Dummy ist ein Männerjob

Frauen leben gefährlicher im Auto als Männer. Das liegt unter anderem daran, dass bei Crashtests fast nur „männliche“ Dummies zum Einsatz kommen.

Heiko Dilk

Heiko Dilk

Ein Dummy beim Heckaufprall-Crashtest
Crashtest-Dummies entsprechen von Größe und Gewicht etwa dem durchschnittlichen Mann. "Weibliche" Dummies gibt es bislang kaum. Ein Grund, warum Frauen bei Verkehrsunfällen häufiger schwer verletzt werden. [Bildquelle: EuroNCAP]

Sind Sie männlich, um die 1,80 Meter groß und etwa 80 Kilo schwer? Glückwunsch, Sie sind ziemlich durchschnittlich. Und damit im Straßenverkehr besser geschützt als kleinere Männer, größere Männer, Kinder und vor allem: Frauen. Studien belegen das. So veröffentlichte die US-Verkehrssicherheitsbehörde im Jahr 2013 eine Untersuchung (pdf), nach der Frauen ein um 17 Prozent höheres Risiko hatten, bei einem Unfall zu sterben als Männer.

Das Risiko, bei einem Frontalcrash schwere Verletzungen davonzutragen, ist sogar um 73 Prozent höher, wie eine 2019 veröffentlichte Studie der Universität von Virginia ergab. Laut einer anderen US-Untersuchung von 2011 liegt das Verletzungsrisiko angeschnallter Autofahrerinnen um 47 Prozent über dem angeschnallter Autofahrer. Und gerade kürzlich kam eine britische Studie zu dem Ergebnis, dass Frauen bei einem Unfall häufiger im Auto eingeklemmt werden als Männer (16 Prozent versus 9 Prozent).

Die Gründe für die Diskrepanz sind, wie üblich, vielfältig. So führt etwa das amerikanische Insurance Institute for Highway Safety (IIHS) einen Großteil der Risiko-Unterschiede darauf zurück, dass Frauen oftmals kleinere und leichtere Autos fahren. Doch auch wenn man die Fahrzeugwahl herausrechnet, leben Frauen noch immer gefährlicher. So erleiden sie beispielsweise häufiger Beinverletzungen als Männer.

Der weibliche Dummy ist ein kleiner Mann

Klar, Autos sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich sicherer geworden. Die Zahl der Verkehrstoten sinkt stetig. Allerdings legen viele der Studien nahe, dass vor allem männliche Insassen und Autofahrer davon profitiert haben. Airbags, Rückhaltesysteme, Gurte, Kopfstützen, ja, das gesamte Fahrzeugdesign sei primär auf die männliche Anatomie abgestimmt. Denn: Crashtest Dummies folgen noch immer in erster Linie der männlichen Anatomie. Und das bereits seit den 1950er-Jahren. Damals kam mit „Sierra Sam“ erstmals ein Dummy bei systematischen Crashtests zum Einsatz. Er war allerdings deutlich größer und schwerer als der durchschnittliche Mann.

In den frühen 1970ern entwickelte General Motors mit Hybrid I und II Dummies, die etwas fortschrittlicher waren und als „50-Prozent-Mann“ konzipiert wurden. Das bedeutet: etwa 50 Prozent der Männer auf der Welt sind kleiner und leichter. Im Jahr 1976 übernahm Hybrid III, und eine kleine Dummy-Familie wurde erschaffen. Zum männlichen „50-Prozent-Mann“ HIII-50M kamen ein größerer und schwererer „95-Prozent-Mann“ sowie drei Kinder-Dummies, die Dreijährigen, Sechsjährigen und Zehnjährigen entsprechen sollen. Ein Frau bekam Hybrid III ebenfalls. Allerdings eine „5-Prozent-Frau“. Heißt: Nur 5 Prozent der Frauen sind kleiner und leichter als sie. Außerdem hat die Anatomie von HIII-5F wenig mit Frauen gemein, sie entspricht anatomisch einem verkleinerten Mann.

Ein Kia EV6 beim Frontalaufprall im Crashtest
EuroNCAP testet in Europa alla neuen Autos auf Sicherheit und verteilt Sterne. Die Höchstwertung gibt es auch ohne "weibliche" Dummies. [Bildquelle: EuroNCAP]

THOR statt EvaRID: Crashtest bleibt männlich

Ohnehin ist HIII-50M der meistbeschäftigte Dummy. Der 1976 von General Motors entwickelte und seither stetig weiterentwickelte Dummy kommt in der weit überwiegenden Zahl der Frontalcrashs zum Einsatz. Er ist es, der zumeist am Steuer sitzt. Mit anderen, spezialisierten Dummies, etwa Kinder-Dummies, werden Kindersitze und Rückhaltsysteme getestet. Für Seitenaufprall-Crashtests oder Pfahl-Unfälle werden andere „50-Prozent-Männer“ genutzt. Dummies, die der weiblichen Anatomie entsprechen, sind massiv unterrepräsentiert. Selbst HIII-5F, die mit ihren 1,52 Metern Größe und 48 Kilo Gewicht eher einem Mädchen entspricht, wird wenig gecrasht.

Die maßgebliche europäische Crashtestorganisation EuroNCAP listet HIII-5F nur für einen einzigen Crashtest. Beim Frontal-Zusammenprall mit einem feststehenden Hindernis ohne Überlappung sitzt sie im Auto. Ansonsten fehlen weiblichen Körpern nachempfundene Dummies. Es gibt sie auch kaum. Bislang ist EvaRID das einzige Modell einer 50-Prozent-Frau. Es wurde vom Schwedischen Straßen- und Transport-Forschungsinstitut zunächst für den Heckaufprall entwickelt. Hier schützen Kopfstützen Insassen mit weiblicher Statur oftmals nicht ausreichend, weil sie auf die männliche Statur abgestimmt sind. Bei Crashtests im Einsatz ist EvaRID bislang nicht. Es gibt allerdings auch keine Vorschrift, die Tests mit „weiblichen“ Dummies fordert.

HIII-50M wird unterdessen so langsam abgelöst. THOR soll übernehmen. Er gilt derzeit als der modernste Crashtest-Dummy. Er bewegt sich natürlicher und verfügt über mehr und sensiblere Sensoren. Seit 1995 befinden sich erste Prototypen in der Entwicklung, zwischen 2016 und 2020 wurde das Modell entwickelt, das nun HIII-50M ersetzen soll. Beim EuroNCAP kommt er bereits neben HIII-50M beim Frontalzusammenstoß zum Einsatz, für die us-amerikanischen NHTSA wird er ebenfalls arbeiten. THOR-50M ist ein „50-Prozent-Mann“.

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