„Autonomes Fahren ist kein Allheilmittel“

Autonomes Fahren gilt als Megatrend der Mobilität. Aber stimmt das wirklich? Ein Start-up aus Estland will nun den Carsharing-Markt umkrempeln. Mit fahrerlosen Fahrzeugen, die aus dem Büro heraus gesteuert werden.

Simon Pausch
Simon Pausch
Ein Elmo-Operator steuert das Fahrzeug aus der Ferne. Bislang ist diese Art der Remote-Control in Deutschland nicht zugelassen [Bildquelle: Elmo]

Enn Laansoo Jr. ist die Erschöpfung anzusehen. Nach Stopps in Toulouse, Paris und München nun die estnische Botschaft in Berlin, der Schlusspunkt seiner Werbetour für das Unternehmen Elmo. Der Elmo-CEO strebt eine Revolution des Carsharings an. Die Geschäftsidee ist so simpel wie kühn: Elmo-Kund*innen können über die App des Mobilitätsdienstleisters ein Auto bestellen. Anders als bei der Konkurrenz müssen sie es aber nicht selbst abholen. Per Fernsteuerung kommt das Auto direkt zu ihnen. Gesteuert wird es von Menschen, die bei Elmo Operators genannt werden. Sie sitzen in einem Büro und haben vor sich Gas- und Bremspedal, Lenkrad und Bildschirme. Was aussieht wie ein Rennspiel-Simulator, ist Elmos Alleinstellungsmerkmal in einem umkämpften Markt.

Während der Miete übernehmen die Carsharing-Kund*innen das Lenkrad. Erst danach dürfen die Operator*innen wieder ans Steuer und fahren das Auto per Fernsteuerung zum nächsten Kunden oder einer Ladesäule. Aktuell nutzt Elmo vor allem Nissan Leaf, langfristig soll die Flotte E-Modelle vieler Hersteller umfassen. Man sei in Gesprächen mit mehreren Autobauern, heißt es.

Die Umrüstung der Fahrzeuge kostet nach Angaben von Laansoo rund 4.000 Euro. Darin enthalten sind sechs Kameras, die an verschiedenen Punkten im Fahrzeuginnern angebracht sind. Sie sorgen für das Bild auf den Bildschirmen der Operator*innen und sollen verhindern, dass das (zumindest physisch) fahrerlose Auto einen Unfall baut. In der estischen Hauptstadt Tallinn fahren ab Juli die ersten 20 Elmo-Fahrzeuge, zunächst mit Sicherheitsfahrer. In Deutschland besitzt die Technik noch keine Zulassung. Immerhin haben erste Tests in Paris und Berlin gezeigt, welche Probleme im Alltag in europäischen Großstädten auftauchen können. In Straßenschluchten brach etwa die 4G-Verbindung zwischen Fahrzeug und Zentrale bisweilen ab. Das Auto blieb dann einfach stehen. Erst nachdem die Verbindung wieder aufgebaut war, ging die Fahrt weiter. mobility.talk traf Enn Laansoo zum Interview.

Mobility.talk: Herr Laansoo, während alle Autohersteller an der Umsetzung des autonomen Fahrens arbeiten, versuchen Sie, mit der Remote-Control eine Art Zwischen-Technologie zu etablieren. Hat das nicht eine überschaubare Halbwertszeit?

Enn Laansoo Jr.: Ich glaube, dass es bestimmte Anwendungsbereiche gibt, in denen autonomes Fahren einen echten Mehrwert bietet. In Häfen oder auf Flughäfen erleben wir das schon heute. Auch im Personentransport gibt es Fälle, wo autonom fahrende Busse Sinn machen und teilweise schon eingesetzt werden. Das wird in den kommenden Jahren zunehmen. Im Bereich der Autovermietung oder des Carsharings sehe ich das anders. 

Mobility.talk: Warum?

Enn Laansoo Jr.: Wir sind es gewohnt, das Lenkrad selbst in den Händen zu halten. Es gibt uns ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Gerade in einer Nation wie Deutschland, wo das Auto eine tiefe kulturelle Verwurzelung hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich alle Autofahrer auf der Rückbank zurücklehnen. Autonomes Fahren ist kein Allheilmittel für alle Herausforderungen der Verkehrswende. Es wird auch nicht alle Bereiche unserer Mobilität prägen. Deswegen glaube ich fest an unsere Geschäftsidee, die auf neun Jahren Carsharing-Erfahrung basiert.

Enn Laansoo Jr. wirbt in Deutschland für das Unternehmen Elmo. In Estlands Hauptstadt Tallinn sind bereits die ersten fahrerlosen Elmo-Autos unterwegs [Bildquelle: Elmo]

Mobility.talk: Ist Ihre eigentliche Herausforderung also gar keine technologische, sondern eine psychologische?

