Teure E-Bikes sorgen für Trendwende bei Fahrradversicherungen

860 Euro Entschädigung pro gestohlenem Fahrrad: Der Boom an teuren E-Bikes führt zu einem Umdenken bei den Versicherungen. Worauf Privatkunden achten müssen.

Simon Pausch

Simon Pausch

Zu sehen ist ein E-Bike
In Deutschland boomt der Handel mit E-Bikes. Die hochwertigen Zweiräder geraten umso schneller ins Visier potenzieller Diebe [Bildquelle: Rainer Jensen/Picture-Alliance]

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mag in seiner Amtszeit viele fragwürdige Sätze gesagt haben. Mit diesem hat er ohne jeden Zweifel recht: „Corona hat nicht viel Positives, aber eine positive Entwicklung sehen wir: Einen Boom beim Fahrrad.“ Die Zahlen belegen es: So viele Radfahrer wie 2021 gab es in Deutschland noch nie. Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV) belief sich der Bestand Ende vergangenen Jahres auf mehr als 79 Millionen Exemplare – zwölf Millionen mehr als vor 15 Jahren.

Dieser Boom freut Hersteller und Händler, die sich vor Anfragen kaum retten können. Und Fahrraddiebe, die bei der Wahl ihrer Beute nicht nur eine historisch große Auswahl haben, sondern auch von einem anderen Effekt des Fahrradbooms profitieren. „Viele Menschen berichten davon, dass sie ihre Autos durch Fahrräder ersetzen“, erzählt Aqib Farooq, bei der Versicherung Signal Iduna zuständig für Neue Mobilität, im Gespräch mit mobility.talk: „Der Trend geht sogar zu mehreren Rädern. Entsprechend höher sind die Werte, die geschützt werden müssen.“ Die Fahrräder werden nicht nur mehr, sondern auch wertvoller.

Fahrradfahrer investieren mehr Geld

Mit 234.000 gemeldeten Fahrrad-Diebstählen 2021 sank die Zahl der Fahrrad-Diebstähle zum zweiten Mal infolge. Die Schadenssumme blieb mit 110 Millionen Euro laut dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) aber konstant. Heißt im Umkehrschluss: Die gestohlenen Fahrräder sind wertvoller als früher. Mit 860 Euro kletterte die durchschnittliche Entschädigung auf einen absoluten Höchstwert.

Das ist nach Angaben des GDV unter anderem auf die gestiegene Anzahl an teureren E-Bikes und Lastenrädern zurückzuführen, andererseits auf die wachsende Bereitschaft in der Bevölkerung, mehr Geld in ein qualitativ hochwertiges Fahrrad zu investieren. Etwa, weil man sich das Geld für ein eigenes Auto spart.

Als Reaktion auf diese Entwicklung führte Farooq mit seinem Team bei der SI eine eigene Fahrradkasko ein. „Der Fahrrad-Diebstahl war jahrzehntelang über die Hausrat-Versicherung mit abgedeckt“, berichtet er: „Inzwischen merken wir, dass immer mehr Menschen das Bedürfnis haben, ihre Fahrräder separat über eine Kasko abzusichern.“

Fahrrad-Kasko sorgt für bessere Abdeckung

Versicherungen bieten etwa Schutz gegen Vandalismus oder Diebstahl bis zu einer Schadenssumme von 10.000 Euro oder mehr. Außerdem decken sie auch Zubehör wie Kindersitze mit ab. In Hausratversicherungen werden häufig lediglich Pauschalsummen erfasst. Mit einer speziellen Fahrrad-Versicherung sind Diebstähle auf der Straße abgedeckt, während eine Hausrat-Versicherung nur dann greift, wenn das Rad aus einem geschlossenen Raum wie einem Keller oder der Wohnung entwendet wurde. Voraussetzung jeweils: Das Fahrrad muss zum Zeitpunkt des Diebstahls mit einem Schloss gesichert sein.

Im Zuge dessen ist das das Zonen-Modell, das viele Kunden seit Jahren von Kfz-Versicherungen kennen, hinfällig geworden. Demnach zahlen Versicherungskunden, die in Ballungsgebieten mit der vermeintlich höchsten Diebstahlgefahr wohnen, am meisten. Mit Blick auf Fahrräder funktioniere diese Logik inzwischen jedoch nicht mehr. „Das hat nichts mehr mit der Lebensrealität der Versicherten zu tun hat“, sagt Farooq: „Die Fahrräder sind überall in der Stadt unterwegs – der Wohnort ist nicht zwangsläufig der Ort, wo die Risiken am größten sind.“

Zu sehen ist ein Handy im Vordergrund und ein E-Bike im Hintergrund
Moderne E-Bikes verfügen über einen GPS-Tracker, der über eine App auf dem Smartphone eingesehen werden kann. Im Falle eines Diebstahls kann somit der Standort des Fahrrads ermittelt werden [Bildquelle: Daniel Karmann/Picture-Alliance]

Das Problem mit gewerblich genutzten Räder

Die Experten vom GDV sehen in dem Rückgang der absoluten Anzahl der Fahrraddiebstähle daher nur bedingt die bessere Sicherung vieler E-Bikes als Grund. Tatsächlich lassen sich viele, vor allem hochwertige motorisierte Fahrräder von Fremden kaum freischalten. Aufgrund des hohen Werts einiger Einzelteile, vor allem des Akkus, sind sie dennoch ein lukratives Diebesgut. Dass die Zahlen im Vergleich sogar zurückgingen, führt der GDV auf die veränderten Arbeitsbedingungen mit überproportional hohen Home-Office-Anteilen zurück. Wer sein Fahrrad nicht vor dem Büro parkt, sondern im eigenen Innenhof, ist einem geringeren Diebstahl-Risiko ausgesetzt.

Zu den neuen Herausforderungen, mit denen sich Versicherer im Zuge des aktuellen Fahrradbooms konfrontiert sehen, zählen ohnehin andere Fragestellungen. Denn die Absätze boomen nicht nur im Privatkundengeschäft. Auch zahlreiche Liefer- und Kurierdienste stellen inzwischen hauptsächlich mit Fahrrädern zu. „Im Gewerbebereich verzeichnen wir Riesenzuwächse bei den Fahrrädern, die über Unternehmen versichert werden“, sagt Farooq und weist direkt auf ein alltägliches Problem hin: „Mit Fahrrädern etwa von Lieferdienste wird nicht immer besonders sorgsam umgegangen.“ Wer aber kommt dann für einen möglichen Schaden auf? Derlei Fragestellungen sind bei Dienstwagen klar geregelt. Bei gewerblich genutzten Fahrrädern sieht das noch anders aus. Und dabei ist das, was Verkehrsminister Scheuer kürzlich postulierte, noch nicht einmal eingetreten: „Wir wollen Deutschland zu einem Fahrrad-Land machen.“

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