Das Geschäft mit der Pause

Als deutsche Autobahnraststätten 1998 privatisiert werden, sollen ihre Toiletten kostenlos bleiben. Heute sind die Anlagen erzwungener Luxus. Ein Kommentar.
Constantin Bergander
Constantin Bergander
Gefühlte Wahrheit: Raststätten in Deutschland sind entweder viel zu teuer oder verfallen, manchmal auch beides. [Symbolfoto, Bildquelle: Marco Molitor on Unsplash]

Der direkte Weg ist der teuerste. Wer in Deutschland ohne Umwege mit dem Auto reist, der bezahlt den Autobahn-Aufschlag. Eine kleine Flasche Wasser für 3 Euro, ein belegtes Brötchen für 4 Euro, ein paar Spritzer Handdesinfektion für 6 Euro – Raststätten rufen Preise auf, die sich sonst nur Flughafenshops trauen. Es ist ein Geschäft mit der Alternativlosigkeit. Denn in der Nähe der Schnelltrassen gibt es wenig günstigere Konkurrenz.

Die neueste Unverschämtheit auf Autobahnraststätten: Auf Sanifair-Toiletten kostet der Eintritt zum stillen Örtchen nicht mehr 70 Cent, sondern 1 Euro. Schuld sind die gestiegenen Betriebskosten, sagen die Betreiber. Energie, Verbrauchsmaterialien und Personal seien teurer als vorher. Es ist also folglich nur die Inflation, die sich auf die Schnellstraßen-Urinsteuer auswirkt.

Die Betreiber sagen, dass „eine überwiegende Mehrheit der Sanifair Nutzer“ die neue Preisgestaltung „attraktiv, fair und einfach zu verstehen“ findet. Zumal man streng genommen nichts für die Notdurft bezahlt, sondern einen Wertbon im Gegenwert von einem Euro erhält. Und der lässt sich ja beim Kauf von 3-Euro-Gummibärchen einsetzen – aber nur ein Wertbon pro Person und Ware, versteht sich.

Selbst nach Abzug des Wertbon-Euros sind Gummibärchen teurer als an regulären Tankstellen, Discos und Apotheken. Der Vergleich mit Supermärkten oder Discountern erübrigt sich. Deshalb verfallen viele dieser Bons. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA aus dem Jahr 2018. Geschätzter Gegenwert der ungenutzten Pipi-Wertpapiere damals: 20 Millionen Euro pro Jahr bei 50 Cent pro Bon. Mit der aktuellen Preiserhöhung dürfte sich diese Zahl also verdoppeln. Wer damals wie heute gewinnt: Sanifair.

Das Geschäft mit dem Ekel

43 Prozent Aufschlag sind eine Kalkulation, die nur einen Gewinner kennt. Die Summe übertrifft die Inflationsrate bei Weitem. Autobahn-Rasthöfe nutzen hier ihre offensichtliche Monopolstellung schamlos aus. Denn man hat ja streng genommen eine Wahl, zumindest bei der Notdurft: Auf vielen Autobahnrastplätzen gibt es edelstählerne, leicht versiffte Urintempel ohne Drehkreuz, Münzschlitz, Reinigungspersonal und Toilettenpapier. Sie zählen als, kein Witz: Alternative.

Was kann man also gegen den Pinkel-Wucher tun? 2017 klagte ein Autofahrer gegen das Land Rheinland-Pfalz. Der Pkw-Pilot argumentierte, dass ein Toilettengang für Gäste laut Gaststättenverordnung des Bundeslandes kostenfrei sein sollte, also auch bei Sanifair. Der Richter hielt dagegen: Menschen hätten generell keinen Rechtsanspruch auf kostenfreie Toiletten. Strom, Trinkwasser und Gas gäbe es schließlich nicht kostenlos. Stimmt, denn Wildpinkeln (Strafe: 35 bis 5.000 Euro) muss man sich leisten können.

Pipi-Gebühr bezahlt Investor-Rendite

Wer kann, weicht überteuerten Autobahn-Rasthöfen aus und besucht Autohöfe neben der Route. Wer es nicht mehr halten kann, der muss bezahlen. Aber warum eigentlich? In den 1990ern waren kleine und große Geschäfte an Autobahnen schließlich noch kostenlos. Was hat sich seit damals geändert?

Der Toiletten-Wucher begann mit der Privatisierung der Raststätten im Jahr 1998. Der damalige Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) bereitete den Verkauf des bundeseigenen Unternehmen Tank & Rast an mehrere Investoren vor. Die Unterschrift auf dem Vertrag stammte von seinem Nachfolger Franz Müntefering (SPD), der zu diesem Zeitpunkt seit zwei Tagen vereidigt war.

Mit im Vertrag: Eine Klausel, nach der die Toilettennutzung kostenlos bleiben soll. Dabei handelte es sich um eine unverbindliche Absichtserklärung, die 2013 auslief. Die Raststätten, seit dem Verkauf in Hand von Investoren, müssen Rendite abwerfen. 

So setzen sich Aufpreise wie dieser durch. Bis zu 39 Cent Aufschlag pro Liter Sprit bezahlen Kunden mehr. Ein Brötchen kostet ein Euro mehr, das Croissant bis zu 68 Cent extra. Diese Unterschiede berechnet der ADAC Ende 2021 im Vergleich mit Autohöfen.

Lieber Autobahn-Maut

Die Privatisierung der Raststätten bringt dem Steuerzahler (abgesehen vom Verkaufspreis) keine Entlastung. Stattdessen kostet sie bei jeder Pause. Auch jene bezahlen, die kein eigenes Auto haben, aber mit dem Bus reisen. Fastfood wird zum Luxusgut. 

Wie es besser geht? Zum Beispiel mit einer Autobahn-Maut. Wer auf der A22 vom Brenner über Bozen in Richtung Modena fährt, der findet auf seiner Route günstige Tankstellen. Dort kostet Sprit bei einer Stichprobe von mobility.talk pro Liter 22 Cent weniger als im nahegelegenen Ort. Mit gutem Timing amortisiert sich also die Autobahngebühr mit der Tankfüllung. Außerdem sehen die belegten Brötchen nach Dolce Vita aus. Das macht den direkten Weg nicht unbedingt günstig. Aber das Gefühl, bei jeder Gelegenheit komplett abgezockt zu werden, verschwindet.

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