Enn Laansoo Jr.: Neben der Technologie kommt der Infrastruktur eine große Bedeutung zu. Niemand weiß, was genau passieren wird, wenn die Datengeschwindigkeit und -bandbreite flächendeckend ausreichend sind. Es wird spannend sein zu sehen, wie Fußgänger oder andere Verkehrsteilnehmer reagieren, wenn Sie ein Auto sehen, das per Remote-Control gesteuert wird. Das könnte für Verunsicherung sorgen, wie alle neuen, disruptiven Technologien. Ich weiß, dass es Menschen gibt, die sich darauf freuen, die Steuerung einer Künstlichen Intelligenz oder einem unserer Remote Fahrer zu überlassen und sich selbst auf der Rückbank zurückzulehnen. Genauso weiß ich aber, dass es immer Menschen geben wird, die das Lenkrad selbst in den Händen halten wollen. Die Kommunikation wird auf dem Weg dorthin eine extrem wichtige Rolle spielen, um Vorbehalte abzubauen.

Mobility.talk: Sie sind darauf angewiesen, dass ein rechtlicher Rahmen geschaffen wird. Was macht Sie zuversichtlich, dass der in wichtigen Märkten wie Deutschland kommen wird?

Enn Laansoo Jr.: Wir wissen, dass wir einen Lernprozess vor uns haben. Unsere technische Basis ist gut, jetzt müssen wir Praxiserfahrung sammeln. Dafür eignet sich unsere Heimat in Estland sehr gut. Es gibt eine sehr gute 4G-Durchdringung, außerdem sind die Menschen offen dafür. Sie sehen die Vorteile, die wir ihnen bieten können. In unserem Gesetz ist nur festgelegt, dass jedes Auto einen Fahrer braucht. Aber es steht nirgendwo, dass der Fahrer im Auto sitzen muss. Mit dieser Mentalität wollen wir Elmo vorantreiben und schnell auch auf ausländische Märkte bringen.

Mobility.talk: Wie werden die typischen Remote-Fahrer aussehen?

Enn Laansoo Jr.: Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Werden es routinierte 65-Jährige sein, die viele Jahre als Fernfahrer gearbeitet haben? Oder junge Menschen, die mit Videospielen aufgewachsen sind? Ich weiß es nicht, aber ich bin sehr gespannt darauf, es herauszufinden. Das gilt auch für die Art, wie die Remote-Fahrer arbeiten. Vielleicht eignen sich Virtual-Reality-Brillen besser als Bildschirme, weil das Fahrerlebnis dann authentischer ist. Vielleicht brauchen die Fahrer eine längere Pause, bevor sie das nächste Fahrzeug übernehmen. All das möchten wir in den kommenden Monaten herausfinden und unsere Technologie dementsprechend anpassen.

Testfeld Tegel: In Berlin rollten die Fahrzeuge über die Landebahn des ehemaligen Flughafens. Die Teilnahme am regulären Straßenverkehr ist untersagt [Bildquelle: Elmo]

Mobility.talk: Der Carsharing-Markt ist mehr oder weniger gesättigt, gilt außerdem als nicht besonders lukrativ. Wie wollen Sie sich dort behaupten?

Enn Laansoo Jr.: Unser Ansatz unterscheidet sich grundlegend von den bestehenden Angeboten. Wir bieten einen ganz anderen Service, indem wir das Auto zum Kunden bringen. Jeder Carsharing-Nutzer kennt das Problem, wenn im entscheidenden Moment kein Auto in der Nähe verfügbar ist. Solche Situationen gibt es bei uns nicht. Gleichzeitig haben unsere Kunden das Erlebnis, selbst zu fahren, ander als etwa im Taxi. Wie ich schon sagte, halte ich das für ein zentrales Element im Mobilitätsbedürfnis. Dafür entfallen Dinge wie die Suche nach einem Parkplatz. Die Straßen werden durch weniger Autos verstopft, die an jeder Ecke auf potenzielle Kunden warten.

Mobility.talk: Wie wird die Preisgestaltung aussehen? Wie will sich Elmo von herkömmlichen Taxis abgrenzen?

Enn Laansoo Jr.: Sobald die Technologie ausgerollt ist und im Alltag funktioniert, wird die Bereitstellung des Fahrzeugs vor die Haustür der Kunden kostenfrei sein. Abgerechnet wird dann wie bei anderen Carsharing-Anbietern über die Nutzungsdauer oder die zurückgelegte Strecke. Es ist nicht unser Plan, weitere Servicekosten zu erheben. 

Mobility.talk: Werden Ihre Autos eines Tages komplett autonom fahren und statt Carsharing quasi Taxidienste übernehmen?

Enn Laansoo Jr.: Technisch wird das sicherlich möglich sein. Ob es auch ein Bedürfnis danach gibt? Da bin ich mir nicht so sicher. Wir werden hauptsächlich für Stadtfahrten genutzt werden. In diesem Anwendungsbereich liegt das autonome Fahren noch in weiter Ferne.

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