Simson-Umbau: Von Zweitakt auf Elektro-Schwalbe in 30 Minuten
Die Firma Second Ride aus Berlin baut Elektro-Umbaukits für alte Mopeds und Roller: Simson und Schwalbe werden damit elektrisch. Wie geht das eigentlich?
Mopeds von Simson knattern und stinken. Ihr kerniger Zweitakt-Benziner mit 3,7 PS und seine bläulichen Abgase sind, pardon, waren Teil der Markenidentität: „Simme“ (S51) und Schwalbe (KR 51) erkennen wir an Sound und Geruch. Fans lieben die Kleinkrafträder genau dafür. Und weil Fahrzeuge mit Erstzulassung in der DDR dank einer Sondergenehmigung auch heute noch 60 statt der üblichen 45 km/h schnell fahren dürfen.
Nur, das Knattern und Stinken ist nicht mehr zeitgemäß. Und nicht mehr notwendig. Zum einen, weil die Münchener Firma Govecs ein Elektro-Moped mit dem Aussehen einer Schwalbe baut. Es lässt sich kaufen oder bei diversen Sharing-Anbietern leihen. Zum anderen entwickelt und verkauft das Startup Second Ride aus Berlin Umrüstkits für originale Ost-Mopeds aus Suhl. Die Kits beinhalten alle Bauteile, um Zweitakter und Sprit gegen Elektromotor und Akku zu tauschen. Die zweirädrigen Oldtimer werden damit zu Elektro-Mopeds. Profis erledigen diesen Umbau in einer halben Stunde.
Elektro-Simson: Umbaukit für 3.000 Euro
Die Idee zum Umbausatz stammt von Maschinenbau-Absolvent Carlo Schmid. Er beginnt mit der Entwicklung im Rahmen eines Nachhaltigkeitsprojekts an der TU Berlin. Gemeinsam mit Wirtschaftsingenieur Sebastian Marten vergrößert er sein Vorhaben Anfang 2022 zu einer GmbH. Per Crowdfunding sammeln die beiden Gründer mehr als 80.000 Euro ein und starten den Verkauf eines kompletten Umbausatzes.
Die ersten 30 Exemplare kosten im Jahr 2022 rund 2.700 Euro. Sie sind blitzschnell ausverkauft. Für 2023 bereiten Schmid und Marten die Produktion einer größeren Stückzahl vor. Mehr als 100 Kits sind bereits reserviert. Jedes kostet nun 2.990 Euro. Interessenten können sich vormerken lassen und müssen die Hälfte bereits anzahlen.
Das Umbaukit umfasst einen Elektromotor mit einer Leistung, die ungefähr der des Originalmotors entspricht: Das bürstenlose Aggregat verfügt über eine Nennleistung von 3 kW (4 PS). Kurzfristig kann es eine Spitzenleistung von 4 kW (5,4 PS) liefern. Der Elektromotor mit Gehäuse und Kühlung ähnelt optisch dem Zweitakter von Simson. Wie bei anderen Elektro-Motorrädern kann der Motor den E-Roller antreiben und Energie rekuperieren, also beim Bremsen Strom erzeugen und damit den Akku speisen.
50 Kilometer Reichweiter mit der Elektro-Simson
Der Stromspeicher des Umrüstsatzes befindet sich in einer neuen Sitzbank. Dabei handelt es sich um eine Blechkonstruktion, die mit Schaumstoff bezogen ist. Die Akkuzellen stammen von der Firma LG und speichern 1,9 Kilowattstunden Energie. Laut Second Ride ist das genug Strom, um mit einer Simson eine Reichweite von 50 Kilometern zu erreichen. Die Gründer geben an, diese Distanz selbst bei 10 Grad Außentemperatur geschafft zu haben. Der Akku lässt sich mit wenigen Handgriffen abbauen und mit in die Wohnung nehmen, um dort zu laden.
Die bisherige Batterie entfällt. Die Traktionsbatterie in der Sitzbank versorgt die elektrische Anlage mit 12 Volt. Für Mopeds, die noch mit einer Bordspannung von 6 Volt unterwegs sind, liefert Second Ride ein Lampenset für höhere Spannung. Das verbessert die Lichtausbeute und damit die Sicherheit.
Schmid und Merten ist eine möglichst authentische Optik wichtig. Deshalb gehört, anders als ursprünglich vorgesehen, ein Bowdenzugsensor zum Paket, der den Einsatz des originalen Gashebels ermöglicht. Ein analoges Instrument zeigt den Ladestand der Batterie an. Zum Paket gehört außerdem ein TÜV-Gutachten, mit dem Moped-Fahrende den neuen Antrieb eintragen lassen können.
Schwalbe, Simson und Duo werden elektrisch
Der Umbaukit passt in Simson S50 und S51, Schwalbe KR 51/1 und 51/2 und in die Modelle Star, Sperber sowie Habicht. Bald soll es außerdem eine Variante für Simson S70 und Krause Duo geben. Das Projekt selbst scheint im Sinne der Simson-Idee zu sein: Simson-Chefdesigner Clauss Dietel ermutigte Schmid und Martin vor seinem Tod im Januar 2022, ihre Idee weiter zu verfolgen. Genau für solche Umbauten sei sein offenes Design vorgesehen gewesen.
Ökologisch ergibt der Umbau Sinn. Denn während für den Umweltschutz Pkw mit Verbrennungsmotoren streng reguliert werden, gibt es für Mopeds und Roller wie Simson und Schwalbe noch keine Einschränkungen. Dabei verbrennen ihre Zweitakt-Motoren konstruktionsbedingt Öl. Ihre Abgase enthalten schädliche Kohlenwasserstoffe und Kohlenmonoxid. Laut einer Studie des Paul-Scherrer-Instituts stoßen die Mopeds 771 Mal so viel Feinstaub aus wie ein vergleichbarer Viertakter. Rechnerisch sinkt beim Elektro-Umbau außerdem der CO2-Ausstoß von 71 auf 14 Gramm pro Kilometer (Berechnungsgrundlage: Deutscher Strommix, Stand 2020, 366 g/kWh, Quelle: Statista).
Um den Antrieb umzubauen, veranschlagt Second Ride zwei bis drei Stunden oder „einen Nachmittag“ Arbeitszeit. Schmid schafft es selbst mittlerweile in 30 Minuten. Alle Aufnahmen am Umrüstsatz entsprechen denen der Originalteile. Es müsse nichts gebohrt, abgeschnitten oder geschweißt werden, alles wird geschraubt. Damit sei der Umbau auch für weniger versierte Menschen geeignet. Und, ganz wichtig in der Oldtimer-Szene: Die Simson lässt sich zurückrüsten.
Derzeit sind deutschlandweit noch ungefähr 500.000 Simson-Mopeds der kompatiblen Generation zugelassen. Tendenz: steigend, denn die Zweiräder erleben eine Renaissance. Fans bauen vergessene Rahmen neu auf. Weil sie cool aussehen. Und weil sie 60 km/h schnell fahren dürfen. Diese Erlaubnis bleibt nach dem Umbau auf Strom erhalten.
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