie Volkswagen und asiatische Emporkömmlinge wie BYD sind dabei, den Rückstand auf Tesla so zu verkürzen, dass der Verlust des Sonderstatus droht.
2023 betritt Tesla Neuland
Klar: Noch immer liefert kein Hersteller weltweit mehr Elektroautos pro Jahr aus als Tesla (1,318 Millionen). Doch der Vorsprung schmilzt. BYD schaffte 2022 knapp eine Million, Volkswagen rund 330.000 – Tendenz stark steigend. Nicht so bei Tesla. Dort übersteigt, auch dank optimierter Fertigungs- und Auslieferungsprozesse, erstmals das Angebot die Nachfrage. Erstmals in seiner Geschichte kann Tesla nicht mehr nur verteilen, sondern muss verkaufen. Und greift zu Maßnahmen, die auch Hersteller von Schrauben, Käse oder Plastik-Spielzeug ergreifen. Sie machen ihre Artikel attraktiver, was kurzfristig vor allem heißt: günstiger. Nicht nur in China wurden die Preise reduziert, auch in den USA buhlt der Konzern mit Rabatten um neue Kunden. Ein klassischer marktwirtschaftlicher Prozess ist in Gang gekommen. Für Tesla ist das jedoch Neuland. Sie standen bislang über so profanen Dingen wie Rabatten, PR oder Marketing
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