Studie: E-Scooter-Sharing kann gut für die Umwelt sein
Eine neue Studie belegt: E-Scooter können zum Klimaschutz beitragen. Jedenfalls wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
E-Scooter- und E-Bike-Sharing genießen keinen guten Ruf. Die Roller und Räder stehen überall in der Gegend rum und verstopfen den urbanen Raum. Deren Fahrer*innen halten sich gefühlt selten an Verkehrsregeln, fahren oft alkoholisiert und gerne zu zweit. Nicht erwähnenswert, dass das alles verboten ist und geradezu gefährlich. Außerdem halten die Geräte nicht lange, schon nach wenigen Monaten oder gar Wochen wandern sie auf den Müll. Recycelt werden sie, wenn überhaupt, nur zu einem sehr geringen Teil. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
Zur Wahrheit gehört, dass sich nicht all diese Kritikpunkte belegen lassen. Einige basieren auf anekdotischer Beobachtung. Doch der Hauptkritikpunkt an der Mikromobilität wurde bislang wissenschaftlich bestätigt: Sie schaden dem Klima mehr, als sie nützen. Eine neue Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (Fraunhofer ISI) kommt nun zu einem anderen Ergebnis. Demnach können geteilte E-Scooter und E-Bikes helfen, den Treibhausgasausstoß zu verringern.
Die Wissenschaftler*innen des Fraunhofer ISI haben mehr als 4000 Menschen in sechs Großstädten weltweit nach ihrem Nutzungsverhalten von Rollern und E-Bikes des Sharing-Anbieters Lime gefragt. Wie in früheren Studien zeigte sich hier, dass geteilte E-Scooter und E-Bikes vor allem Fußwege und Fahrten mit dem ÖPNV ersetzen und nur zu einem geringen Teil CO2-intensive Verkehrsmittel wie eigene oder geteilte Pkw, Taxis oder Fahrdienste.
Bis zu 42,4 Gramm CO2-Ersparnis pro Kilometer
Trotz dieser Ergebnisse kommt das Fraunhofer insgesamt zu einer Netto-Ersparnis an Treibhausgasen. Pro Personenkilometer auf dem E-Scooter werden je nach Stadt zwischen 42,4 Gramm CO2 (Melbourne) und 14,8 g CO2 (Berlin) eingespart. Bei E-Bikes sind es zwischen 20,4 g/km (Düsseldorf) und 13,7 g CO2/km (Melbourne). Einzig in Berlin fällt die CO2-Bilanz geteilter E-Bikes in Summe schlechter aus. Hier werden 13 g CO2/km mehr im Vergleich zu allen ersetzten Verkehrsmitteln ausgestoßen. Die Unterschiede der Städte ergeben sich zum Teil daraus, welche Verkehrsmittel in welchem Anteil ersetzt werden, zum Teil aber auch aus Faktoren wie dem Strommix oder anderen lokalen Besonderheiten.
Wie bei derartigen Studien üblich, setzt auch das Fraunhofer ISI für alle Verkehrsmittel den Treibhausgasausstoß über den gesamten Lebenszyklus an, also von der Produktion bis zur Verschrottung (Lifecycle Assessment, LCA). Inkludiert ist der CO2-Ausstoß für die Instandhaltung, Administration und natürlich den Treibstoff, sei es Strom oder fossile Brennstoffe.
Dabei präsentiert das Fraunhofer ISI zum Teil überraschende Ergebnisse. So habe ein Trip mit einem geteilten E-Scooter gemittelt über alle sechs Städte einen um 6,7 g niedrigeren CO2-Ausstoß als mit U- oder S-Bahn. Im Vergleich zum Bus oder Shuttle spare ein E-Scooter-Trip sogar mehr als 143 Gramm CO2. Auch im Vergleich zum eigenen E-Scooter sieht die Studie Vorteile (-17,2 g CO2/Trip). Stimmen also die Annahmen zur Nachhaltigkeit von geteilten E-Scootern und E-Bikes gar nicht?
Lange Haltbarkeit als Umweltfaktor entscheidend
Das hängt davon ab, welche Daten man konkret zugrunde legt. So beruft sich das Fraunhofer ISI für die CO2-Bilanz der verschiedenen Verkehrsmittel auf Daten des International Transport Forum (ITF). Lediglich für E-Scooter und E-Bikes wurden Daten von Anthesis herangezogen. Die Beratungsfirma hat für Lime ein entsprechendes Life Cycle Assessment durchgeführt.
Allerdings geht es konkret ausschließlich um Modelle von Lime der 4. Generation, die seit Ende 2021 nach und nach auf den Märkten zum Einsatz kommen. Diese sollen laut Anthesis eine Lebenserwartung von fünf Jahren im geteilten Einsatz haben. Zudem verringern herausnehmbare Akkus den Service-Aufwand. Weiterhin nimmt die Studie an, dass rund 80 Prozent der Materialien recycelt werden.
Fahrdienste und eigene Pkw sind das Problem
Klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Doch immerhin hatte auch das ITF vor einem guten Jahr deutliche Fortschritte bei der Nachhaltigkeit geteilter Mikromobilität ausgemacht. So heißt es in einem Report vom September 2021, dass sich das Fahrzeugdesign deutlich verbessert habe, die Produktion weniger CO2-intensiv sei und dass auch beim Service geringere Emissionen anfielen. Habe die erste Generation von E-Scootern noch eine Lebenserwartung von wenigen Monaten gehabt, würde das jüngste Modell des Sharing-Anbieters Voi im Schnitt rund 60 Monate halten. Der CO2-Ausstoß über den gesamten Lebenszyklus habe sich seit der Einführung der ersten Modelle um 70 Prozent auf 35 g/km reduziert.
Die Fraunhofer-Studie widerspricht früheren Studien also nicht so sehr, wie es auf den ersten Blick scheint. Wie so oft ist der Konjunktiv entscheidend: E-Scooter und E-Bikes können einen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen leisten. Mit Betonung auf „können“. Wenn sie lange halten, möglichst CO2-neutral produziert, umfassend recycelt sowie klimaschonend betrieben und gewartet werden. Das nun wiederum kann man für jedes Verkehrsmittel so formulieren. Entsprechend erkennen auch die Fraunhofer-Wissenschaftler an, dass es für eine Dekarbonisierung des Verkehrs vor allem darauf ankommt, „die emissionsstärksten Verkehrsmittel wie Ridehailing und Fahrten mit Verbrennern“ durch umweltfreundlichere zu ersetzen. Und dazu zählt der geteilte E-Scooter.
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