Gewechselt, nicht gezapft
Ein voller Akku in drei Minuten: In China wird das Konzept der Batteriewechsel-Station für E-Autos vorangetrieben. Auch in Europa könnte sich künftig etwas tun – dank prominenter Unterstützung.
Sechzig Prozent der Deutschen entscheiden sich vor allem deshalb gegen den Kauf eines Elektroautos, weil ihnen das Aufladen der Batterie zu lange dauert. Das ist das Ergebnis des Mobilitätsmonitors 2021, einer Untersuchung der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech). In großen Teilen der Autoindustrie wird deshalb an Batterie- und Ladetechnologien geforscht, um die Ladezeiten zu verkürzen. Anders in China: Dort treiben die Autohersteller das Konzept der Batteriewechselstationen voran. Unterstützung erhalten sie von einem Industriezweig, der mit E-Mobilität bislang wenig am Hut hatte.
Den Akku tauschen, anstatt ihn an einem Stromanschluss aufzuladen: Das ist die Grundidee des Batteriewechsels. Elektroautos fahren dabei in eine spezielle Station, die optisch einer Waschstraße ähnelt. Dort wird das im Fahrzeugboden befindliche Batteriepack von einer Maschine vollautomatisch entfernt und ersetzt. Der leere Akku wird herausgenommen und anschließend an der Station neu geladen, während eine andere, vollständig geladene Batterie im Fahrzeugboden des E-Autos verankert wird.
„Batterie in 3 Minuten vollständig aufgeladen. Da hält kein Supercharger mit.“ So wirbt ein Mitarbeiter des Elektroauto-Herstellers Nio via Twitter für das Konzept des Batteriewechsels. Nio, ein 2014 gegründetes Start-up aus China, ist zum Vorreiter der Batteriewechsel-Technologie geworden. Von den „Swap-Stations“, wie Nio die Batterietauschstationen nennt, hat das Unternehmen inzwischen mehr als 600 Stück in China aufgebaut. Jede von ihnen ermöglicht 312 Batteriewechsel am Tag. Vier Akku-Tausch-Aktionen sind bei Nio kostenlos, anschließend kostet jeder Wechsel umgerechnet 25 Euro. Bis 2025 will Nio mehr als 4.000 Wechselstationen errichten, 1.000 davon außerhalb Chinas. Auch andere chinesische Autohersteller gehen mit dem Konzept des Batteriewechsels in die Offensive, darunter der Großkonzern Geely.
Batteriewechsel: Erfolg im zweiten Anlauf?
Neu ist die Idee des Akkutauschs indes nicht. Die Geschichte des Batterietauschs begann bereits im Jahr 2007. Damals gründete der ehemalige SAP-Manager Shai Agassi in Israel die Firma Better Place. Sein Ziel: der Elektromobilität mit dem Tauschkonzept zum Durchbruch zu verhelfen. Der Renault-Nissan-Konzern war mit an Bord, hatte die damalige Renault-Limousine Fluence extra aufs Akkuwechseln ausgelegt. Better Place startete in Israel, Dänemark und Australien. Doch es verkauften sich zu wenige der Renault Elektro-Limousinen wie insgesamt zu wenig Elektroautos – weltweit damals nur rund 400.000. Infolge dessen gab es zu wenige Wechselstationen. „Ein System von Batteriewechsel-Stationen musste verhungern, sprich ein ‚Henne-Ei-Problem‘ vereitelte den Erfolg“, fasst es Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Center Automotive Research zusammen. Better Place ging folgerichtig im Jahr 2013 Pleite.
Auch der US-Elektroautohersteller Tesla experimentierte in den USA mit der Technologie. Einige Pilotstationen wurden aufgestellt, unter anderem in San Francisco. Erst 2015 entschied man sich bei Tesla gegen den Akkutausch und für das Konzept des Schnellladens. Das Aus der Wechselbatterie war erneut der mangelnden Nachfrage geschuldet. „Wir haben festgestellt, dass nur wenige das Angebot annehmen“, sagte Tesla-CEO Elon Musk damals.
In Europa fehlt der Standard
Im Zuge des Erstarkens der Elektromobilität setzen alle großen Hersteller aufs Laden oder Schnellladen der Autos. Sie fokussieren sich auf die Weiterentwicklung der Akkus, um das Problem der langen Ladezeiten anzugehen. Sie arbeiten an Batterien mit möglichst großer Speicherkapazität. BMWs E-SUV iX etwa verfügt über 111,5 kWh Batteriespeicherkapazität. Porsche und Hyundai setzen zudem auf 800-Volt-Bordnetze, um so extrem schnelles Laden zu ermöglichen. Mercedes und der Stellantis-Konzern wiederum forschen seit kurzem gemeinsam an ganz neuen Batterien, den sogenannten Feststoff-Akkus. Eine Wechselstation-Infrastruktur brauche hohe Standardisierung, also zum Beispiel eine Art Einheitsbatterie, so Autoexperte Dudenhöffer: „Große Vielfalt an unterschiedlichen Batterietypen auf Lager zu halten, zerstört die Ökonomie eines Batteriewechselstationssystems.“
Zudem wurde die Ladeinfrastruktur in Europa bereits kräftig ausgebaut. Fast 300.000 Ladepunkte gibt es inzwischen, davon knapp 50.000 in Deutschland. „Wenn die eine Infrastruktur steht, ist es sehr schwer, Investoren von einer konkurrierenden zu überzeugen“, sagt Dudenhöffer. Der Batteriewechsel fristet in Deutschland daher ein Nischendasein. In Berlin gibt es eine erste Pilotstation des chinesisch-deutschen Projekts Infradianba. Betrieben werden soll damit in Zukunft ein E-Taxi-Projekt der chinesisch-britischen Automarke MG Motor. Zudem hat das deutsche E-Auto-Unternehmen e.Go seine Tauschstation „e.Pit“ vorgestellt. Der Batteriewechsel dauert dort jedoch 60 Minuten.
Mineralöl-Industrie zeigt sich interessiert
Ein Industriezweig, den die wachsende Bedeutung der E-Mobilität abzuhängen droht, interessiert sich nun jedoch verstärkt für Batteriewechselstationen: die Mineralölindustrie. Und das könnte den Markt durcheinander bringen. Aral testete das Modell Akkutausch schon 2019 – damals allerdings nur für E-Roller und E-Bikes. Shell hat sich kürzlich mit dem China-Start-up Nio zusammengetan. Beide wollen bereits 2022 erste Akkutausch-Stationen für Autos in Europa aufbauen. Der Mineralöl-Gigant Sinopec aus China will 5.000 Tauschstationen bis 2025 aufbauen – gemeinsam mit den chinesischen Autobauern Evergrande und abermals Nio. Und auch der britische BP-Konzern setzt auf Batteriewechselstationen. BP will 10.000 Akkutausch-Standorte in den nächsten vier Jahren aufbauen. Dafür wurde bereits ein Standard festgelegt, der mit den Autos der chinesischen Marken BAIC, FAW, Dongfeng Motor, Changan, SAIC und GAC kompatibel ist. „Unter normalen Marktgesetzen haben Batteriewechselsysteme keine Chance zum Durchbruch“, sagt Dudenhöffer. Doch wenn sich China und die Mineralöl-Industrie zusammentun könnten: Was heißt dann schon noch normal?
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